Wer im Glashaus sitzt …

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Foto: AWS

Jetzt in der kalten Jahreszeit, wo der Wind unangenehm durch alle Ritzen pfeift und die Feuchtigkeit durch alle Knopflöcher schleicht, da sind die meisten froh, wenn sie ihr Haus gar nicht verlassen müssen. Innerhalb der warmen vier Wände schaut man dann oft sehnsüchtig nach draußen, denn der Mensch sucht eigentlich das Tageslicht. Wohl denen, die einen Wintergarten ihr Eigen nennen. Sie können auch an klaren, schönen Wintertagen Sonne für den Körper und die Seele tanken. So mancher denkt, man müsste unter einer Glasglocke leben können, die Natur mit dem gesamten Wetterspektrum miterleben und sich trotzdem nicht warm einigeln und vor Regen schützen müssen!
So, oder so ähnlich, muss wohl auch Martin Schuth empfunden haben. Und er ist dabei, diesen Traum vom Leben zu verwirklichen. Er baut sein Haus in einen Glaskasten. Genauer: Er hat sich ein Industrie-Gewächshaus mit 300 qm Grundfläche aufstellen lassen und baut nun ein Haus im Trockenen.

Von vorne: Martin, nach einem Unfall 1973 querschnittgelähmt, Tetra, hat schon immer tolle und manchmal auch verrückte Ideen gehabt. Das Besondere daran, er hat nicht nur Ideen, er setzt diese auch konsequent um! So war er derjenige, der als erster Tetra 1986 den Pilotenschein für Ultraleichtflugzeuge gemacht hat. Zusammen mit anderen Rollipiloten hat er den Verein Die Rolli-Flieger egründet und erreicht, dass Rollstuhlfahrer heutzutage den Pilotenschein erwerben können. Desweiteren war er der Initiator der “ MERSEY RIVER CHALETS“, einer barrierefreien Ferienanlage inmitten der kanadischen Wildnis. Neben manch anderen Erfindungen ist er Teilhaber der Tetra-Equipment GmbH, die speziell für Tetraplegiker beschichtete Greifreifen für den Alltag und den Rugbysport vertreiben. Und nun baute er dieses „Haus im Haus“. Mit Freunden erwarb er ein 15 000 qm großes Grundstück mit einem alten Bauernhaus und einem kleinen See.

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Foto: AWS

Das Bauernhaus wurde abgerissen und einiges der alten Baumaterialien später wieder im neuen Haus verwendet. Dann wurden die riesigen Glashäuser aufgestellt, eines für Martin und eines schräg gegenüber für die befeundete Familie. Im eigentlichen Wohnhaus oder Innenhaus verwirklicht Martin alle gesammelten Eindrücke aus seinen vielen Reisen rund um den Globus. Ökologie und Umweltschutz stehen dabei auf der Prioritätenliste ganz oben. So sind die Wände des im Pueblo-Stil gebauten Hauses ganz mit Lehm und Stroh verputzt. Die Decke wird von massiven Holzbalken getragen. Der Fußboden ist mit Steinfliesen und den alten Holzdielen aus einem Abrisshaus belegt. Der Kaminofen im Mittelpunkt des Wohnraumes ist aus den alten Ziegeln gemauert. Geheizt wird auch mit Hilfe der Wärmepumpe aus dem See. Heizkörper sind nirgendwo zu finden, die Heizrohre verlaufen in den Wänden. Selbst der Aufzug zu dem oben liegenden Schlafraum und Bad soll später ohne Strom nur mit Gewichtsverlagerung von Wasser betrieben werden. Und fast alles hat Martin selbst entworfen.
Auf den beiden Terrassen im ersten Stock hat Martin sich dann auch etwas Besonderes einfallen lassen. Auf der einen ist eine wunderschöne Badewanne nach Martins Körperform so gemauert, dass er als Tetra darin ohne Probleme mit freiem Blick in den Himmel „wellnessen“ kann. Auf der anderen kann er im „Freien“ schlafen und holt sich die Natur ins Bett. Martin meint, es sei ein unbeschreibliches Gefühl, so nah am Wettergeschehen dabei zu sein. Selbst bei einem Gewitter und Regen „draußen“ zu schlafen, sei ein wahnsinniges Erlebnis.

Dort, wo zurzeit im Glashaus noch Baustelle ist, werden später einmal Pflanzen aus verschieden Regionen unsere Erde den Urlaub vor die Haustür bringen. Auch da hat Martin schon seine genauen Vorstellungen und, ich bin mir sicher: Auch dieses wird er wie geplant umsetzen. Als wir mit Martin über die Kosten des ganzen Unternehmens sprechen, sind wir erstaunt, dass diese überhaupt nicht utopisch abgehoben sind. Natürlich kommen die Zusatzkosten für das Glashaus. Aber da Martin und seine befreundete Familie auch vieles in Eigenleistung erbringen, sind die Gesamtkosten für dieses Projekt auf dem Land unbedeutend höher, als ein „normales“ Ökohaus in vergleichbarer Größe im Stadtbereich.

Auf der Heimfahrt können Werner und ich uns kaum beruhigen! Unser einziges Thema ist das Haus im Gewächshaus. Und nicht nur für mich, der wie Martin auf den Rollstuhl angewiesen ist, erscheint diese Art des Wohnens fantastisch.
Ich male mir aus, wie wunderbar es wäre, für jemanden, der am liebsten immer draußen ist, trocken um das eigene Haus durch den mediterranen Garten zu fahren. Ohne Regencape, Schlupfsack und verdreckte, nasse Reifen. Und das in Deutschland, im Monat Februar und nur im Pullover. Auch Werner beginnt zu träumen. Was hätten die Kinder plötzlich für einen erweiterten Wirkungsbereich, wie könnte man „draußen“ arbeiten, wie viel
mehr Licht bedeutet das im Leben! Ich glaube, er hat auf dem Weg zurück nach Ettlingen sein altes Haus in Gedanken schon verkauft. Wir werden dran bleiben. Werden erkunden, ob sich wirklich alles
so entwickelt, wie von Martin geplant. Ob er in dieser Oase sein Leben wirklich so gestalten kann, die klimatischen Verhältnisse im Gewächshaus wie berechnet eintreffen und ob auch im Sommer der Luftaustausch über die sich automatisch öffnenden Luftklappen ein ausgeglichenes Klima besorgen werden.

Der Rehatreff wird Martin in einiger Zeit sicher wieder besuchen. Wir werden dann darüber berichten und auch Bilder vom Haus, den Pflanzen, der Gartenanlage und dem See mit Rollisteg und E-Stuhl betriebenen Schaufelradboot zeigen. Wir sind jetzt schon riesig gespannt darauf und wünschen Martin bis dahin gutes Gelingen!

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