Zehn Jahre Automobilität aus Rheinland-Pfalz

Handicap mobil ist ein Familienunternehmen, wie es im Buche steht. Vater Harald Gasenzer arbeitet Seite an Seite mit seinen beiden Söhnen und seinem Partner Stefan Schützeberg. Menschen mit Behinderung mobil zu machen – das ist ihr Auftrag. Und das Unternehmen wächst stetig. Im Juli wurde der neue Firmensitz in Nieder-Olm eingeweiht.

Der einstige Zwei-Mann-Betrieb hat sich zu einer Firma mit respektabler Größe entwickelt, die heute acht Voll- und drei Teilzeitkräften einen Arbeitsplatz bietet. Mit dem Umzug von Mainz in das nahegelegene Nieder-Olm ist handicap mobil deutlich gewachsen. Ob Handgas, Heckeinstieg, Hebelift, Schwenksitz, Rollstuhlverladung oder Pedal-Umbau – auf rund 1.200 Quadratmetern bietet das Unternehmen alles, was Menschen mit körperlicher Behinderung zu automobiler Mobilität verhilft. Die Kunden kommen aus ganz Deutschland.

(v.l.n.r.) Harald Gasenzer, Matthias Gasenzer, Kunde Ralph Rücker, Stefan Schützeberg und Oliver Gasenzer.
(v.l.n.r.) Harald Gasenzer, Matthias Gasenzer, Kunde Ralph Rücker, Stefan Schützeberg und Oliver Gasenzer.
Foto AWS/Scharfenort

Pionier unter den Umrüstern

Das Geschäftsmodell von handicap mobil basiert auf mehreren Standbeinen: „Wir sind nicht nur Fahrzeugumrüster, sondern auch Händler und Produzent“, berichtet der 63-jährige Gasenzer. Unmittelbar nach der Gründung entwickelten die Mainzer ein eigenes Linksgas für Beinamputierte, das nicht auf ein spezielles Auto zugeschnitten ist, sondern universell eingesetzt werden kann. Heute ordern Fahrzeugumrüster aus ganz Europa das Produkt, zudem kann auch ein Autohaus den Umbau problemlos vornehmen. Besonders stolz ist man bei handicap mobil auf einen eigenen Lenkradkombinationsknopf, mit dem beim Fahren mit Handgas die Funktionen Blinker, Hupe, Licht und Scheibenwischer bedient werden können, ohne die Hand vom Steuer zu nehmen. Die Idee und Entwicklung dazu beruht auf den Erfahrungen der beiden Gründer. Mit dem Hintergrund, dass der neue Knopf die Probleme der am Markt befindlichen Systeme mit den getrennten Bedieneinheiten (Drehknopf und Fernbedienung) beheben sollte, wurde die Neuentwicklung angestoßen.

Qualität made in Germany

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Beim LENKOK Lenkradkombinationsknopf sind die Funktionen eines Drehknopfes mit denen der Fernbedienung kombiniert. Foto: handicap mobil

Die Entwicklung des neuen Lenkradkombinationsknopfes begann ein Jahr nach der Firmengründung. Ergebnis ist ein sich mit dem Lenkrad mitdrehender Knopf mit integrierter elektronischer Bedieneinheit, die mit sieben Tasten alle wichtigen Funktionen abdeckt. Bei der Produktion der Einzelteile und der Endfertigung setzt die handicap mobil GmbH nach wie vor auf den Standort Deutschland. „Wir haben uns zwar auch schon mal ein Angebot aus Asien eingeholt, bei unserer geringen Stückzahl lohnt sich die Produktion dort aber einfach nicht“, betont Gasenzer. Da die Fertigung und Entwicklung in Deutschland stattfindet, konnte der LENKOK auch problemlos weiterentwickelt werden. Dies bedeutet z.B. dass der Knopf nun seine Verbindung per Funk aufbaut und nicht mehr per Infrarot wie in den Anfängen.

Den Knopf verbaut handicap mobil nicht nur in der eigenen Werkstatt, sondern vertreibt ihn in ganz Europa – an Fahrzeugumrüster, aber auch an Händler, die das Produkt dann wiederum unter eigenem Namen verkaufen. Außerdem hat handicap mobil auch einen eigenen Heckausschnitt für diverse Fahrzeuge, wie z.B. den VW Caddy und den Citroen Berlingo entwickelt, damit Rollstuhlfahrer ohne Umsetzen in das Fahrzeug einfahren können. Auch in diesem Bereich wurden Weiterentwicklungen vorangetrieben, so dass in Zusammenarbeit mit einem Partner eine vollwertige Luftfederung angeboten werden kann. Diese ersetzt die original Blattfedern, was den Fahrkomfort für den Rollstuhlfahrer deutlich erhöht.

Am neuen Standort werden die Kunden in einer großzügigen Empfangshalle begrüßt. Foto: handicap mobil
Am neuen Standort werden die Kunden in einer großzügigen Empfangshalle begrüßt. Foto: handicap mobil

Die Zukunft ist gesichert

Die Investition in den neuen Standort hätte Gasenzer ohne seine beiden Söhne nicht gewagt. „In absehbarer Zeit möchte ich etwas kürzer treten und meinen Söhnen irgendwann ganz das Feld überlassen“, erzählt Gasenzer mit hörbarem Stolz. Sohn Oliver ist Kfz-Meister, war nach der Firmengründung der erste Angestellte und ist bereits zehn Jahre im väterlichen Betrieb tätig. Matthias hat den Beruf des Industriekaufmanns gelernt und anschließend BWL studiert. „Mit der technischen und kaufmännischen Seite meiner Söhne und dem Know-How meines Partners Stefan Schützeberg ist alles abgedeckt“, meint Gasenzer optimistisch. Bereut hat er den Schritt in die Selbstständigkeit nie. „Wenn man mit 52 noch mal neu anfängt, sich selbstständig macht, dann ist das ein ganz schönes Kribbeln“, erinnert er sich.

Die direkte Arbeit mit den Endkunden, die er im eigenen Betrieb viel mehr als früher hat, habe ihm in gewisser Weise auch neue Sichtweisen auf das Leben eröffnet. Denn auf die Frage, ob er nie Angst vor dem Scheitern hatte, antwortet Gasenzer: „Ich habe zu meiner Frau gesagt: ‚Was haben wir eigentlich für ein Problem? Wir haben das Glück, gesund zu sein – wenn wir scheitern, bleiben uns noch so viele andere Möglichkeiten.’“ Die Tatsache, einen Familienbetrieb zu führen, schätzt Gasenzer sehr. Einfach war es aber nicht immer. „Trotz der lockeren familiären Atmosphäre muss man manchmal auch mal Chef sein“, resümiert Gasenzer und lacht.

Eric Scharfenort

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (03/2016).
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