Segway für Rollstuhlfahrer

Quasi schwebend: Einmal korrekt eingestellt, lässt sich der F2 mühelos dirigieren.
Quasi schwebend: Einmal korrekt eingestellt, lässt sich der F2 mühelos dirigieren.

„Bremsen. Bremsen!“ Die ersten Meter, die ich mit einem, nun, nennen wir es einmal „Rollstuhl“ der gänzlich anderen Art zurücklege, kurbeln die Adrenalinproduktion an. Nicht meine, sondern die des jungen Mannes, der mich in die Handhabung des Gefährtes einweist. Schauplatz des Geschehens: Die Produktionshalle der Schorndorfer Freee Mobility GmbH. Ich drehe meine ersten Runden mit einem Freee F2.

Ich gebe zu, auf diese Teststellung war ich neugierig. Als ich vor einigen Jahren das erste Mal für Rollstuhlnutzer umgerüstete Segways auf einer Messe gesehen hatte, war ich sofort von dem Konzept angetan. Das eigentliche Prinzip des aus den USA stammenden Gefährtes ist das eines elektronisch ausbalancierten Zweirads, bei dem die beiden Räder parallel zueinander platziert sind, mit einer dazwischen angebrachten Stehfläche, vor der eine Art Lenker in die Höhe ragt. In den beiden Rädern befinden sich elektrische Nabenmotoren, die für einen zügigen Vortrieb sorgen. Beschleunigt und gebremst wird über die Verlagerung des Körperschwerpunktes nach vorne oder nach hinten.

Dafür, dass bei diesem auf den ersten Blick gewagt wirkenden System die Sicherheit nicht zu kurz kommt, sorgt ein hochkomplexes technisches Innenleben mit mehreren Gyroskopen, Rechnern und Steuerelementen, das Nutzer und Gefährt zuverlässig in der Balance hält. Unterdessen sind Segways ein fast schon gewohnter Anblick im Alltag. Die Stehgefährte kommen auf Flughäfen und Golfplätzen zum Einsatz, Stadterkundungen mit dem in Fußgängerzonen und Parks gleichermaßen wie auf Gehwegen erlaubten Mobil sind ein in vielen Städten angebotener Spaß für Touristen.

Segway für Rollstuhlfahrer

Aber warum der pfiffigen Idee nicht weitere Einsatzgebiete erschließen? Wie wäre es zum Beispiel mit einer Sitz-Variante für mobilitätseingeschränkte Nutzer? Die Frage wurde in einschlägigen Kreisen eine ganze Weile diskutiert. Für die meisten Rollstuhlfahrer endet die Welt dort, wo der Untergrund unwegsam wird. Ob Feldweg oder Wiesenhang, Waldpfad oder Meeressaum – für derlei Geläuf sind weder Aktiv- noch Elektrorollstühle wirklich konzipiert. Der Segway mit seiner konstruktiv bedingten Geländetauglichkeit indes durchaus. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich Tüftler an einen Zwitter aus Rollstuhl und Segway wagen sollten.

Unterdessen sind einige Anbieter am Markt, und einer davon ist das in Schorndorf beheimatete Unternehmen Freee Mobility. Mit dem Freee F2 haben die Schwaben ein zur Serienreife gediehenes Fahrzeug entwickelt, das Rollstuhlfahrern die Vorzüge des Segway-Konzeptes erschließt. Statt der Stehfläche ist zwischen den Rädern ein komfortabler Sitz platziert. Zahlreiche Anpassungen und ergänzende Sicherheitselemente machen den F2 auch für mobilitätseingeschränkte Nutzer sicher beherrschbar. Mitte Januar war es so weit. Ich nahm einen Freee F2 für einen dreiwöchigen Test in Empfang.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich war in diesen drei Wochen weder im Wald noch am Meer noch auf Wiesen unterwegs. Alles, was der F2 an Geländegängigkeit zu bieten hat, blieb aus einem ganz simplen Grund unerprobt: Konstante Temperaturen um den Gefrierpunkt herum sorgten für abwechselnd verschlammtes oder vereistes Terrain. Und wie viele andere Rollstuhlfahrer auch, habe ich meine liebe Not mit Minustemperaturen, egal wie warm ich mich einpacke. Stundenlange Ausritte ins Gelände, noch dazu fast ohne eigenen Körpereinsatz – daran war nicht zu denken. Was also tun? Die Lösung des Problems boten einige zehntausend Quadratmeter eben erst eingeweihter Stuttgarter Ladenpassagen und der Einsatz des F2 beim Besuch der passenderweise gerade vor meiner Haustür stattfindenden CMT. War das nun, als erprobte ich einen Geländewagen ausschließlich in der City? Ganz und gar nicht. Vielmehr überraschte mich der F2 mit Eigenschaften, über die ich mir vorher überhaupt keine Gedanken gemacht hatte.

Hingucker: Überall zog mein feuerrotes Gefährt neugierige Blicke auf sich.
Hingucker: Überall zog mein feuerrotes Gefährt neugierige Blicke auf sich.

Das ideale Stadtmobil

Fahranfängern gibt die mit einer Unzahl von Warnhinweisen versehene, gut neunzig Seiten starke Bedienungsanleitung die Warnung mit auf den Weg, keinesfalls „in der Nähe von Kindern, Fußgängern, Haustieren, Fahrzeugen, Fahrrädern oder sonstigen Hindernissen und potentiellen Gefahrenquellen“ zu fahren. Über diesen Rat setzte ich mich beherzt hinweg, indem ich als erste Aktion den Besuch der Urlaubs-Messe CMT in Angriff nahm und mich mit dem F2 unter die Menschenmassen des gut besuchten Ereignisses mischte. Ganz offensichtlich ist die Sitzvariante des Segway ein noch nicht annähernd so gewohnter Anblick wie das Urmodell, denn auf Schritt und Tritt wurde ich auf mein knallrotes Gefährt angesprochen und wo nicht angesprochen, von neugierigen Blicken verfolgt. Ich gab gerne Auskunft, bummelte an Ständen entlang, rangierte den F2 rückwärts in Aufzüge, bewältigte Pendeltüren, Rampen und enge Passagen und dachte schon nach kurzer Zeit gar nicht mehr über meine Art der Fortbewegung nach.

Das gleiche einige Tage später: Die Erkundung der kurz vor Weihnachten eröffneten neuen Shopping-Meile „Milaneo“ in Stuttgart stand auf dem Programm. Das weitläufige Gebäudeensemble beherbergt auf über 40.000 Quadratmetern Fläche an die 200 Geschäfte, Restaurants und Dienstleistungsbetriebe, so dass allerlei Praxistests zu bewältigen waren: Stöbern in den Auslagen von Boutiquen, zwischen Kleiderständern und Jeansstapeln auf Beutefang gehen, stärkender Zwischenstopp an einem Imbiss, mit einem Kaffee in der Hand an Schaufenstern entlangbummeln. Es dauerte diesen und noch etliche weitere Tage F2-Gebrauch, bis der Groschen fiel. Die ganze Zeit hatte ich mich gefragt, was anders war als sonst, und schließlich kam ich darauf: Die durch und durch intuitive Bedienbarkeit des Gefährtes bewirkte, dass ich mich förmlich in meine Zeit als Fußgänger zurückversetzt fühlte.

Anders als bei anderen elektrisch unterstützten Gefährten erfolgt die Kommunikation mit dem F2 praktisch ohne Hebel, Schalter oder Displays, allein durch Gewichtsverlagerung und minimale Impulse über den Lenker. Das Gefährt wird in Sitzhöhe und Fußstützenpositionierung einmal auf die Körpermaße seines Benutzers eingestellt. Dieser muss, was Lähmungshöhe und Körperstabilität betrifft, in der Lage sein, frei zu sitzen, um sich sowohl vor- als auch zurückbeugen zu können, ohne die Balance zu verlieren. In meinem Fall reagierte der F2 nach dieser Anpassung so mühelos und millimeterpräzise, dass ich schon nach kurzer Zeit das Gefühl hatte, er könne meine Gedanken lesen und ausführen. Ich fühlte mich nicht wie in einem Rollstuhl, eher wie in einer Sänfte. Hätte ich mich bei schönstem Sommerwetter aufgemacht, mit dem F2 Gelände jenseits der sonst üblichen und möglichen Pfade zu erkunden, wäre mir diese Entdeckung vielleicht verwehrt geblieben. Das wäre bedauerlich gewesen, denn diese Art der Fortbewegung birgt Suchtpotential! Der F2 mag das Zeug zum Querfeldein-Rollstuhl haben, aber er ist auch das perfekte Stadtmobil.

Alles im grünen Bereich: Ein Zusatzdisplay steuert wesentliche Sicherheitsfunktionen
Alles im grünen Bereich: Ein Zusatzdisplay steuert wesentliche Sicherheitsfunktionen

Viel Technik für viel Geld

Die Leichtigkeit der Handhabung kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der dahinter stehende technische Aufwand beträchtlich ist. Das Segway an sich ist schon ein komplexes Hightech-Gebilde, umso mehr gilt dies für den mit zahlreichen Modifikationen aufgerüsteten F2. Ein zusätzliches Display informiert nicht nur über den jeweiligen Betriebszustand, es steuert auch den Einsatz der elektrisch ausfahrbaren Stützen. Die kommen bei längeren Pausen und während der Transfers zum Einsatz, fahren aber auch automatisch aus, wenn das System einen unstabilen Zustand erkennt.

Alle sicherheitsrelevanten Komponenten werden von einer separaten Stromquelle gespeist, die über einen eigenen Zugang während des Auftankens der Akkus mit aufgeladen wird. Was die Freee Mobility GmbH am Kern-Segway ergänzt und hinzugefügt hat, wirkt ausnahmslos ursolide und ist von handwerklich tadelloser Qualität – der komfortable Sitz mit den vertrauenerweckenden, für die Transfers abklappbaren Seitenlehnen ebenso wie die Beleuchtungsanlage, das Chassis und die stabile, verstellbare Fußstütze.

Dass all dies in Gewicht und Preis seinen Niederschlag findet, kann nicht verwundern. Wer den F2 im Auto transportiert, braucht als Rollstuhlfahrer zum Ein- und Ausladen Hilfe, denn 60 Kilo wollen bewältigt sein. Relativ einfach geht das mit mobilen Aluschienen, denn das eingeschaltete Gefährt unterstützt die Prozedur im Schiebemodus mit eigener Motorkraft.

Die größte Hürde dürfte für die meisten Interessenten indes der Preis sein. Die für maximal 20 km/h zugelassene Version kostet rund 18.000 Euro, die bis 10 km/h freigeschaltete Variante etwas mehr als 16.000 Euro. Beide Fahrzeuge sind identisch. Der Preisunterschied ergibt sich lediglich aus der Mehrwertsteuerdifferenz, denn der langsamere F2 wird als Elektrorollstuhl mit nur 7 Prozent versteuert. Abgesehen von speziellen, begründeten Einzelfällen werden sich Kostenträger wohl eher zurückhalten. Wem das lifestylige Spaßmaschinchen so viel wert ist wie ein neuer Kleinwagen, der wird es, die Prognose wage ich, rasch nicht mehr missen wollen.

Und wie bewährt sich der F2 nun in der freien Natur, jenseits von Asphalt und Gehwegen? Das werde ich im Sommer herausfinden, Teil 2 des Tests ist schon in Planung. Sie sind neidisch? Zu Recht!

Werner Pohl

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (01/2015).
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