E-Hockey-WM in München: Die Deutschen sind Sieger der Herzen

Oswald Utz (links im Bild), Organisator der E-Hockey WM feiert mit dem Deutschen Team. Foto: Susanne Böllert
Oswald Utz (links im Bild), Organisator der E-Hockey WM feiert mit dem Deutschen Team. Foto: Susanne Böllert

„1.500 Leute auf der Eröffnungsfeier! Ein voller Erfolg! Wir hätten mit maximal 500 Zuschauern gerechnet“, sagt Oswald Utz und strahlt über das ganze Gesicht. Eben ist der Behindertenbeauftragte und erste Stadtrat Münchens im Rollstuhl in das Eissportzentrum des Münchener Olympiaparks gerollt, dem Ort, an dem vor zwei Tagen der Startschuss zur 3. Elektrorollstuhl-Hockey-WM gefallen war. Doch ist Utz an diesem schwülen Freitagmittag weniger in seiner Funktion als Politiker, sondern als flammender Fan ins Olympia-Eissportstadion gekommen.

Denn Oswald Utz gehört zu den Mitbegründern des E-Rolli-Hockeys in Deutschland. Und der Nationalspieler mit der 8, der mit seinen vier Mannschaftskollegen seit ein paar Minuten über das 26 mal 16 Meter große Spielfeld donnert, ist sein kleiner Bruder: Stefan Utz. Wir sehen die erste Halbzeit des letzten Vorrundenspiels der Deutschen. Es gilt, den Gegner Italien zu schlagen. Denn, wenn dann noch Belgien gegen Finnland verliert, könnten sie noch ins Halbfinale kommen – trotz der beiden Niederlagen in den ersten beiden Vorrundenspielen. Die vergebenen Torchancen tun weh und müssen jetzt unbedingt wieder gut gemacht werden.

Stefan Utz, der jüngste von drei Brüdern, rangelt um den kleinen weißen Plastikball, düst mit 10 km/h – auf diese Höchstgeschwindigkeit werden die E-Rollstühle bei WMs gedrosselt – um den Gegner herum und ruft seinen Mitspielern Anweisungen zu. Die hohe Stimme des kleinen Mannes mit den Glasknochen überschlägt sich. Hier geht‘s ums Eingemachte. Der Einzug ins Halbfinale ist das erklärte Ziel der Gastgeber und Titelverteidiger.

Hoher organisatorischer Aufwand

Doch nicht nur sportlich gibt Stefan Utz alles: Außer, wie schon 2010 in Italien, im deutschen Kader zu spielen, ist der zierliche, aber zähe Mann der Kopf des diesjährigen WM-Organisationsteams. Stefan und Oswald sowie ihrem Bruder Roland, ehemaliger Nationalspieler und amtierender Abteilungsleiter der E-Hockey-Mannschaft „Munich Animals“, sowie ihren über 100 ehrenamtlichen Helfern ist es gelungen, für fünf Tage im August ein beeindruckendes sportliches und logistisches Großereignis nach München zu bringen. 80 internationale Spieler im Rollstuhl plus Betreuer und Trainer unterzubringen und mehrmals am Tag hin- und her zu kutschieren, einen passenden Austragungsort zu finden, ausreichend Unterstützer zu mobilisieren – das schafft man nicht im Handumdrehen. Ein Jahr haben die Vorbereitungen gedauert. Die politische Vernetzung der Utz-Brüder in München sowie im Deutschen Rollstuhlsportverband (DRS) und dem Deutschen Behindertensportverband (DBS), dem Ausrichter der WM, war natürlich hilfreich. Aber ohne den Kampfgeist der drei Männer mit Glasknochen wäre es in dem altehrwürdigen Eissportstadion sicher nicht zu diesem internationalen Kräftemessen stark behinderter Sportler gekommen.

Die Deutsche Mannschaft bei der Teambesprechung vor dem Spiel gegen Italien. Foto: EWH2014
Die Deutsche Mannschaft bei der Teambesprechung vor dem Spiel gegen Italien. Foto: EWH2014

Politischer Hintergrund der E-Hockey WM

Welche Bedeutung diese WM im Rollstuhl hat, war der Stadt München früh bewusst. Sie unterstützte die Organisatoren um Stefan Utz mit 230.000 Euro und machte so erst eine Bewerbung um die Ausrichtung möglich. Bei der feierlichen Eröffnung der Spiele sagte Münchens 3. Bürgermeisterin Christine Strobl: „Wir sind besonders stolz, erstmalig Gastgeber dieser Weltmeisterschaft zu sein und freuen uns, ein weiteres Sporthighlight der Spitzenklasse zu präsentieren.“ Die Gleichstellung benachteiligter Menschen und die Förderung der Inklusion im Sport gehöre für die Landeshauptstadt zum Selbstverständnis.

Dass die Worte der Bürgermeisterin nach dem Ende der WM nicht folgenlos verhallen, hofft vor allem Oswald Utz. Am Rande des Spielfeldes, auf dem Italien und Deutschland erbittert um Ballbesitz und Torchancen kämpfen, sagt der Stadtrat: „Es ist so eine geile Stimmung in der Stadt. Das Personal des Leonardo-Hotels, wo alle Teams untergebracht sind, berichtet uns, welches Sportflair bei ihnen herrscht. Die Süddeutsche Zeitung hat ihren Sportreporter geschickt. Ja, ich habe wirklich die Hoffnung, dass wir mit dieser WM auch politisch etwas bewirken.“ Gemeint ist etwa eine größere Gleichberechtigung von Sportereignissen behinderter und nichtbehinderter Athleten. In einer Stadt wie München, in der König Fußball unangefochten regiert, ist das gar keine so kleine Aufgabe.

Positives Echo

Doch schaut man an diesen heißen Tagen in die aufgeheizte Olympia-Eissporthalle – der kühlende Eisbelag wurde extra für die E-Hockey-WM gegen einen Sportboden getauscht – darf man optimistisch sein. Neben den vielen Fans aus ganz Deutschland, aus der Schweiz, Finnland, Dänemark, Italien, Belgien, Australien und vor allem den Niederlanden schauen immer wieder neugierige Touristengruppen in die Halle, angelockt von dem tobenden Applaus, den Jubelschreien und Fangesängen. E-Hockey-Fans machen wirklich Radau. Auch Kindergarten- und Schulgruppen besuchen das Sportereignis und neugierige Münchner, die durch Radiospots, Zeitungsannoncen oder die großflächigen Plakate im gesamten Stadtgebiet auf die WM aufmerksam geworden sind. Natürlich lässt sich auch Birgit Kober, Doppel-Paralympics-Siegerin von 2012, am Spielfeldrand blicken. „Das Stadion ist nur ein paar Minuten von meiner Trainingsstätte entfernt“, sagt die Kugelstoßerin mit Hörgerät in Schwarz-Rot-Gold, „und ich nehme meinen Job als Sportbotschafterin der E-Hockey-WM wirklich ernst.“

Von 350 bis 400 Zuschauern bei den Vorrundenspielen und mindestens 750 beim Finalspiel gehen die Organisatoren am Ende aus. Auch das Presseecho ist erstaunlich. Neben der Süddeutschen berichtet Spiegel Online aus der Olympia-Eissporthalle über die WM der anderen Art.

Auch wenn der große sportliche Erfolg mit Platz 5 ausblieb, bleibt die WM für das Deutsche Team in guter Erinnerung. Foto: EWH2014
Auch wenn der große sportliche Erfolg mit Platz 5 ausblieb, bleibt die WM für das Deutsche Team in guter Erinnerung. Foto: EWH2014

Familiäre Stimmung

Anders als bei den meisten WMs ist vor allem die familiäre Stimmung und der vertraute Umgang zwischen den Teams, ihren Helfern und Fans. Sonia Veres, die ehemalige Torhüterin der italienischen Nationalmannschaft, sagt in der Halbzeitpause, in der es 2:2 steht: „Wir bleiben bis Montag, egal, ob wir früher ausscheiden oder nicht. So kann ich meine Freunde aus den anderen Teams treffen.“ Zur entspannten Atmosphäre tragen auch die vielen Kinder in der Halle bei, denen ihre Mütter, wenn die Fans mal wieder zu sehr aufdrehen, Watte in die Öhrchen fummeln. Völlig unbekümmert verpennt dagegen der jüngste Spross des deutschen Nationalspielers Silvio Grubert im Kinderwagen beide Halbzeiten. Eigentlich schade, denn in den zweiten 20 Minuten knallen die deutschen Spieler, allen voran der Heidelberger Paul Emmering, dessen gesamte Torbilanz bei 14 Treffern liegen wird, den Italienern einen Ball nach dem anderen ins 2,40 Meter breite und 20 Zentimeter hohe Tor. Die Deutschen kommen aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus. Mit 7:2 geht das Spiel gegen Italien zu Ende.

Dennoch sollte es für den Halbfinaleinzug am Ende nicht mehr reichen. Belgien würde den Deutschen nicht den Gefallen tun zu unterliegen, sondern später am Nachmittag die Finnen vernichtend schlagen. Auch stellten sie mit Bjorn Sarrazyn und seinen 20 Toren den Torschützenkönig der WM. Weltmeister im Elektrorollstuhlhockey 2014 werden dann aber die Niederlande, die Belgien am Sonntag mit 1:0 schlagen.

Gemischte Gefühle beim Organisator der E-Hockey WM

Einen Tag nach dem Großereignis ist die Enttäuschung über Platz 5 bei den Deutschen zwar noch immer groß. Stefan Utz, müde, ausgelaugt und von der Abschiedsfeier bis in die frühen Morgenstunden noch völlig übernächtigt, sagt: „Sportlich haben wir unser Ziel nicht erreicht. Aber wir haben so eine tolle Resonanz von den anderen Teams über Organisation, Eröffnungs- und Siegesfeier, über das Hotel und die ganze Stimmung bekommen, dass das die Enttäuschung ein wenig lindert.“ In Utz‘ gemischte Gefühle über den 5. Platz und die Müdigkeit mischt sich aber auch Stolz, „Stolz auf alles, was uns gelungen ist und die Komplimente der anderen“. Dass er selbst bei der WM 2020 wieder den Schläger schwingt, kann er sich dennoch „nur schwer vorstellen“. Stefan Utz ist 45. Ein Alter, in dem sich nicht behinderte Athleten längst zurückgezogen hätten.

Susanne Böllert

Weitere Informationen zur E-Hockey WM gibt es auf der Website des Veranstalters unter: www.ewh2014.com

 

Dieser Artikel erscheint im RehaTreff (3/2014) und kann hier als PDF heruntergeladen werden.
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