Bringt HAL Querschnittgelähmte wieder auf die Beine?

Ein in Japan entwickelter Gehroboter unterscheidet sich signifikant von herkömmlichen Exoskeletten. In Bochum wird das Gerät erstmals außerhalb von Japan in der Arbeit mit Querschnittgelähmten eingesetzt.

Als vor mehr als zehn Jahren die ersten Videoclips von Exoskeletten im praktischen Einsatz die Runde machten, ahnte noch niemand, dass die Idee von elektromotorisch bewegten Gehapparaten sich so nachhaltig durchsetzen würde. Unterdessen sind die Hightech-Maschinen im therapeutischen Alltag der Querschnitt-Rehabilitation angekommen. In zahlreichen Kliniken sind Exoskelette Teil eines therapeutischen Angebotes, von dem sowohl stationäre als auch ambulante Patienten profitieren.

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In Japan entwickelt, in Bochum im Einsatz: HAL

Die damit verfolgten Ziele differieren, je nachdem, welches System verwendet wird. Die ehrgeizigste Zielvorgabe kommt derzeit aus Bochum. Dort kommt im Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining (ZNB), „HAL“ zum Einsatz. Anders als bei anderen Exoskeletten ist erklärtes Ziel der Therapie mit dem Gerät, Querschnittgelähmte wieder bis hin zu selbständigem Laufen zu mobilisieren. HAL kommt aus Japan. Das Dreibuchstabenkürzel steht für „Hybrid Assistive Limb“. Ähnlich anderen eingesetzten Exoskeletten ist auch HAL ein elektromotorisch betriebenes Außenskelett, das an Hüften und Beinen seines Trägers befestigt wird, und (inkomplett) Gelähmte beim aufrechten Gang unterstützt. Aber in einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich der von Dr. Yoshiyuki Sankai und seinen Mitarbeitern entwickelte Roboteranzug von den Produkten anderer Anbieter.

Während bei diesen das Gangbild von einem Computer generiert, und über Lage- und Bewegungssensoren mit dem Probanden koordiniert wird, kommen die Impulse, die HAL zur Bewegung animieren, vom Probanden selbst. Vor Beginn des Lauftrainings wird der Proband „verkabelt“. Auf den Beinen werden Elektroden befestigt. Das dahinterstehende Prinzip: Auch wenn die Signale aus dem Gehirn infolge der Schädigung des Rückenmarks nicht mehr in der Lage sind, die Beinmuskeln koordiniert zu bewegen, so erreichen doch noch Botschaften die Körperareale unterhalb der Rückenmarksverletzung, und lassen sich in Form von elektrischen Impulsen von der Hautoberfläche abnehmen. Das Rechenzentrum von HAL registriert diese Impulse, übersetzt sie und leitet entsprechende Befehle an den Gehapparat weiter, der diese in Bewegung umsetzt. Der Roboteranzug fungiert also als eine Art „Restkraftverstärker“.

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Das Exoskelett wird exakt auf die Größe des jeweiligen Probanden eingestellt.

Das Training mit HAL findet auf dem Laufband statt, wobei der Läufer sich selbst in einem Spiegel sieht, und so auch optische Informationen über seinen Bewegungsablauf erhält. Nach Überzeugung der Ärzte und Therapeuten, die mit dem System arbeiten, führt intensives Training dazu, dass sich die Körperfunktionen in gewissem Umfang reorganisieren, und vorhandene Restfunktionen gezielt wieder aufgebaut werden. Damit unterscheidet sich HAL auch im strategischen Ansatz von seinen Wettbewerbern. Während diese auf Dauer „für ihren Benutzer laufen“, soll die Therapie mit HAL, über einen bestimmten Zeitraum angewendet, den Patienten unterstützen, ein Maximum an Funktionen zurückzuerlangen. Danach erfolgt das weitere Training ohne elektromotorische Unterstützung.

Therapie als Fulltime-Job

Dieses Funktionsprinzip setzt freilich voraus, das ausbaufähige Restfunktionen vorhanden sind. Zu den Bedingungen, die generell alle Nutzer von Exoskeletten erfüllen müssen um diese Art von Therapie zu praktizieren, also Vorgaben in Bezug auf Körpergröße, Gewicht, Lähmungshöhe, Knochenstabilität etc. ist für Patienten die mit HAL trainieren wollen auch das Vorhandensein von ausbaufähigen Restfunktionen erforderlich. Ob dies der Fall ist, wird in gründlichen Voruntersuchungen festgestellt.

Das Training an sich ist intensiv, und über einen Zeitraum von einem Vierteljahr quasi ein Fulltime-Job für den Patienten. Auf dem Plan steht tägliches Lauftraining an fünf Tagen in der Woche, in der Regel begleitet von physiotherapeutischen und ergotherapeutischen Maßnahmen. Besonderes Augenmerk liegt auf einer engmaschigen Verlaufs- und Erfolgskontrolle. Anhand eines Vorher/Nachher-Vergleichs wird ermittelt, ob und wie deutlich sich die Mobilität der Probanden nach den jeweiligen Trainingseinheiten verbessert hat. Im Idealfall erreicht der Patient über den angesetzten Therapiezeitraum eine deutliche Verbesserung seiner Mobilität.

Erster Einsatz außerhalb Japans

Das ZNB ist an das Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil, eine der traditionsreichsten Kliniken für die Behandlung von Querschnittgelähmten in Deutschland, angegliedert, und wird von der Cyberdyne Care Robotics GmbH betrieben. Die noch junge Organisation belegt mit ihren Therapieeinrichtungen das Gebäude der ehemaligen Heizzentrale der Klinik – in Sichtweite des Krankenhausbetriebs. Insgesamt stehen in zwei großen Therapieräumen acht Laufbänder und ebensoviele Roboteranzüge zur Verfügung. Ein Team von zehn betreut zur Zeit 25 regelmäßig trainierende Patienten.

Mit diesem Auftritt ist das ZNB die erste Einrichtung außerhalb Japans, die das Training mit dem Roboteranzug ermöglicht. Während im Mutterland von HAL vor allem ein Bedarf an robotergestützten Gehhilfen für eine immer älter werdenden Bevölkerung Triebfeder für die Entwicklung war, konzentrieren sich die Anbieter bei ihrem Engagement in Europa vor allen Dingen auf das Potential des Konzeptes im Reha-Bereich. Bei der Standortwahl spielten auch ganz pragmatische Überlegungen eine Rolle. Cyberdyne-Geschäftsführer Theodor Bülhoff erläutert: „Beeinflusst wurde die Standortwahl sicher zum einen durch die räumliche Nähe Bochums zu Düsseldorf, wo sich die größte japanische Exilgemeinde Europas befindet, und auch durch das Renommee von Bergmannsheil als bedeutendem Medizinzentrum.“

Der Einsatz von Exoskeletten bei der Rehabilitation von Querschnittgelähmten ist einstweilen noch therapeutisches Neuland. Allerdings Neuland, das angesichts der zügig fortschreitenden technischen Entwicklung der noch jungen Technologie immer besser erforscht wird. HAL bereichert diese Entwicklung um einen konzeptionell völlig eigenständigen Weg. Das ZNB in Bochum wird damit einer der Brennpunkte dieser mit Spannung verfolgten Entwicklung sein.

Werner Pohl

 

Wilhelm Menninghaus über das Training mit HAL

Man muss sich realistische Ziele setzen!

Ein Sturz in seinem Badezimmer hatte für Wilhelm Menninghaus weitreichende Folgen. Eine komplizierte Halswirbelfraktur machte ihn zum Tetraplegiker. Der Operation in Münster schloss sich ein dreimonatiger Aufenthalt in der Bochumer Klinik Bergmannsheil an, es folgten sieben Monate Reha in Bonn Bad Godesberg. In Bochum sah Menninghaus bereits HAL im Einsatz. Während des Rehaaufenthaltes in Bonn stellten sich sukzessive wieder Funktionen seiner Beinmuskulatur ein – Voraussetzung für die Aufnahme in ein Forschungsprojekt, in dessen Rahmen Cyberdyne Daten zum Erfolgsverlauf des HAL-Trainings ermittelt.

Das Training findet auf dem Laufband statt.
Das Training findet auf dem Laufband statt.

Seit Dezember bestimmt die Arbeit mit dem Gehroboter den Tagesablauf des Münsteraners. Fünfmal in der Woche fährt er von Münster nach Bochum und verbringt jeden Tag zweieinhalb Stunden im ZNB. „Das Training beginnt mit Dehnübungen, dann werden die Elektroden angelegt. Auf dem Laufband übe ich unterstützt von HAL zunächst das selbständige Aufstehen aus dem Sitz. Meine Nettolaufzeit beträgt eine halbe Stunde. Vor und nach dem Training wird auf einer Bahn von zehn Metern Länge ein Vorher/Nachher-Vergleich durchgeführt und der Unterschied dokumentiert.“

Wie sich das Training konkret auswirkt, beschreibt Menninghaus mit einem plastischen Vergleich: „Ich fühle mich ein bisschen so wie der Duracell-Hase aus der Werbung. Seit ich mit dem Training begonnen habe, hat sich meine Ausdauer spürbar verbessert. Auch mein Gangbild ist besser geworden.“ Wird ihm HAL dabei helfen, wieder laufen zu können? (Das Gespräch fand ungefähr zur Halbzeit des Trainingsprogramms statt. Anm. d. Red.) Dazu Menninghaus: „Es ist wichtig, sich realistische Ziele zu setzen. Meines ist, wieder selbständig aufstehen, und mich mit dem Rollator vorwärtsbewegen zu können.“

Auch wenn dieser Trainingserfolg den Verzicht auf den Rollstuhl nicht vollständig ermöglichen wird, ist Menninghaus vom Erfolg der Methode überzeugt: „Man darf sich sicher keinen Illusionen hingeben, aber die Fortschritte die sich erzielen lassen sind enorm motivierend. Ich kann die Therapie auf jeden Fall weiterempfehlen.“

Werner Pohl

 

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (01/2016).
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