Hilfsmittelbeschaffung – Praxistipps für Betroffene

Was ist zu beachten, wenn man ein Hilfsmittel bei der Kranken- oder Pflegekasse beantragt? RehaTreff-Autorin Kirsten Jänisch-Dolle hat dazu einige Hinweise und Tipps zusammengestellt. Sie kennt sich aus, denn ihr Mann Jürgen (48) lebt seit fast 25 Jahren mit Multipler Sklerose (siehe auch RehaTreff 4/2014, S.33 „Hilfsmittelversorgung – Bürokratiedschungel erfordert langen Atem“).

Hilfsmittel

„Hilfe, ich brauche ein Hilfsmittel!“ ruft ein Mensch. „Kein Problem“, sagt die Fee aus dem Reich der Versicherungen. „Vorher musst du nur diesen Hindernisparcours überwinden, einen Weg durch das Labyrinth finden und – aller guten Dinge sind drei – ein Rätsel lösen!“ Meint die Fee das ernst? Im wirklichen Leben ist es für viele Patienten durchaus kein Kinderspiel, an ihr dringend benötigtes Hilfsmittel zu kommen.

Ganz am Anfang steht die Frage: Welche Institution ist der richtige Ansprechpartner? Die Unfall- oder Rentenversicherung, das Sozialamt oder die Agenturen für Arbeit, die private Krankenversicherung oder die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen? In diesem Artikel geht es um die beiden zuletzt genannten Kostenträger. Sollten Sie unsicher sein, wer für Sie zuständig ist, erhalten Sie Auskunft bei den trägerübergreifenden Reha-Servicestellen (www.reha-servicestellen.de).

Was sind Hilfsmittel laut Gesetz?

Sie sollen „einer drohenden Behinderung vorbeugen“ oder diese „bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens ausgleichen“. Rollstühle, Hörgeräte oder Prothesen gehören zu den mehr als 20.000 Produkten, die in einem anerkannten Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt und durch so genannte Hilfsmittelnummern gekennzeichnet sind. Grundsätzlich fördern die Kassen die gelisteten Artikel; in gut begründeten Fällen gehen sie sogar darüber hinaus. Teure Hilfsmittel bleiben in der Regel im Eigentum der Versicherung und müssen nach Gebrauch zurückgegeben werden. Das zur Verfügung gestellte Produkt darf gebraucht sein.

Mit der Zeit kennt ein Patient sich aus: Rampen etwa werden nur bezahlt, wenn sie mobil und nicht fest installiert sind. Ein Treppenlift gehört nicht zu den Hilfsmitteln, kann aber – wenn eine Pflegestufe vorliegt – durch die Pflegekasse als „Wohnumfeld verbessernde Maßnahme“ bezuschusst werden (mit maximal 4.000 Euro). Spezielles Besteck und Geschirr, das Menschen mit geschwächten Händen besser nutzen können, müssen als normale Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens selbst gekauft werden. Greifzangen hingegen sind als „helfende Hände“ im Leistungskatalog enthalten.

Maximale Erstattungsbeträge

Für bestimmte Hilfsmittelgruppen wie zum Beispiel Hörhilfen, Inkontinenzprodukte oder Kompressionsstrümpfe legt der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen maximale Erstattungsbeträge fest. Im Fachjargon heißen sie Festbeträge, die laut Sozialgesetzbuch eine im Allgemeinen „ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung“ ermöglichen sollen. Ziel ist, den Preiswettbewerb der Hersteller zu fördern. Dies mag vielfach funktionieren; (zu) oft jedoch bleiben hohe Kosten an den Versicherten hängen: Man zahlt eine „wirtschaftliche Aufzahlung“ für ein hochwertigeres und im Einzelfall geeigneteres Produkt. Diese hat nichts mit der gesetzlichen Zuzahlung für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel zu tun.

Rezept grundsätzlich hilfreich

Der erste Schritt auf dem Weg zum Hilfsmittel ist ein Rezept. Offiziell verlangt nur die Krankenkasse ein solches, die Pflegekasse nicht. Nicht immer ist klar, welche von beiden Kassen zuständig ist. Dann wird zunächst – manchmal per Fragebogen – geprüft: Erleichtert die Aufrichthilfe mit integriertem Stehtrainer die Pflege, oder ist sie medizinisch notwendig? Die Erfahrung zeigt, dass eine Verordnung vom Arzt grundsätzlich hilfreich ist.

Wichtig: Hilfsmittel belasten nicht – im Gegensatz zu Heilmitteln wie Physio-, Ergo-, und Logopädie oder zu Medikamenten – das Budget der Ärzte, das die Menge der Verordnungen begrenzt. Einige Mediziner wissen das nicht; weisen Sie also ruhig darauf hin!

Sobald es um mehr geht als um einen Gehstock oder einen Badewannenlift, muss auf dem Rezept neben der Diagnose sehr genau aufgeführt sein, um welches Hilfsmittel es sich handelt: Modell- und Firmenbezeichnung, Hilfsmittelnummer und notwendige (Zusatz-) Funktionen dürfen nicht fehlen. Die Angabe „Rollstuhl“ oder „Prothese“ reicht nicht aus und führt im schlechtesten Fall zu einer Versorgung mit der einfachsten Ausstattung.

Gut informieren

Das heißt: Informieren Sie sich vorab! Im Internet, bei Herstellern, im Sanitätshaus, auf Fachmessen. In Deutschland läuft das Gros der Hilfsmittelversorgung über ein Sanitätshaus. Fragen Sie dort, ob man mit Ihrer Krankenkasse zusammenarbeitet und Ihr gewünschtes Modell tatsächlich liefern kann. Versichern Sie sich unbedingt zusätzlich bei Ihrer Krankenkasse, denn Sie sind grundsätzlich an deren Vertragspartner gebunden. Diese sind manchmal sehr weit entfernt, obwohl laut Gesetz die Versorgung grundsätzlich „wohnortnah“ sein soll. Service, persönliche Beratung und Reparatur erfolgen in diesen Fällen erfahrungsgemäß nicht so kurzfristig wie durch lokale Anbieter. Die Grenzen der Zumutbarkeit werden hier immer weiter ausgereizt. Widersprechen Sie einer solchen Vorgehensweise!

Gut begründen

Einen Kostenvoranschlag des Sanitätshauses sollten Sie (oder Ihr Sanitätshaus) zusammen mit dem Rezept bei Ihrer Kasse einreichen. Hilfreich ist zudem eine schriftliche Begründung, warum und wofür Sie dieses Hilfsmittel mit seinen speziellen Funktionen benötigen. Ein Tipp: Manchmal stellen die Hersteller Argumentationshilfen bereit, die Sie verwenden können. Sinnvoll wäre gegebenenfalls – vor allem bei sehr teuren Hilfsmitteln – eine ärztliche Stellungnahme oder eine schriftliche Auskunft des Physio-/Ergotherapeuten zur medizinischen Notwendigkeit. Ist von vornherein klar, dass es sich um ein Pflegehilfsmittel handelt, ist eine Begründung Ihres Pflegedienstes nützlich.

Im Idealfall erfolgt daraufhin die Zusage zur Kostenübernahme. Manchmal ergibt sich aber schon im Antragsverfahren, dass die Kasse nur einen vereinbarten Vertragspreis zahlen will. Dieser gilt für ein Standard-Hilfsmittel, das die persönlichen Bedürfnisse nicht unbedingt abdeckt. Der oder die Versicherte soll den Rest selbst tragen; je nach Fall kann es sich durchaus um dreistellige Beträge handeln! Fordern Sie von Ihrer Kasse, dass diese die Mehrkosten übernimmt. Eventuell kommt dann ein Gutachter zu Ihnen nach Hause, um die Sachlage zu beurteilen. Führen Sie ihm vor, warum bestimmte Funktionen oder Zusatzausstattungen für Sie unbedingt notwendig sind, etwa zur Vermeidung von Schmerzen. Im Idealfall geben Sie dem Gutachter eine Liste mit, die die „Knackpunkte“ mit kurzer Begründung übersichtlich aufführt.

Widerspruch möglich

Lehnt die Kasse ab, die Kosten für das Hilfsmittel beziehungsweise die erforderlichen Ausstattungen zu übernehmen, können Sie innerhalb von vier Wochen widersprechen. Zunächst reicht ein schriftlicher, formloser Zweizeiler aus; eine genaue Begründung sollten Sie in jedem Fall nachreichen.

Muss man das alles wissen und Schwierigkeiten alleine bewältigen? Nein! Holen Sie sich Hilfe, zum Beispiel bei Sozialverbänden. Sie bieten für einen relativ geringen Mitgliedsbeitrag Unterstützung an; dazu gehören der Sozialverband Deutschland und der VdK. Die Mitarbeiter beraten zunächst außergerichtlich, leisten aber bei Erfolgsaussichten auch Rechtsbeistand in einem Sozialgerichtsverfahren. Eine Klage muss innerhalb von vier Wochen nach Erhalt der Ablehnung des Widerspruchs (Widerspruchsbescheid) schriftlich beim Sozialgericht erfolgen. Grundsätzlich sind die Gerichtsverfahren kostenfrei. Die Sozialverbände verlangen, regional unterschiedlich, einen geringen Verwaltungskostenbeitrag. Erheblich teurer ist die Begleitung durch einen Rechtsanwalt. Sollten Sie sich für diesen Weg entscheiden, wählen Sie einen Fachanwalt, der sich im Hilfsmittelrecht auskennt! Fahrtkosten oder die Gebühren für ein eigenhändig in Auftrag gegebenes Gutachten sind selbst zu tragen – es sei denn, man gewinnt den Prozess. Für Menschen mit geringem Einkommen kann auf Antrag die Prozesskostenhilfe greifen.

Weitere Beratungsstellen:

Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD)

Bundesverbände für Betroffene einer Krankheit/ eines Handicaps

Regionale Pflegestützpunkte

Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben (in einigen Städten)

 

Grundsätzlich muss das Genehmigungsverfahren erst abgewartet werden, bevor man sich ein Hilfsmittel besorgen kann. Das kann zu weiteren individuellen Härten führen, die gegebenenfalls gerichtlich überprüft werden müssten. Mühsame Verfahrenswege lassen sich manchmal leider nicht umgehen.

Dennoch: Trauen Sie sich zu widersprechen! Es muss ja nicht sofort zu einem Gerichtsverfahren kommen. Manchmal sind Hindernisse, Labyrinth und Rätsel wirklich nicht so schwere Aufgaben – und die Fee hat tatsächlich Recht. Es kommt auf einen Versuch an!

Sonderfall Treppensteighilfe:

Seit einem Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) im Jahr 2010 wurden von den meisten Krankenkassen keine mobilen Treppensteighilfen mehr unterstützt (B 3 KR 13/09 R). Unter bestimmten Voraussetzungen, unter anderem wenn eine Pflegestufe vorliegt, ist aber die Pflegekasse zuständig, wie ein weiteres Urteil des BSG vom 16.07.2014 (Aktenzeichen: B3 KR 1/14 R) ausführt.

 

Extra-Tipps zur Hilfsmittelbeschaffung:

Extra-Tipp 1:

Liegt eine Pflegestufe vor, können pro Monat bis zu 40 Euro für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel auf Antrag abgerufen werden, zum Beispiel für Handschuhe, Betteinlagen, Desinfektionsmittel. Ihre Pflegekasse nennt Ihnen entsprechende Anbieter.

Extra-Tipp 2:

Für elektrisch betriebene Hilfsmittel (Rollstuhl, Pflegebett) können Sie rückwirkend, sogar für ein paar Jahre, eine monatliche Stromkostenpauschale von 3 Euro geltend machen; für gleichstrombetriebene Geräte (Badewannenlift) werden 6 Euro im Jahr erstattet. Fragen Sie Ihre Kasse, ob ein formloser Antrag ausreicht.

Extra-Tipp 3:

Vereinzelt besitzen Firmen einen Fonds, der Zahlungen für Sonderausstattungen, die von der Kasse nicht übernommen werden können (zum Beispiel für einen Elektrorollstuhl mit mehr als sechs km/h), auf Antrag übernimmt.

Extra-Tipp 4:

Es gibt Stiftungen, die im Einzelfall Kosten für Hilfsmittel übernehmen, wenn sich kein anderer Kostenträger finden lässt. So prüft zum Beispiel die Nathalie-Todenhöfer-Stiftung, wie und ob sie MS-Erkrankten in Notlagen helfen kann.

Kirsten Jänisch-Dolle

 

Anmerkung:

Der Artikel stellt keine Rechtsberatung dar.

Weitere Informationen:

www.rehadat-hilfsmittelportal.de

www.vz-nrw.de/hilfsmittel

Infobroschüre:

„Ratgeber für gesetzlich Versicherte des Gesundheitsministeriums NRW:
Ihr Recht bei Entscheidungen der Kranken- oder Pflegekasse“

Die Broschüre kann telefonisch unter 0211 – 837 1001 bei „Nordrhein-Westfalen direkt“ bestellt werden)

 

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (01/2015).
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