Ein rollstuhlgerechtes Wohnmobil von der Stange? Gibt es das überhaupt? Kurze Antwort: Nein! Zwar sind die üblichen Umbauten wie Gas- und Bremsfunktion bei eingeschränkter oder komplett ausgefallener Fußfunktion in den meisten Fällen möglich. Auch ein automatisches Getriebe ist bei vielen Basisfahrzeugen der Wohnmobilhersteller inzwischen zu bekommen. Doch selbst wenn man mit einer Hebebühne die Höhe zum Fahrzeug überwunden hat, versperrt spätestens die 55 cm schmale Eingangstür dem Rolli die Einfahrt in den Wohnraum. Auch im Inneren des Mobiles ist beim normalen Grundriss, der wohl hauptsächlich für schlanke Reisende konzipiert zu sein scheint, das Rangieren mit einem Rollstuhl unmöglich. Trotzdem haben wir uns den Traum verwirklicht, ein Serien-Wohnmobil für unsere ganz speziellen Bedürfnisse in ein rollstuhlgerechtes Wohnmobil für Selbstfahrer umbauen zu lassen. Wir, das sind meine Frau und ich, zwei Camper aus Leidenschaft und das seit über dreißig Jahren.
Eins rollstuhlgerechtes Wohnmobil als Wohnwagenersatz
Bisher waren wir mit Campingbussen unterwegs. Vor zehn Jahren haben wir uns zusätzlich einen rollstuhlgerechten Wohnwagen zugelegt und diesen so umbauen lassen, dass ich mit meinem Rolli darin gut zurecht kam. Seit sieben Jahren haben wir mit diesem Gespann, VW-Campingbus und Wohnwagen, die Wintermonate beim Camping in Spanien verbracht.
In den letzten Jahren geht der Trend weg vom Wohnwagen hin zum Reisemobil. Das Netz der Ver- und Entsorgungsstationen ist in Europa fast lückenlos. Beinahe an jeder Ecke findet man einen Wohnmobilstellplatz. Doch diese sind für Wohnwagen tabu. Nun gehören wir nicht zu den Menschen, die einen Campingplatz direkt ansteuern, dort über Monate bleiben und dann auf dem schnellsten Weg wieder nach Hause fahren. Wir reisen gerne, sind mal drei Tage hier oder bleiben eine Übernachtung dort. Im Winter aber, auf unserem Weg in den Süden, haben die meisten Campingplätze noch geschlossen. Und so reifte in uns der Entschluss, das Gespann gegen ein rollstuhlgerechtes Wohnmobil einzutauschen.
Doch wie soll es aussehen und welcher Typ soll es sein? Wir wälzen Prospekte und surfen im Internet. Wir finden einige Hersteller, die rollstuhlgerechte Wohnmobile anbieten. Doch die meisten entsprechen nicht unseren Vorstellungen. Schließlich wollen wir mit einem Wohnmobil und nicht mit einem Badezimmer nach Rollstuhl-DIN-Norm durch die Gegend fahren. Andere Umbauten für ein behindertengerechtes Gefährt übersteigen unsere finanziellen Grenzen.
Breite Türen gibt es nicht von der Stange
Nachdem wir im Internet einen Hersteller finden, der für einen akzeptablen Preis Türen und Klappen auf Maß in Freizeitmobilen einbaut, richten wir unser Augenmerk auf den individuellen Umbau eines serienmäßigen Wohnmobils von der Stange in ein rollstuhlgerechtes Wohnmobil. Die Firma Tegos in Ostrach verspricht, in nahezu jedes Wohnmobil Türen auch mit Überbreiten einzubauen, wenn der Platz dafür vorhanden ist. Die benötigten Teile dafür liefert zum Beispiel auch die Firma Hehn in Duisburg.
Also, mit einer breiteren Türe und einem Lift wäre ich ja immerhin schon einmal im Fahrzeug. Die weiteren Überlegungen sind: welcher Typ. Alkoven, Teilintegrierte und Vollintegrierte stehen zur Auswahl. Ein Alkovenmobil fällt ebenso aus wie eines mit einer großen Heckgarage, da das Bett im zweiten Stock für mich nicht zu erreichen ist. Bei der Hebebühne fällt unsere Entscheidung auf einen Kassettenlift, der unter dem Fahrzeug angebracht ist. Eine Hebebühne im Fahrzeug nähme zu viel Raum ein und ist zudem kein attraktives Möbelstück im Wohnbereich. Bei einer Anbringung der Hebebühne außerhalb des Fahrzeuges müssen jedoch die serienmäßigen Trittstufen an der Eingangstür entfallen. Und damit meine Frau nicht bei jedem Tankstopp erst die Hebebühne zum Aus- und Einsteigen betätigen muss, kommen für uns auch vollintegrierte Wohnmobile nicht mehr in Frage. In diesen ist nämlich im Fahrerhaus keine Türe auf der Beifahrerseite vorhanden, durch die man mal schnell raus und rein kann.
Somit bleibt der Teilintegrierte übrig mit einem Grundriss, der sich schon in unserem Wohnwagen bewährt hat: Schlafplätze hinten als Doppelbett mit daneben liegendem Toilettenraum. In der Mitte die Küche, gegenüber der Kleiderschrank und im Frontbereich die Sitzecke. Wesentlich ist bei der Aufteilung, dass der Toilettenraum nicht gegenüber von Schrank oder Küche zu finden ist. In diesem Fall ist Drehen selbst mit dem kleinsten Rolli nicht mehr möglich. Und auch wenn der Rollstuhlfahrer so fit ist, dass er sich frontal zum Bett stehend umsetzen kann, blockiert der Rollstuhl dann den Durchgang komplett. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass es dem Partner auf Dauer gefällt, über den Rollstuhl ins Bett zu steigen.
Die Sitzgruppe ist in den meisten Mobilen so konzipiert, dass die Vordersitze im Fahrzeug drehbar sind und zusammen mit einer quer eingebauten Sitzbank im Fahrzeuginneren die Sitzgruppe bilden. Manchmal ist auf der Beifahrerseite dann noch eine Längsbank eingebaut, so dass alles zusammen zu einem zweiten Bett umgebaut werden kann. Da wir jedoch nur zu zweit reisen, planen wir die Quer-Sitzbank drehen zu lassen. Sie befindet sich dann längs der Fahrtrichtung hinter dem Fahrersitz. Und wenn man dann noch die Sitzbank gegenüber entfernt, entsteht ein komfortabler Wohnraum, in dem man sich
rollstuhlgerecht nahezu uneingeschränkt bewegen kann.
Ein barrierefreies Wohnmobil mit Automatikgetriebe ist schwer zu finden
Soweit steht unser neues rollstuhlgerechtes Wohnmobil also. Allerdings erst einmal auf dem Papier. Nun beginnt die Suche in vivo. Dabei merken wir bald, dass der anfangs erwähnte Boom der Reisemobile nicht unbedingt zu unserem Vorteil ist. Man hat das Gefühl, die Händler verkaufen so viel, dass das Bemühen um den Kunden nicht so wichtig ist. Schon im April kann man kein Fahrzeug aus dem laufenden Jahr mehr bestellen. Die Händler haben die kompletten Modellserien beim Hersteller aufgekauft. Man muss nehmen, was auf dem Hof steht. Und da findet man in der Regel erst einmal gar nichts mit einem automatischen Getriebe! Ein Modell vom kommenden Jahr könnte man zwar schon bestellen. Aber auf Nachfrage heißt es, Änderungen gäbe es bestimmt. Aber die kenne man noch nicht. Schließlich kommen die neuen Prospekte auch erst im Herbst.
Da wir jedoch festgestellt haben, dass es bei den geplanten Umbauten unseres rollstuhlgerechten Wohnmobils auf jeden Zentimeter ankommen kann, können wir nicht blind bestellen. Haben wir, meist natürlich meine Frau, mit dem Zollstock doch schon unter so vielen Fahrzeugen gelegen, weil die schönste Inneneinrichtung nichts nützt, wenn unten drei Zentimeter für den Einbau der Hebebühne fehlen. Doch wir werden fündig. Im Internet entdecke ich bei einem Nürnberger Händler das Fahrzeug, welches unseren Bedürfnissen für ein rollstuhlgerechtes Wohnmobil am ehesten entspricht. Einen Dethleffs Summeredition T 6701 auf Fiat Ducato mit 150 PS Dieselmotor und automatisiertem Getriebe. Sehr vorteilhaft für uns ist, dass wir dieses Fahrzeug über die Firma GÜMA in Friedrichsfeld, einem großer Dethleffs-Händler in der Nähe unseres Wohnorts, beziehen können.
Individueller Umbau des Caravan: Für jedes Problem gibt es eine Lösung
Nun machen sich die vielen eigenen Recherchen im Vorfeld bezahlt. Ich bespreche meine Umbaupläne für unser rollstuhlgerechtes Wohnmobil mit dem Werkstattmeister Barrenpohl und stoße bei GÜMA auf ein Team von erfahrenen Leuten, die meine Wünsche gut umsetzen können. Insbesondere von den Ideen und Arbeiten des Schreinermeisters Schmid, der unseren Innenraum umgestaltet, sind wir beeindruckt.
Unsere Hauptaufgabe ist die Koordination zwischen den verschiedenen Firmen, die unser Wohnmobil „schnitzen“ sollen. Schließlich muss alles sehr genau aufeinander abgestimmt werden. Ingo Berberich, der Technische Leiter des Mobilcenters Zawatzky, nimmt sich die Zeit und 40 Kilometer Anfahrt in Kauf, um direkt vor Ort mit dem Werkstattmeister von GÜMA den Einbau der Hebebühne zu besprechen. Und wie wichtig das ist, zeigt sich direkt im Anschluss. Plötzlich ergibt sich ein Problem, welches zunächst unlösbar scheint. Ich bin schon sehr enttäuscht, als ich von AMF erfahren muss, dass mein Wunschkassettenlift K90 activ nicht möglich ist, da er nicht die geforderte Hubhöhe von 70 cm erreichen kann. Nun muss ich auch noch feststellen, dass der größere Bruder K90 wegen zwei Zentimetern nicht neben den Abwassertank unter dem Unterboden passt. Wir haben soviel gemessen, aber als das Mobil dann auf der Hebebühne steht, ist es auf einmal ein paar Zentimeter kürzer! Doch der Werkstattmeister von GÜMA findet im Internet auch hierfür mit dem Tankbauer Amalric plastic die Lösung. Dessen Slogan lautet: ihr Fahrzeug ist nicht von der Stange, unsere Tanks auch nicht. Unser Tank wird ausgebaut, dort hingeschickt, in der Mitte durchgeschnitten, um die entsprechenden Zentimeter gekürzt und wieder zusammengeschweißt.
Während der Tank abgeändert wird, fahren wir zur Firma Tegos. Zuvor wird bei GÜMA die Eintrittstufe ausgebaut und die Bodenplatte geschlossen. Da somit die Originaltüre ja nicht mehr zu schließen ist, wird auch diese ausgebaut. Man hebt mich mit samt dem Rollstuhl ins Fahrzeug und hinter mir wird die Türöffnung mit einem Bretterverschlag geschlossen. So kommen wir nach Ostrach und Tegos baut uns innerhalb von zwei Tagen eine breitere Tür ein, die sich zudem perfekt elektrisch öffnen und schließen lässt. Nachdem GÜMA den gekürzten Abwassertank wieder eingebaut hat, kann im Mobilcenter Zawatzky die AMF Hebebühne K90 perfekt positioniert werden. Mit dem Handgerät Heidelberg RS (Handgas und Bremse) auf der linken Seite eingebaut kann ich nun zum ersten Mal unser neues rollstuhlgerechtes Wohnmobil spielend leicht selbst bewegen.
Die restlichen Schreinerarbeiten im Innenraum erscheinen uns nun nur noch wie Kosmetik. Ein kleines, zusätzliches Schränkchen auf der einen Seite, ein Bord auf der anderen und ein schwenkbarer, mit dem Rollstuhl unterfahrbarer Tisch. Die Öffnung in der Wand zwischen Bett und Toilettenraum ermöglicht mir den Zugang vom Bett aus an das Waschbecken und zur Toilette. Nun ist es fertig, unser neues Wohnmobil. Es hat uns schon einige Mühen und auch ein paar Nerven gekostet. Aber wir sind jetzt Besitzer eines Reisemobiles genau nach unseren Wüschen und Bedürfnissen. Die ursprüngliche Idee, ein Mobil unter sechs Meter Länge und trotzdem mit Komfort zu bekommen, hat sich zwar nicht verwirklichen lassen. Aber auf sieben Meter Länge haben wir alles, was wir für einen längeren, angenehmen Aufenthalt benötigen.
Wahrscheinlich erscheint manchem diese Vorgehensweise sehr aufwendig und kostspielig. Nach unseren Recherchen sind wir jedoch der Meinung, dass der Preis von ca. 80.000,- Euro für ein rollstuhlgerechtes Wohnmobil inklusive aller erdenklichen Extras mit Automatik und allen behinderungsbedingten Umbauten akzeptabel ist. Und sollte jemand Ähnliches wie wir vor haben, so kann er/sie aus diesem Artikel ja eventuell ein paar Tipps entnehmen. Dann allerdings sollte auch unbedingt diese letzte Empfehlung beherzigt werden: So ein Mobil mit Umbauten niemals unter Zeitdruck planen! Vor einem Umbau empfiehlt es sich, ein barrierefreies Reisemobil zu mieten und das Camping und die Ausstattung zu testen. Anbieter, die Wohnmobile vermieten, finden Sie im Anschluss.
Hier gibt es den Artikel „Rollstuhlgerechtes Wohnmobil“ als PDF zum Runterladen.
Lesen Sie auch unseren Erfahrungsbericht: Barrierefreies Wohnmobil für Rollstuhlfahrer
Hier finden Sie Angebote von rollstuhlgerechten Wohnmobilen in den RehaTreff Kleinanzeigen.
Ein rollstuhlgerechtes Wohnmobil kann man auch mieten. Anbieter mit Wohnmobilvermietung:
- Rolli-Mobil – Vermietung
- Hymer – Vermietung
- Rolli-Freizeit – Vermietung
- Grimm Wohnmobile – Vermietung
- MS-Mobil – Vermietung
Liste von Unternehmen, die Wohnmobile barrierefrei umbauen:
- Hymer Paravano
- Grimm Wohnmobile
- HRZ Reisemobile
- Woelcke – individueller Reisemobilbau
[ratings]