Die gezielte Veränderung der Darmflora könnte schon bald dazu beitragen, den Verlauf von Multipler Sklerose (MS) positiv zu beeinflussen. Eine Reihe neuer Studien aus Deutschland und den USA zeigen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Darmflora und dem Verlauf der MS besteht. Neueste Forschungsergebnisse bestätigen, dass Patienten mit MS reduzierte Mengen an „guten“ Darmbakterien aufweisen. Auslöser, so vermuten die Forscher, sind zu geringe Mengen an kurzkettigen Fettsäuren im Darm. „Es besteht begründete Hoffnung, dass Propionate, die Salze dieser kurzkettigen Fettsäuren, in Zukunft helfen können, Autoimmunerkrankungen wie etwa MS oder auch andere Entzündungskrankheiten wirkungsvoller zu behandeln“, glauben die Medizin-Professoren Dr. Ralf Gold und Dr. Aiden Haghikia von der Klinik für Neurologie der Ruhr-Universität Bochum.
Propionate könnten nach diesen neuesten Studien in der Lage sein, das bei Autoimmunerkrankungen wie MS oder auch bei Allergien übersteuerte Immunsystem herunterzuregulieren, also ein chronisch erhöhtes Entzündungslevel zu normalisieren, meint auch Professor Dr. Norbert Brockmeyer, Direktor für Forschung und Lehre an der Ruhr-Universität Bochum. Auch in tierischen Experimenten zeigte sich, dass die systematische Gabe von Propionat den Verlauf vieler entzündlicher Krankheiten abschwächt, also hilft, die Entzündungskaskade zu durchbrechen. Kurzkettige Fettsäuren wirken über den Darm offensichtlich im ganzen Körper entzündungshemmend.
„Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass die kurzkettigen Fettsäuren Prozesse anregen, die bei Autoimmunerkrankungen oft gestört sind“, sagt Professor Gold. Gleichzeitig werde aber die Arbeit der Immunzellen nicht eingeschränkt. „Man kann sagen, Propionate sorgen für ein Feintuning des Immunsystems im Körper. Das hat positive Wirkung bei Autoimmunerkrankten, genauso aber auch bei Patienten mit Allergien“, so Professor Gold.
Fett in der Nahrung erhöht MS-Risiko
„In epidemiologischen Studien zur MS wurde belegt, dass Fett in der Nahrung das MS-Risiko erhöht“, sagt Professor Haghikia. Er hat untersucht, ob alle Fette ein Risiko darstellen und wie sich diese auf das Immunsystem auswirken. Erste Ergebnisse liegen vor: Danach schaden nicht alle Fette gleichermaßen, Risikofaktor sind die langkettigen Fettsäuren. Die kurzkettigen Fettsäuren reduzieren das Risiko für MS hingegen.
Propionate bilden mit ihrer unterstützenden Wirkung für die kurzkettigen Fettsäuren auch eine regulierende Kraft gegen fette und süße Stoffe, die im Körper eher die aggressiven Immunzellen aktivieren, so Professor Gold. Bei verschiedenen klinischen Prüfungen, sowohl bei MS-Patienten wie bei gesunden Menschen, wurde gezeigt, dass durch systematische Propionat-Gaben die regulatorischen Elemente im Immunsystem um 30 Prozent angestiegen sind. Laut Professor Dr. Wolfram Sterry, ehemals Klinikdirektor der Charité Berlin, brachte die Einnahme von täglich zweimal 500 Milligramm Propionat eine deutliche Erhöhung der regulierenden T-Zellen im Darm.
In Laborversuchen wurde die immunologische Wirkung des Propionats bereits nach 14 Tagen nachgewiesen. „Wir konnten klar feststellen, dass das Entzündungslevel kurzfristig messbar zurückgeht“, sagt Professor Haghikia. Der Bochumer Wissenschaftler untersucht derzeit die Effekte von Propionaten auf das Immunsystem und plant eine groß angelegte Studie, welche langfristigen Effekte die Propionat-Einnahme bei MS-Patienten hat.
Propionat: Ein Wirkstoff mit langer Geschichte
Die neuen positiven Effekte der Propion-Säuren wurden erst vor kurzem entdeckt. Extrahiert wurden Propionate erstmals 1844 und spielten im letzten Jahrhundert bei der Konservierung von Brot und Käse eine Schlüsselrolle. Sowohl von der European Food Safety Authority (EFSA) wie auch von der amerikanischen Lebensmittel-Aufsichtsbehörde US Food and Drug Administration (FDA) wurde der Stoff als gesundheitlich unbedenklich eingestuft. In der Lebensmittelindustrie wird die kurzkettige Fettsäure zur Konservierung – heute deutlich weniger als früher – verwendet, beispielsweise zur Konservierung von industriell hergestellten Backwaren und zur Käseherstellung, wo es etwa bei der Reifung für das Entstehen der Löcher im Emmentaler sorgt.
Die Qualität der auf dem Markt erhältlichen Propionate schwankt stark: „Erst die langjährige Erforschung und die Identifizierung der wirksamsten und sichersten Wirkstoffe ermöglichte die Entwicklung des Endprodukts, wie es bei den Forschungsprojekten eingesetzt wird“, sagt Dr. Ulrich Matthes, Geschäftsführer von Flexopharm Brain. Das Unternehmen ist Marktführer für das in der medizinischen Forschung relevante hochreine Natrium- bzw. Calciumpropionat, das heute unter dem Handelsnamen Propicum vertrieben wird.
Mehr Informationen:
www.propicum.com
neurologie.klinikum-bochum.de