Von Porto nach Santiago de Compostela – Im Rollstuhl auf dem Jakobsweg

Joggen, Radeln, Wandern, Pilgern, alles kein Thema für einen junggebliebenen 75-jährigen Kaufmann wie mich, Peter Frohn. Doch dann, von einem Tag auf den anderen, zerstört eine schwere Gehirnblutung alles. Soll es das etwa gewesen sein? Nein! Ich setze mir ein Ziel: Nochmals den Jakobsweg erleben und Santiago de Compostela erreichen. Im März 2015 entwickeln sich mein Wunsch zum Plan und der Plan zur Realität. 250 km auf dem Jakobsweg: von Porto/Portugal nach Santiago de Compostela/Spanien im Rollstuhl.

Jakobsweg_Rollstuhl

Das mutige Team, das mich begleitet, setzt sich zusammen aus meiner Ehefrau Renate, meinem langjährigen Freund Martin, er ist Arzt, seiner Ehefrau Heike und den früheren Reisefreunden Peter und Wolfgang. Die Firma Invacare beteiligt sich mit großem Engagement und sponsert einen super Outdoor-Rollstuhl, den küschall Compact.

Der Weg:

Am 18. August 2015 ist es soweit. Ich, Peter Frohn, gehandicapt im Gehen, Atmen und Schlucken, schwanke zwischen Ängsten, Freude und Unsicherheit. Doch alles klappt prima: Flughafentransfer, Rollstuhlservice und Flug. Den zweiten Tag haben wir für Porto reserviert. Wir sind hocherfreut und überrascht, denn die Gehsteige in der Altstadt sind fast überall abgeschrägt, die Metro ebenerdig zum Reinfahren und auch die Seilbahn ist kein Problem für mich und den Rollstuhl.

Wir genießen das Flair dieser Stadt am Berg, befahren die Eiffelbrücke und tanken bei herrlichem Sonnenschein für unser Vorhaben auf. Ab dem dritten Tag geht’s richtig los. Unsere Tour sieht 16 Etappen vor, zwischen 11 und 18 km-Strecken, in drei Wochen. Unser Weg führt uns von Porto, Vila do Conde, Barcelos, Ponte de Lima, Vigo, Valenca über die internationale Brücke nach Tui, Redondela, Pontevedra, Caldas de Reis, Padron nach Santiago de Compostela. Die ersten Tage der Wanderung sind beeindruckend und wegetechnisch sehr entspannend. Bei Sonnenschein, der sich nach dem morgendlichen Nebel zeigt, rollen wir butterweich auf Holzstegen. Sie sind hervorragend zu befahren und so kann ich den Blick auf den Atlantik, den Sandstrand und die Dünen absolut genießen.

Am Tag fünf geht es leider wieder weg vom Strand. Der Camino, der Weg, führt uns ins Landesinnere, stets gen Norden. An den darauffolgenden Tagen sind die Routen sehr unterschiedlich. Wir befahren zum Teil gewaltige Steigungen, Pässe und Gefälle, steile Wege, Asphaltstrecken, Brücken, Waldwege, Bundesstraßen, Feldwege, Gehsteige und immer wieder unerträgliches Kopfsteinpflaster. Kurz vor Ponte de Lima, nach ca. 18 km, davon bestimmt 10 km Kopfsteinpflaster, halte ich es fast nicht mehr im Rollstuhl aus. Alles tut mir weh, sogar die Ohren. Ich bin von dem Gerüttel so wütend geworden, dass ich im endlich erreichten Cafe lauthals brülle: „ Ich könnte alle Kopfsteinpflaster der Welt erwürgen!“. Beim allabendlichen gemeinsamen Essen im Lokal können wir schon wieder herzhaft darüber lachen. Was mir nicht bewusst war, meinen „Schieber“, den Peter, hat es ja ebenfalls stundenlang durchgerüttelt.

Jakobsweg_Rollstuhl_Kopfsteinpflaster
Unerträgliches, kilometerweites Kopfsteinpflaster.

Am nächsten Tag geht es weiter in Richtung Valenca. Zunächst ist der Weg sehr idyllisch zwischen einfachen Landhäusern und Bauernhöfen. Leider müssen wir dann etwas vom ursprünglichen Weg abweichen, da er nicht mehr ganz rollstuhlfreundlich ist. Nach einigen Kilometern können wir dann wieder auf den Jakobsweg zurück und befahren einfache Dorfstraßen. Plötzlich beginnt es zu regnen und stark zu stürmen und es wird unangenehm kalt. Also heißt es für uns: Regenklamotten raus, was für mich im Rollstuhl sehr aufwendig ist, da ich noch zusätzlich eine Regenhose anziehen muss und für den Rollstuhl einen Regenüberwurf brauche.

IMG-20150829-WA0049
Steile unbefestigte Wege brachten das Team an seine Grenzen.

Wir sind mitten im Nirgendwo, also müssen wir bei dem Wetter weiterfahren, es hilft ja nichts. Am neunten Tag sind wir in Valenca angekommen und besichtigen erstmal in Ruhe die Gassen und die gigantische Festung. Über die internationale Brücke verlassen wir dann Portugal und gelangen nach Galicien in Spanien. Hier bestaunen wir die massive, wie eine Burg wirkende, Kathedrale von Tui. Bei einer Runde „Cerveza con Limon“, im Schatten der Kathedrale, spricht uns eine deutsche Pilgerin ganz aufgeregt an: „Man spricht überall auf dem Jakobsweg und in den Herbergen von Euch!“. Es geht weiter. Um die malerischen Städte Pontevedra und Calda de Reis zu erreichen, rollen wir bergauf und bergab, durch Wälder, Wiesen und Dörfer, über viele alte Brücken und vorbei an alten Klöstern. Manche Pässe waren schon sehr hoch, dafür belohnt uns aber eine wunderbare Aussicht. Auf dem Weg nach Padron teilen uns Steinsäulen, die mit einer Jakobsmuschel gekennzeichnet sind, mit, wie viele Kilometer es noch bis Santiago sind. Wir nähern uns langsam, aber sicher dem Ziel. Bevor es nach Santiago geht, legen wir in Padron noch einen Zwischenstopp ein und verbringen dort die Nacht.

 

Das Ziel:

Der 4. September 2015 ist unser Tag. Nach einem reichlichen Frühstück geht es los. Wir wandern durch Dörfer, Wälder und Vorstadtsiedlungen. Und dann, weit hinten am Horizont sehen wir Santiago de Compostela und die Kathedrale. Um dort hinzugelangen, müssen wir allerdings erstmal ganz runter ins Tal, um dann wieder 260 Höhenmeter hochzulaufen beziehungsweise hochzurollen. Von allen Wegen, in fast drei Wochen, ist dies der schwierigste und grenzwertigste Abschnitt für mich und das Team. Stück für Stück arbeiten wir uns nach unten. Und nun Endspurt: Es geht ab jetzt immer steil bergauf.

Voller Ehrgeiz erkämpfen wir uns den Weg nach oben. Vorbeikommende Pilger beklatschen uns und feuern uns sogar an. Am Nachmittag erreichen wir erschöpft, aber überglücklich, die Altstadt und die Kathedrale von Santiago de Compostela. Ein unbeschreibliches Gefühl – wir haben es gemeinsam geschafft! Tränen fließen, viele Umarmungen, auch mit Menschen, die ebenfalls angekommen sind, Sekt und natürlich viele Fotos, die diesen Moment festhalten.

Im Pilgerbüro holen wir unsere Compostela (Pilgerurkunde) ab und werden von der Deutschen Pilgerseelsorge herzlichst empfangen und beglückwünscht. Sogar die deutschsprachige Sonntagsmesse gilt unserer Gruppe und besonders mir, wurde uns erzählt. Diesen Segen und diese Kraft, dieses Erfolgserlebnis und die Freude nehmen wir alle mit in unseren Alltag, denn wir sind immer auf dem Weg, heißt es! – Buen Camino –

Peter Frohn und Renate Frohn-Neugart

Weitere Artikel

Letzte Beiträge