Ulla Schmidt über Grundsicherung: „Nach dem Detmolder Urteil muss die Bundesregierung endlich handeln“

Gemeinsam mit der Lebenshilfe haben Kim-Lea Glaub (19) und ihre Mutter Karin es geschafft: Das Sozialgericht Detmold gibt ihnen Recht und verurteilt die Stadt Herford dazu, der jungen Frau mit Behinderung, die seit einem Jahr verweigerten Leistungen der Grundsicherung auszuzahlen (Urteil vom 14. August 2018, Aktenzeichen: S 2 SO 15/18).

„Wir sind sehr froh über diese Entscheidung“, so die Mutter der Betroffenen. „Was uns aber weiter ärgert, ist, dass wir überhaupt klagen mussten. Die Haushaltskassen sind voll und die Steuergelder sprudeln. Warum versucht man dann trotzdem, an den Schwächsten der Gesellschaft zu sparen? Auch wissen wir noch nicht, ob die Stadt Berufung einlegen wird“, befürchtet die Mutter.

Ihr Kind hat das Down-Syndrom und lernt gerade im Berufsbildungsbereich der Herforder Lebenshilfe-Werkstätten. Die Arbeit gefällt ihr, aber dann wurde ihr plötzlich die Auszahlung der Grundsicherung verwehrt – wie Tausenden anderen, meist jungen Erwachsenen mit Behinderung in Deutschland auch. Für die Herforderin, die seit ihrem 18. Geburtstag wegen ihrer Erwerbsminderung eigentlich Anspruch auf Grundsicherung gehabt hätte, geht es um viel Geld: Monat für Monat musste sie auf 416 Euro verzichten, Mehrbedarfe sowie Kosten für Miete und Heizung nicht eingerechnet. Der Grund: Die Neufassung eines Paragrafen im Sozialgesetzbuch. Gegen diesen Missstand hatte die Familie mit Unterstützung der Lebenshilfe vor dem Sozialgericht Detmold geklagt.

Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales versteht die neue Vorschrift so, dass die dauerhafte und volle Erwerbsminderung von Beschäftigten in der Werkstatt für behinderte Menschen erst nach Ende des Berufsbildungsbereichs festgestellt werden könne. Bis dahin sei eine Entwicklung denkbar, die den Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt ermögliche. Für die Lebenshilfe ist diese Rechtsauslegung nicht akzeptabel. Nur wenige Werkstattbeschäftigte schaffen es auf den ersten Arbeitsmarkt. „Nach dem Detmolder Urteil muss die Bundesregierung endlich handeln“, so Bundesvorsitzende Ulla Schmidt, MdB und Bundesministerin a.D.

Auf der ganzen Linie bestätigt nun das Sozialgericht Detmold die Auffassung der Lebenshilfe. Da Kim-Lea Glaub die Voraussetzungen für den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung erfüllt hat, „ist bei der Klägerin ohne weitere Prüfung von einer vollen Erwerbsminderung auszugehen“. Weiter: „In dieser Phase geht es vielmehr darum, wie und wo der Proband einen seinen Funktionseinschränkungen und seinen Interessen gerecht werdenden Platz in der Werkstatt für behinderte Menschen finden kann oder ob er vielleicht sogar so sehr eingeschränkt ist, dass auch dieses nicht möglich ist.“

Ulla Schmidt: „Es gibt mehrere Urteile, die eine klare Sprache sprechen. Wie lange sollen die Menschen mit Behinderung noch auf ihr Geld warten?“ Die Forderung der Lebenshilfe: Das Bundessozialministerium solle seine Rechtsauffassung an die eindeutige Rechtsauffassung der Gerichte angleichen. Zudem soll der Deutsche Bundestag das Gesetz so ändern, dass künftig voll und vorübergehend erwerbsgeminderte Menschen gleichermaßen Anspruch auf Grundsicherung erhalten. Damit würde das Problem auf Dauer gelöst werden.

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