Rollstuhlfahrer brach sich vermutlich auf Zugtoilette ein Schienbein

Rollstuhlfahrer brach sich im Zug Schienbein
Rückengeschädigter Rollstuhlfahrer nach Schienbeinbuch. Foto: INTERROLLI

Die Internationale Bürgerinitiative für Rollstuhlfahrerinteressen (INTERROLLI) hat sich jetzt mit einer Anfrage an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Dr. Rüdiger Grube, gewandt. Sie möchte damit Klarheit darüber schaffen, ob Bahnangestellte Rollstuhlfahrern körperlich behilflich sein dürfen, beispielsweise beim Umsetzen oder beim Toilettengang. Bahnangestellte hatten dies gegenüber Mitgliedern der Bürgerinitiative verneint. RehaTreff berichtete. Auf diesen Artikel hin gab es nach Angaben von INTERROLLI eine sehr heftige Reaktion des Bundesverbandes Poliomyelitis e.V. Dieser empfahl der INTERROLLI, unbedingt eine schriftliche Anfrage beim Chef der Deutschen-Bahn-AG, Dr. Rüdiger Grube zu stellen, was die INTERROLLI nun auch tat, gerade auch vor dem Hintergrund, dass sich ein Mitglied der Bürgerinitiative vermutlich am 24. September in einer Behindertentoilette eines ICE-Zuges von Hannover nach Göttingen das rechte Schienbein brach. Da er in den Beinen kein Gefühl mehr habe, könne er jedoch nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, ob der Bruch dort passierte, so der rückengeschädigte Rollstuhlfahrer. Er musste wegen des Bruches operiert werden und ist für sechs Wochen außer Gefecht.

Hier der genaue Wortlaut der INTERROLLI-Anfrage an Dr. Rüdiger Grube:

Betr.: Deutsche-Bahn-AG-Personal darf Rollstuhlfahrern angeblich nicht körperlich helfen

Sehr geehrter Herr Dr. Grube,

die INTERROLLI möchte Ihnen von einem Vorfall am 06.07.2015 berichten, der in der Presse hohe Wellen geschlagen hat und bis heute für Diskussionsstoff sorgt. Am genannten Tag war ein Rollstuhlfahrer zur INTERROLLI-Sitzung nach Bielefeld unterwegs. Im Regionalexpress von Hannover nach Bielefeld musste er eine Behindertentoilette in Anspruch nehmen, allerdings befand sich dort lediglich ein Wickeltisch fast in Puppenstubenausgabe. Also war für ihn wieder einmal Notdurftverrichtung auf dem Fußboden der Toilette mit entsprechenden Vorkehrungsmaßnahmen angesagt, da er als rückengeschädigter Rollstuhlfahrer nicht auf einem herkömmlichen WC sitzen kann. Als er nach absolviertem Toilettengang wieder in den Rollstuhl wollte, hat er um Hilfe geklingelt. Es kamen der Lokomotiv-führer und eine Schaffnerin, die ihm aber nicht selbst körperlich halfen, sondern ihrerseits Zugpassagiere um Hilfe baten, wobei zwei von denen ihm dann in den Rollstuhl halfen. Danach hielt die Schaffnerin dem Rollstuhlfahrer folgenden Vortrag:

Das Personal der Deutschen Bahn AG darf Rollstuhlfahrern bei Stürzen und Umsetzungen aus/in dem/den Rollstuhl nicht körperlich helfen. Werde bei der Bergung oder Umsetzung eines Rollstuhlfahrers dieser durch einen Bahnangestellten verletzt, so hafte der Bahnangestellte und müsse gar mit seiner Kündigung rechnen (kein Versicherungsschutz für den Bahnangestellten!). Außerdem könnte sich der Bahnmitarbeiter beim Heben eines Rollstuhlfahrers selbst verletzen, da er für solche Situationen nicht geschult und auf diese vorbereitet sei. Deshalb empfehle die Deutsche Bahn AG Rollstuhlfahrern dringend, folgendes zu beachten:

  1. Benutzen Sie auf Zugreisen nur Falt- und keine Elektrorollstühle.
  2. Reisen Sie, wenn möglich, mit geschultem Begleitpersonal.
  3. Wenn Sie allein reisen, vermeiden Sie Stürze, Umsetzungen auf normale Zugsitze und (wenn Sie als rückengeschädigter Rollstuhlfahrer nicht auf einem WC sitzen können) Toilettengänge auf den Fußböden der Behindertentoiletten in den Zügen oder benutzen Sie einen Katheter.
  4. Sofern Sie doch körperliche Hilfe in den Zügen brauchen, sprechen Sie bitte andere Zugpassagiere an oder bitten das Zugpersonal dies über Lautsprecherdurchsage zu tun.

Diese Empfehlungen sind zwar nett gemeint, riechen aber sehr nach teilweiser unterlassener Hilfeleistung durch das Bahnpersonal. Da sowohl der Lokomotivführer als auch die Schaffnerin über die Handlungsweise des Rollstuhlfahrers wohl ziemlich verärgert waren, ist einmal davon auszugehen, dass absichtliches Verlassen des Rollstuhls für einen Toilettengang und anschließendes Betätigen des Notrufknopfes einen Notrufmissbrauch und eine Nötigung des Bahnpersonals darstellen dürfte. Beide Tatbestände sind nach dem Strafgesetzbuch strafbare Handlungen. Aufgrund dieses Vorfalls, sah sich die INTERROLLI gezwungen, dies der Öffentlichkeit mit Hilfe von Briefen an die Redaktionen der Behindertenfachzeitschriften „RehaTreff“ und „Rollstuhl-Kurier“ sowie einer Veröffentlichung im Computersozialnetzwerk Facebook mitzuteilen. Daraufhin erfolgte am 10.10.2015 vom Bundesverband Poliomyelitis e.V. eine sehr heftige Reaktion, indem die Erläuterung der Zugschaffnerin als „Blödsinn“ bezeichnet wurde. Ferner erklärte der Bundesverband, dass es sein mag, „dass die Deutsche Bahn AG ihre Mitarbeiter angewiesen hat, Rollis beim Umsetzen nicht zu helfen. Falls dieses aber doch einmal geschieht, haftet nicht der Mitarbeiter bei einem Schaden, sondern die Bahn, denn der Mitarbeiter ist sogenannter Erfüllungsgehilfe der Bahn und falls Schäden eintreten, haftet der Arbeitgeber. Somit ist der Mitarbeiter in keiner persönlichen Haftung. Dass diesem Mitarbeiter dann gegebenenfalls auch noch gekündigt werden könnte, entbehrt jeder Logik. Maximal kann dem Mitarbeiter eine Abmahnung ausgesprochen werden. Nun möchte der Bundesverband aber einmal den Richter sehen, der eine Kündigung befürwortet, die aufgrund von (notwendigen mehreren) Abmahnungen beruhen, weil ein Mitarbeiter Rollis behilflich war. Außerdem muss der Mitarbeiter dabei jedes Mal einen Schaden anrichten, was sehr unwahrscheinlich ist. Natürlich muss ein Mitarbeiter einem Fahrgast helfen, wenn dieser gestürzt ist. Falls er dieses nicht tut, ist dieses aus Sicht des Bundesverbandes eine unterlassene Hilfeleistung, die strafrechtlich verfolgt werden kann. Vermutlich kann ohnehin kein Haftpflichtanspruch gegenüber einem Mitarbeiter gestellt werden kann, falls bei der Hilfeleistung der Rolli zu Schaden kommt (sogenannter Gefälligkeitsschaden) und der Bundesverband kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass eine Abmahnung erfolgen kann, wenn ein Mitarbeiter einem gestürzten Rolli (bzw. einem sonstigen Fahrgast) helfen sollte, weil dieser gestürzt ist. Im Gegenteil, dann würde der Bundesverband das Unternehmen wegen der „Anweisung zur unterlassenen Hilfeleistung“ belangen.“
Da nach Meinung des Bundesverbandes Poliomyelitis e.V. die Leser der Behindertenfachzeitschrift „RehaTreff“ durch die Veröffentlichung des INTERROLLI-Artikels sehr verunsichert sein dürften und es zudem, nach Meinung der INTERROLLI, eine Schande für die Deutsche Bahn AG ist, wenn diese nicht in der Lage ist, rückengeschädigten Rollstuhlfahrern ein besseres Toilettenumfeld in den Zügen zu bieten und die Bahnmitarbeiter für körperliche Hilfseinsätze zu schulen, richtet sie hiermit an Sie die Frage, ob die gegenüber dem Rollstuhlfahrer bekanntgegebenen Regeln tatsächlich der Wahrheit entsprechen oder nicht.

Was bei einem Toilettengang eines rückengeschädigten Rollstuhlfahrers auf dem Fußboden einer Eisenbahnzugtoilette passieren kann, zeigt ein weiterer Vorfall am 24.09.2015. Vermutlich dort brach sich derselbe Rollstuhlfahrer in einer Behindertentoilette eines ICE-Zuges auf der Fahrt von Hannover nach Göttingen beim Toilettengang das rechte Schienbein (siehe Foto) und musste sogar operiert werden. Deshalb fordert die INTERROLLI die Deutsche Bahn AG auf, die angeblich vorhandenen Vorschriften zur (Nicht-)hilfeleistung gegenüber Rollstuhlfahrern für ihre Mitarbeiter zu lockern und diese auch für körperliche Einsätze bei Rollstuhlfahrern zu schulen. Im Übrigen halten sich nicht alle Bahnmitarbeiter an die Vorschriften und helfen Rollstuhlfahrern auch körperlich so gut sie können. Das ist sehr lobenswert.

Mit freundlichen Grüßen

Internationale Bürgerinitiative für Rollstuhlfahrerinteressen

(Frank Lackner)

Vorstandsvorsitzender

www.interrolli.com

Weitere Artikel

Letzte Beiträge