Vorbild im Rollstuhl: Kraichgauer Kinderflüsterer

Kaehny2
Boden der Tatsachen: Bernhard Kähny erklärt zunächst die Sicherheitsvorschriften. (Foto: Kevin Schultes)

Aufstellung an der Schusslinie. Der Bogen wird aufgenommen, der Pfeil eingelegt. Dreimal wird durch die Nase ein- und durch den Mund ausgeatmet, dann der Bogen gespannt…

Ruhig und gelassen erklärt Bernhard Kähny den fünf Schülern der Sinsheimer Carl-Orff-Schule den Ablauf beim Bogenschießen. Die Sechstklässler nehmen heute zum ersten Mal an dem freiwilligen Nachmittagskurs teil. Mit Spannung erwarten sie ihren ersten Schuss. Doch bevor es richtig losgeht, werden in der Hilsbacher Turnhalle die Zielscheiben gemeinsam aufgebaut. Danach nimmt sich der Trainer Zeit für die Sicherheitseinweisung. Im Halbkreis setzen sich die Kinder um ihn herum und lauschen gespannt seinen Worten. „Das Bogenschießen ist gut geeignet, um Verantwortung und Disziplin zu trainieren“, sagt der Sinsheimer. Es gehe darum, gemeinsam Spaß zu haben, aber jeder müsse eben auch auf den anderen achten.

Vom Reha- zum Jugendsport
Bernhard Kähny selbst lernte das Bogenschießen nach einem Wendepunkt in seinem Leben kennen, und zwar im  Jahr 1987. An jenem Schicksalstag war der landwirtschaftliche Betriebshelfer mit seiner Geländemaschine auf dem Weg zur Arbeit. Der Naturfreund genoss die Touren mit dem Motorrad, doch an diesem Tag nahm die geschäftliche Ausfahrt ein jähes Ende. Plötzlich kamen ihm ein Bus und ein Auto, das in der Kurve zum Überholen angesetzt hatte, nebeneinander entgegen. „Für mich blieb da auf der Straße kein Platz“, resümiert Kähny.

In der Markgröninger Abteilung zur Behandlung von Querschnittgelähmten schoss er seinen ersten Pfeil. Kähnys Kinder, zu dem Zeitpunkt gerade mal vier und eineinhalb Jahre alt, beobachteten den Papa während der Reha im Nordwesten Stuttgarts ganz genau. „Das Bogenschießen fanden die beiden gleich ganz toll“, erinnert sich der Familienvater. Seine Kinder waren es auch, die ihm dabei halfen, den Rollstuhl zu akzeptieren und neuen Mut zu schöpfen. „Als mir klar wurde, dass es den Kindern wichtiger war, dass wir zusammen sein konnten, als der Umstand, dass ich dafür einen Rolli brauchte, begann sich mein Fokus auf die neue Form unseres Zusammenlebens zu richten“,sagt der Sinsheimer.

Kinder- und Jugendarbeit im Kraichgau
Kinder waren bei der Familie Kähny immer in großer Zahl anzutreffen. „Zu meinen Kindern gehörten ganz selbstverständlich auch deren Freunde“,erinnert sichder gutmütige Familienmensch. Kähny bezeichnet dies als „offene Jugendarbeit“. „Ich habe für die Erziehung einfach versucht, ein gutes Maß zu finden. Die Kinder sollten Freiraum haben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen, aber nicht schutzlos sich selbst überlassen werden, zum Beispiel vor dem Fernseher“,erklärt er. Eine Mattscheibe gab es bei den Kähnys nicht, dafür aber kreativen Freizeitspaß. Folglich kamen die Kinder immer gerne und zahlreich. „Das ist wie in meinen Kursen. Wenn mein Programm nicht interessant ist, dann kommen die Kinder nicht“, unterstreicht er.

Spaß am Sport: Daniel, Ilkay, Marco, Leon, und Batuhan beim Bogenschießen. (Foto: Kevin Schultes)
Spaß am Sport: Daniel, Ilkay, Marco, Leon, und Batuhan beim Bogenschießen. (Foto: Kevin Schultes)

Deutsche Eiche
Nach seiner Reha erfuhr Bernhard Kähny, dass der örtliche Schützenverein Bogenschießen anbietet. Doch die ersten Gehversuche waren ernüchternd. „Meine Technik war miserabel, eine konstante Leistung war nicht zu erreichen“, erinnert er sich. Er fragte bei anderen Sportschützen nach, las Bücher und übte. „Diese Erfahrung war für mich Ansporn, mein Wissen weiterzugeben“,sagt er. Sein Ärger über seinen schweren Weg zum sportlichen Erfolg brachte ihn schließlich dazu, seine Dienste beim örtlichen Traditionsverein „Deutsche Eiche“ anzubieten. Es war der Beginn einer lang andauernden Zusammenarbeit. Inzwischen leitet Bernhard Kähny die Kinder- und Jugendarbeit des Schützenvereins seit fast 20 Jahren. Seine Arbeit wurde dort von Anfang an gefördert, Räumlichkeiten und Mittel für die Beschaffung von Bögen und Zubehör zur Verfügung gestellt. „Später haben wir Papier gesammelt, um die Jugendlager zu finanzieren“,erzählt er mit leuchtenden Augen – tolle Erinnerungen.

Alpha-Position
Die Arbeit mit den Kindern macht Bernhard Kähny sichtlich Freude. Im Umgang mit den Heranwachsenden scheint er ein Naturtalent zu sein. Die Kinder sind lebhaft, aber es gibt kein Geschrei, alles läuft ruhig und geordnet ab.Vertrauen, so der gebürtige Karlsruher, ist die Grundlage für die Arbeit mit den Kindern: „Bereits ein paar zu laute Worte können dieses Vertrauen erschüttern“, weißer. Mit seiner ruhigen Art besteht der Kursleiter auf Disziplin und einenrespektvollen Umgang miteinander und sichert diese mit seiner natürlichen Autorität. „Alpha-Position“, sagt Kähny mit einem Lächeln und erzählt von dem Schweizer Dressur- und Springreiter Fredy Knie sen., den er bewundert.

Der Kinderflüsterer
Auch Kähny hat viele Jahre erfolgreich mit Pferden gearbeitet. Nach Eintritt seiner Querschnittlähmung fuhr er einen auf seinen Rollstuhl angepassten Einspänner und gewann Medaillen. Der Fahrsport brachte ihn damals in entfernte Länder, vom Trainingslager in den USA bis hin zu Rennen in Dubai. Genau wie beim weltweit bekannten Fredy Knie sen., basiert Kähnys „sanfte Methode“ auf Disziplin, gegenseitigem Respekt und Belohnung. Der gelernte Landwirt kann auch in der Jugendarbeit von den vielen Erfahrungen profitieren, die er beim Umgang mit seinen ‚Schwarzwälder Füchsen’ – einer stämmigen Pferderasse, wie er erklärt– gesammelt hat. Beim Kurs werden seine Fähigkeiten schnell deutlich. Selbst während der grauen Theorie zu Anfang des Kurses, hängen die Kinder an Kähnys Lippen. Dann schwingt er sich wieder in den Rollstuhl, die Kinder stellen sich an der Schusslinie geordnet auf.Ein Kinderflüsterer bei der Arbeit.

Behindertes Rollenmodell
Die Kinder honorieren die Vorbildfunktion des Kursleiters, haben Respekt. Er wirke aber als Erwachsener nicht bedrohlich, sagt Bernhard Kähny von sich. Der Rollstuhl bietet ihm diesbezüglich eher einen Vorteil. Kähny ist ein Vorbild, zu dem die Kinder nicht aufsehen müssen. „Wir begegnen uns tatsächlich meistens auf Augenhöhe. Für eine Zusammenarbeit ist dies eine gute Ausgangsposition“, weiß er zu berichten.Befragt, ob der Rollstuhl bei der Jugendarbeit eine Rolle spielt, antwortet BernhardKähny ganz pragmatisch:„Klar, ich brauche die Hilfe der Kinder bei der Durchführung des Trainings.“ Die Kinder seien ausgesprochen hilfsbereit und würden ganz unbefangen mit seiner Behinderung umgehen. Zunächst werde der Rollstuhl mit Interesse inspiziert, dann mit Gleichgültigkeit quittiert und schon nach kurzer Zeit gar nicht mehr wahrgenommen. Er gehe in den normalen Erfahrungshorizont der Kinder über. Eine echte Chance, für die Kinder und Menschen mit Behinderungen.

Geschenk der Zeit
Als nach kurzer Zeit deutlich wurde, dass sein alter Beruf keine Perspektive für ihn aufzeigte, entschieden seine Frau Eva und er sich dazu, arbeitsteilig vorzugehen. Während sie ihrem Lehrberuf nachging, kümmerte er sich um Haushalt und Kinder.

„Die Erziehung meiner Kinder und die Jugendarbeit habe ich nie als Mühe empfunden“,erzählt er. Zum Geschenk seines Überlebens sei auch das Geschenk der Zeit gekommen, die er für die Erziehung der Kinder einsetzen konnte. Die Arbeit mit den Kindern hat ihm selbst auch viel zurückgegeben: „Meine Motivation ist jeder Zehner, den die Schüler schießen, und die Freude über ihren persönlichen Erfolg.“ Diese Erfolge sindBernhard Kähny bei der Jugendarbeit besonders wichtig, damit „die jungen Leute ein gesundes Selbstvertrauen aufbauen und sich an eine schöne Jugendzeit erinnern können. Dazu trägt derKraichgauer zweifelsohne seinen Teil bei.

Kevin Schultes

Dieser Artikel erschien im RehaTreff 04/2013 und kann hier als PDF heruntergeladen werden. Sie finden diesen Artikel interessant? Hier können Sie ein Abonnement für den RehaTreff bestellen. Das Jahresabo mit vier Ausgaben kostet 18.- € inklusive Versand und Mehrwertsteuer.

 

Weitere Artikel

Letzte Beiträge