Menschen mit Einschränkungen brauchen verlässliche und erreichbare Strukturen!

Immer mehr Ärzte auf dem Land gehen in Rente – und das Krankenhaussterben setzt sich besonders bei kleinen Kliniken in der Peripherie massiv fort. „Die Gesundeitsversorgung steht am Wendepunkt und muss dringend reformiert werden!“, fordert der Sozialberater der Anlaufstelle „Beratung mit Handicap“, Dennis Riehle (Konstanz). „Zwar müssen wir mehr junge Menschen für das Medizinstudium und eine spätere hausärztliche Tätigkeit auch außerhalb der Städte begeistern. Das alleine genügt jedoch nicht, um eine zukunftsfeste Betreuung einer älter und damit kränker werdenden Gesellschaft zu gewährleisten. Vielmehr wird es auf ein Umdenken ankommen, das am Ende einerseits zur Einsicht führen muss, dass das Gesundheitswesen nicht länger als Teil der Wirtschaft mit Profitstreben verstanden werden darf. Krankenhäuser müssen zurück in die öffentliche Hand. Und Arztpraxen muss der ökonomische Druck genommen und sie gegebenfalls subventioniert werden, denn Daseinsvorsorge kann und soll nicht über die Maßen hinaus rentabel sein.“ Und Vereinsvorsitzender Klaus Heidrich ergänzt: „Besonders behinderte Menschen brauchen eine zuverlässige und überall in der Rebublik erreichbare Versorgung, egal, ob im urbanen oder ländlichen Bereich. Dafür wird es nötig sein, neue Konzepte zu entwickeln. Wo Kliniken und einzelne Arztpraxen nicht mehr gehalten werden können, bedarf es Gesundheitszentren verschiedener Kompetenzen, in die (zahn-)medizinische, psycho-, ergo-, physioherapeutische, lohopädische, podologische und gleichsam pflegerische und pharmazeutische Dienste integriert werden und die gleichsam aufsuchend tätig sind. Dabei müssen die bisherigen, an Stadt- und Landkreis-Grenzen oder einzelnen Fachrichtungen endenden Sektoren überwunden werden. Für Behandlungen und Eingriffe, die keine Ausstattung der Zentral- oder Maximalversorgung benötigen, sollte vermehrt auf ambulante und teilstationäre Settings gesetzt werden. Interdisziplinäres Denken und Handeln wird gefordert sein, ein Miteinander muss die Eitelkeit einzelner Gesundheitsdienstleister ersetzen.“
Berater Riehle kann sich dabei auch gut vortstellen, dass Prozesse so weit wie möglich digitalisiert werden: „Telemedizin sollte dann, wenn ein persönliches Erscheinen des Patienten für Diagnostik und Behandlung nicht gebraucht wird, vermehrt zum Einsatz kommen und mithilfe eines Ausbaus elektronischer Verwaltungsabläufe – beginnend bei Online-Krankschreibung über direkte Übermittlung von Rezepten zwischen Praxis und Apotheke bis hin zum Austausch von ärztlichen und therapeutischen Briefen über gesicherte und gleichsam papierlose Kommunikationswege – die Bürokratie abbauen und Zeit für mehr präventive und kurative Aufgaben schaffen. Datenschutz und manch deutsche Verkopftheit dürfen diese Fortentwicklung nicht im Wege stehen. Gemeinsam mit sozialpsychiatrischen, gerontologischen und palliativen Fachkräften sollten sie vor allem für chronisch kranke, ältere und Menschen mit Handicap eine regelmäßig ansprechbare, betreuende und vorbeugende Anlaufstelle sein, welche auch daheim besucht und abklärt, welcher Unterstützungsbedarf akut oder langfristig gegeben ist.“ Schlussendlich brauche es auch ein Erstarken der nachbarschaftlichen Vereine in Dörfern und Ortschaften, die im zivilgesellschaftlichen Gedanken Hilfe am Nächsten leisten und Dienste übernehmen, die Pflege- oder Sozialstationen entlasten. „Spazierengehen, zum Arzt fahren, Tablets für die Videosprechstunde einrichten, kochen oder auch vorlesen: Durch solche Leistungen kann sogar die zunehmende Anonymisierung der Menschen verlangsamt und die Anforderungen des Demografischen Wandels auf viele Schultern verteilt werden“, meint Dennis Riehle. „Gesundheit zu fördern, dafür bedingt es mehr und mehr eines ganzheitlichen Ansatzes, an dem unterschiedliche Partner mitwirken und denen wir unser Vertrauen schenken müssen. Das Wohlbefinden von morgen kann nicht mehr alleine durch den Land- oder Facharzt sichergestellt werden, das macht uns schon jetzt der medizinische Fachkräftemangel deutlich. Deshalb sollten wir uns daran gewöhnen, die Versorgung zukünftig in mehrere Hände gleichzeit zu legen. Damit steigern wir auch die Wichtigkeit nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe und unterstreichen deren Bedeutung für unser System, welche nicht zuletzt auch eine bessere Bezahlung dieser Jobs mit sich bringen muss“, sagt Klaus Heidrich abschließend.

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