Badeprothese – acht aktuelle Modelle im Test

Platsch! Mit vollem Anlauf ins Wasser springen, ein paar Züge zum Rand oder Ufer schwimmen, auf zwei Beinen aus dem Wasser raus klettern und sofort zu seinen Freundinnen oder Freunden laufen. Welcher amputierte Mensch hat davon nicht schon mal geträumt? 

Wasserprothese

Bislang war das Bewegen am und im Wasser eine eher mühselige Angelegenheit: entweder vorsichtig mit Gehstützen durch die Gegend staksen, immer auf den nächsten Ausrutscher wartend oder mit Kunstbeinen humpeln, die aus einfachsten Bauteilen gefertigt wurden und deren beste Eigenschaft lediglich ihre Wasserfestigkeit war. Doch es gibt Hoffnung! Ein Wandel zeichnet sich ab, und die Industrie legt nunmehr ganze wasserfeste Produktlinien auf: Teufel hat die „Prothetik Water-Edition“, Neuhof die „OceanLine Prothesenpassteile“ und Ottobock die „Aqua Line“ aus der Taufe gehoben.

Diesen Wandel einer jahrzehntelangen schlechten Tradition haben wir unter anderem der Klage eines Mannes zu verdanken, dem seine Krankenkasse eine Badeprothese verwehrte. Der Rechtstreit wurde letztlich mit einem höchstrichterlichen Urteil (Bundessozialgericht, kurz BSG) vom 25. Juni 2009 zugunsten des Versicherten beendet: „Ein amputierter Versicherter, der mit einer normalen Laufprothese ausgestattet ist, kann von der Krankenkasse grundsätzlich die zusätzliche Versorgung mit einer wasserfesten Prothese (Badeprothese) beanspruchen.“

Urteil zu Badeprothese belebt den Markt

Hurra, denkt sich da mancher amputierte Kollege, jetzt steht dem Urlaub im Meer ja nichts mehr entgegen! Doch Vorsicht – das Urteil stellt keinen Freifahrtschein für jede Form des Badebeins dar. Das BSG zeigte noch am selben Tag in einem weiteren Urteil die Grenzen der Wasserfestigkeit auf: „Ein beinamputierter Mensch kann von der Krankenkasse lediglich die Versorgung mit einer normalen (süßwasserfesten) Badeprothese verlangen. Die Mehrkosten einer salzwasserfesten Ausführung hat der Versicherte selbst zu tragen.“ (Az B 3 KR 10/08 R).

Stehen und Gehen muss auch im Naßbereich sicher möglich sein.
Stehen und Gehen muss auch im Nassbereich sicher möglich sein.

Weil ich als Normalsterblicher meine liebe Not mit dem Juristendeutsch habe, frage ich bei Rechtsanwältin Dr. jur. Anne-Christine Paul von der Anwaltskanzlei Müller & Dr. Paul (Gütersloh; www.mueller-drpaul.de) nach. Auf welche Art von Badeprothese hat der Kassenpatient nun Anspruch? Im Gespräch hebt Dr. Paul hervor, dass man bei der Diskussion um Wasserfestigkeit die Sicherheit im Umgang mit der Prothese nicht außer Acht lassen dürfe: „Das Gehen und Stehen muss möglichst sicher gewährleistet werden. Das gilt ebenfalls für wasserfeste Gehhilfen.

Auch eine elektronische Badeprothese ist möglich

Die Krankenkasse schuldet auch hier einen weitestgehenden Behinderungsausgleich in alltäglichen Bewegungsabläufen.“ Das ist ja interessant: der Gesetzgeber erlaubt eine wasserfeste Gehhilfe, um die fehlende Wasserfestigkeit der Alltagsprothese auszugleichen. Gleichzeitig jedoch müssen Stehen und Gehen auch im Naßbereich sicher möglich sein. Da liegt der Schluss nahe, dass die Krankenkasse eine wasserfeste elektronische Prothese zahlen muss, wenn keine Badeprothese vorhanden ist und wenn die Vorteile einer Elektronik vom Versicherten genutzt werden können! Diesen Gedankengang nimmt Dr. Paul auf und ergänzt: „Selbst wenn eine Badeprothese schon vorhanden ist, der Versicherte durch die Umversorgung aber deutliche Vorteile hinsichtlich Gehen, Stehen, Sicherheit hätte, müsste die Kasse die Umversorgung genehmigen.“

RehaTreff hat acht der besten aktuellen Badeknie getestet.
RehaTreff hat acht der besten aktuellen Badeknie getestet.

Da die Auswahl der Prothesenpassteile sich am fortentwickelnden Stand der Technik zu orientieren hat, bietet es sich an, die aktuell zur Verfügung stehenden wasserfesten Prothesenpassteile einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Hierzu hat der RehaTreff acht der besten aktuellen Badeknie getestet, sie mit wasserfesten Prothesenfüßen komplettiert und sie auf eine einfache, aber anspruchsvolle Weise getestet: zu Fuß mit Schwimmtasche zum Hallenbad gehen, dort umziehen, duschen, anschließend Badespaß und zum Schluss nach erneutem Duschen wieder zu Fuß zurück. Das alles mit jeweils nur einem Prothesensystem. Gemessen wurde die Zeit für Hin- und Rückweg im schnellstmöglichen Gehmodus, was einen Hinweis auf die Alltagstauglichkeit der Badeprothese gibt. Bewertet wurden die Sicherheit unter der Dusche und die Handhabung im Badebereich. Der Spaßfaktor wurde zusätzlich separat im „Solebad Revierpark Wischlingen“ in Dortmund getestet und rundet die gewonnen Eindrücke ab.

Wasserfeste Prothesen im Test

Sechs getestete Kniegelenke sind rein mechanischer Natur, zwei Gelenke werden elektronisch gesteuert. Die Fußauswahl reicht vom einfachen Plastikfuß bis zum hochgradig Energie speichernden Pylonfuß mit langer, durchgängiger Carbonfeder wie bei reinen Sportfüßen, so dass das Testfeld breit aufgestellt ist. Was ist Alltagstauglich, was nur für den Einsatz unter der Dusche gut? Zunächst einmal sind sich alle Hersteller einig, dass ihre Systeme nach Gebrauch im Chlorwasser oder, falls vorgesehen im Salzwasser, unbedingt mit Süßwasser, also z.B. unter der Dusche, gereinigt werden müssen, um Korrosionsschäden zu vermeiden. Ebenfalls einig sind sich alle Hersteller, dass die Passteile nur in bestimmten Temperaturbereichen benutzt werden dürfen. Diese liegen meist irgendwo zwischen 5 und 50 Grad Celsius, womit eins sofort klar ist: Prothesen können einem Menschen helfen, bequem und sicher zur Sauna zu gehen – drinnen aber haben sie nichts zu suchen.

Für alle, die es gerne unaufälliger habe: Das Aqualine Cover von Ottobock.
Für alle, die es gerne unaufälliger habe: Das Aqualine Cover von Ottobock.

Auffällig ist, dass die neue Auswahl an Prothesenkniegelenken fast immer mit einem mehr oder weniger gewollten Bekenntnis zum sichtbaren Rohrskelettsystem einher geht. Wer sein Bein lieber etwas unauffällig-fülliger hätte, kann sich beim 3WR95 von Ottobock zusätzlich eine individuell angefertigte Kosmetik namens Aqualine Cover anfertigen lassen. Die Wiederherstellung des äußeren Erscheinungsbildes war ja auch irgendwann einmal ein erstrebenswertes Versorgungsziel …

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es grob drei Kategorien von Badeprothesenknien gibt. Da sind zum einen die Nachfolger der einfachen Badeprothesen, die wirklich primär der Hygiene im häuslichen Umfeld dienen. Diese Systeme sind leicht und preiswert, aber eine weiter gehende Nutzung ist kaum möglich. Hierzu zählen das Knie Agil von Teufel und das Allround Knie von Ortho Reha Neuhof.

Die zweite Kategorie sind die rein mechanischen Alleskönner. Diese verfügen alle über komplexe Schwungphasensteuerungen, unterscheiden sich aber in grundlegenden Details wie Sicher-ungsprinzip der Standphase oder Einbauhöhe. Damit bieten sie sich jeweils für bestimmte Anwendergruppen an: das KX06 von Endolite z.B. wegen seiner leistungsfähigen SNS Hydraulik und der geringen Einbauhöhe für aktive Knie-Exer.

Das 3R80 von Ottobock eignet sich wegen seiner unglaublich weich laufenden und breitbandig einzusetzenden Schwungphasensteuerung besonders für aktive oberschenkelamputierte Menschen. Das über Stamos und Braun (Dresden) vertriebene „Very Good Knee“, kurz VGK, von Orthomobility punktet mit seiner Default-Stance-Sicherungsphilosophie (bedeutet so viel wie: „Bin-grundsätzlich-in-sicherer-Standphase-Philosophie“) bei allen, die als Alltagsprothese ein Gelenk mit der gleichen Sicherungsphilosophie haben und sich nicht beim Wechsel auf eine andere Art der Steuerung einstellen wollen.

Das Genium X3 stellt derzeit den Stand der Technik im Bereich der wasserfesten Gehhilfen dar.
Das Genium X3 stellt derzeit den Stand der Technik im Bereich der wasserfesten Gehhilfen dar.

Wasserfeste Elektronik

Die dritte Kategorie sind die elektronischen Alleskönner, welche in der Lage sind, ihren Vorteil der elektronischen Überwachung der Sicherheit und Verfeinerung der Dynamik auch in nasser Umgebung auszuspielen. Hierzu zählen das Plié 3.0 von Freedom Innovations und das Genium X3 von Ottobock. Ihre Vorteile sind mehr als nur marginal, weil sie von vornherein und zusätzlich in Ausnahmesituationen Sicherheit vermitteln. Dies spiegelt sich in einem umfassenderen, entspannteren und damit weniger Spätschäden produzierenden Gebrauch der Prothesen wider. Eine eigene Liga macht dabei das X3 auf: Die auch im Wasser nutzbare Funktionsvielfalt (für Interessierte: „OPG-Funktionen“) und die Bandbreite der intuitiv nutzbaren Geschwindigkeiten (Funktion „Walk-to-run“: Joggen aus dem Stand heraus!) sind derzeit unerreicht. Ohne Zweifel stellt es derzeit den Stand der Technik im Bereich der wasserfesten Gehhilfen dar.

Fazit: Die Zeit der einfachen Badebeine in Schalenbauweise ist vorbei, Amputierte dürfen sich über mehr erschwingliche Auswahl freuen. Für viele unterschiedliche Anwendungsfälle bietet die Industrie mittlerweile auch wasserfeste Beine an. Wer die eingangs beschriebenen Freiheiten genießen möchte, kommt um ein elektronisches System aus dem Hause Freedom Innovations oder Otto Bock nicht herum. Wer auf elektronische Unterstützung verzichten kann oder muss, findet bei den mechanischen Alleskönnern ein System, das auf seine individuellen Ansprüche anpassbar ist, und wer sein Badebein wirklich nur zu Hause zum Duschen benötigt, kann bei den einfachen und besonders leichten Systemen von Teufel und Ortho Reha Neuhof fündig werden.

Autor: Michael Kramer
Fotos: © Michael Kramer

Wasserprothese_Fazit
Die Testergebnisse im Überblick:

 

Mechanische
Systeme

Preis 2015 in Euro

Das hat
gefallen

Das hat
nicht gefallen

Knie Agil

 

1.028,67

·    Leichtgewichtig

·    Niedrige Bauhöhe

·    Stehen sowohl über Sperre als auch
Vierachsigkeit gesichert

·    Schwungphase erlaubt nur
eine Gehgeschwindigkeit

·    Störend lauter Streckanschlag

·    Bedienung der Sperre über Seilzug im Freizeitbad
unpraktisch

·    Max. 100 kg
Patientengewicht

 

3WR95

 

2.081,00

·    Leichtgewichtig

·    Geringe Gesamtbauhöhe

·    Schwungphase erlaubt
mehrere Gehgeschwindigkeiten

·    Einfach zu bedienende
Sperre (seitliche Hebel)

·    Max. 150 kg
Patientengewicht

·    Chlor-, Salz- und
Seifenlaugenfest

 

·    Keine Sicherung des
Auftritts beim Gehen (nur durch R
ückverlagerung des Knies)

Allround Knie

 

2.382,00

·    Leichtgewichtig

·    Robust

·    Salzwasserfest

 

·    Schwungphase erlaubt nur
eine Gehgeschwindigkeit

·    Störend lauter Streckanschlag

·    Bedienung der Sperre über Splint unpraktisch

 

3R80

 

3.432,00

·    Beugen unter Last möglich (Treppen / Schrägen hinab gehen)

·    Hydraulische Schwungphase
hoch leistungsf
ähig, läuft weich

·    Einfach zu bedienende
Sperre (seitliche Hebel)

·    Max. 150 kg
Patientengewicht

 

·    Bei Zehenablösung bleibt manchmal der
Fu
ß hängen (Auslösen der Standphase)

 

KX06

 

4.219,00

·    Beugen unter Last möglich (Treppen / Schrägen hinab gehen)

·    Hydraulische Schwungphase
hoch anpassungsf
ähig

·    Max. 150 kg
Patientengewicht

·    Geringe Einbauhöhe (Knie-Exer!)

 

·    Keine Yielding-Etensionsdämpfung

·    Einstellung von Sperre und
SNS Hydraulik umst
ändlich

·    Klobige Form kosmetisch
schwer zu verkleiden

 

VGK

 

7.196,00

·    Standphasenphilosophie
vermittelt Sicherheit im Gebrauch

·    Beugen unter Last sehr gut
einzuleiten

·    Schwungphase genügt allen alltäglichen Anforderungen

·    Keine Yielding-Extensionsdämpfung

·    Bedienung des Wählhebels unpraktisch

 

 

 

 

 

 

 

Elektronische
Systeme

Preis
2015

Das hat
gefallen

Das hat
nicht gefallen

Plié 3.0

14.500,00

·    Elektronische Steuerung
vermittelt Sicherheit im Gebrauch besonders im Na
ßbereich

·    Beugen unter Last gut
einzuleiten

·    Schwungphase sehr gut und
gen
ügt durch Nachstelloption
auch h
öchsten Anforderungen

 

·    Standphase nur manuell
einstellbar; keine Rasten zur Orientierung

·    Laden über separate Akkus (Gefahr
von Wasser an Akkus / Elektronik)

·    Beschränkung auf 100 kg
Patientengewicht f
ür aktive Menschen

 

GENIUM X3
(inkl. Rohr)

„Testsieger“

37.850,00

·    OPG-Funktionen: Sicherheit
und Komfort im Alltag und im Na
ßbereich unübertroffen.

·    Walk-to-run Funktion ermöglicht spontanes Jogging

·    Barfuß gehen und Schuhe tragen
ohne Nachjustieren m
öglich

·    Laden über Induktion (keine
Gefahr von Wasser an Akkus / Elektronik)

·    Korrosionsbeständig

 

·    Klobige Form kosmetisch
schwer zu verkleiden

·    Hohes Gewicht (bei
schlecht sitzendem Schaft problematisch)

Sprung_Prothese

 

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (01/2015).
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Titel_Rehatreff_1_2015

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