Mit einem Blindenstock gehen und trotzdem lesen? – Tag des weißen Stocks

Die Patientenorganisation PRO RETINA Deutschland e. V. nutzt den Tag des weißen Stocks am 15. Oktober 2018, um Vorurteile abzubauen und darüber aufzuklären, dass Benutzer des Langstocks – umgangssprachlich auch „Blindenstock“ genannt – nicht automatisch vollblind sind und gar nichts mehr sehen können, wie von Beobachtern häufig vermutet wird. Sehbehinderte Menschen sind oft in der Lage, sich in gewohnter Umgebung oder bei guten Licht- und Kontrastverhältnissen noch angemessen zu orientieren, während sie – etwa bei fortgeschrittener Tageszeit, wenn sich die Lichtverhältnisse ändern – auf den Langstock als Hilfsmittel zwingend angewiesen sind. Bei nichtbetroffenen Mitmenschen sorgt diese Wahrnehmung nicht selten für Irritationen bis hin zur Unterstellung von Simulantentum. Es ist also nichts dabei, wenn ein Sehbehinderter seinen Langstock einklappt, sich in ein Café setzt und in der Zeitung liest oder den Touchscreen seines Smartphones bedient. Ein Bild, an das sich viele aber immer noch nicht gewöhnt zu haben scheinen. Sehbehinderte berichten immer wieder von Missverständnissen in der Kommunikation mit Nichtbetroffenen. Bei einer Makuladegeneration etwa, bei der die Mitte des Gesichtsfelds verschwimmt, sind Personen oft nicht mehr erkennbar, wenn sie sich nicht akustisch bemerkbar machen. Der fehlende Blickkontakt ist ein weiteres Problem, denn Betroffene können auf die Mimik des Gegenübers nicht reagieren. Weil ein fehlender Blickkontakt als unhöflich gilt oder als Desinteresse interpretiert wird, richten Sehbehinderte ihren Blick auf den Gesprächspartner, ohne ihn zu sehen. Menschen mit einer RP (Retinitis Pigmentosa) verfügen dagegen oft lange über eine gute zentrale Sehschärfe, die das Lesen und Erkennen von Gesichtern ermöglicht, durch das eingeschränkte Gesichtsfeld kann aber oft nicht wahrgenommen werden, wenn zum Beispiel eine Hand zur Begrüßung gereicht wird. Als unhöflich oder ungeschickt wird bisweilen auch das Anrempeln von Personen oder das Stolpern über Gegenstände ausgelegt.

Die Reaktionen von Menschen ohne Seheinschränkungen führen zum Teil dazu, dass sehbehinderte Menschen auf das Benutzen des Langstocks verzichten. Sie vermeiden es, sich zu outen, aus der Angst heraus ausgegrenzt zu werden, oder vor Stigmatisierung und Entmündigung. Viele Menschen sind geübt darin, ihre Sehschwäche (beispielsweise gegenüber Kollegen oder Geschäftspartnern) zu verbergen. Bei manchen Betroffenen dauert es Jahre, bis sie bereit sind, den Langstock zu benutzen. Sich dazu durchzuringen ist für viele ein schmerzhafter Prozess, der mit dem Akzeptieren der eigenen Einschränkungen verbunden ist. Dabei dient der Langstock, in Kombination mit einem Orientierungs- und Mobilitätstraining, vor allem der eigenen Mobilität und Sicherheit.

Blind ist nicht gleich blind
Die meisten als blind bezeichneten Menschen haben noch Seheindrücke. Was sie dabei noch sehen, ist höchst unterschiedlich und hängt von der Sehbehinderung ab, die zur Erblindung geführt hat.

Gemessen am Visus, das heißt der bestkorrigierten Sehschärfe des besseren Auges, gibt es je nach Land oder Organisation unterschiedliche Definitionen für Blindheit und Sehbehinderung. Stark vereinfacht lässt sich sagen, dass als sehbehindert gilt, wer über ein Sehvermögen von maximal 33 Prozent (der Norm) verfügt. Hochgradig sehbehindert bezeichnet ein Sehvermögen von maximal 5 Prozent; als blind gilt, wer noch 2 Prozent des Sehvermögens besitzt (Sehhilfen berücksichtigt). Blindheit kann auch bei besserer Sehschärfe vorliegen, wenn das Gesichtsfeld beeinträchtigt ist.

www.pro-retina.de

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