Der Schlüssel(-griff) zu mehr Lebensqualität

Rangar Yogeshwar (links) beobachtet gespannt wie Thomas Schweiger (rechts) mit der Greifneuroprothese einen Apfel greift (Bildquelle: ©SWR/Andrea Kremper)

Das Forscherteam um Dr. Rüdiger Rupp aus der Klinik für Paraplegiologie (ärztlicher Direktor Prof. Dr. N. Weidner) des Universitätsklinikums Heidelberg stellte am 11.07.2013 in der „Großen Show der Naturwunder“ bei Frank Elstner und Ranga Yogeshwar erstmalig eine neu entwickelte Greifneuroprothese der Öffentlichkeit vor. Ziel dieser Neuroprothese ist es, hoch querschnittgelähmten Menschen eine verloren gegangene Handfunktion zumindest teilweise wiederzugeben. Menschen, wie dem 38-jährigen Thomas Schweiger aus Passail in Österreich, der im Jahr 1998 als junger Mann aufgrund eines missglückten Kopfsprungs ins Meer eine hohe Querschnittlähmung erlitten hat.

Eine Unterbrechung des Rückenmarks mit Technik überbrücken

Bei einer Schädigung des Rückenmarks gelangen die Bewegungsbefehle des Gehirns nicht mehr zu den ausführenden Muskeln wie denen der Hand. Allerdings ist – im Gegensatz zu den bei Motorradunfällen häufig auftretenden Plexusschädigungen – die Nervenverbindung zwischen Rückenmark und Muskeln in der Regel noch intakt. Dies macht man sich bei der Funktionellen Elektrostimulation, kurz FES, zu Nutze. Mit der FES können die gelähmten Muskeln der Hand mit kurzen elektrischen Impulsen, die auf die Nerven wirken, wieder in Bewegung gesetzt werden. Werden die Elektroden an die richtigen Stellen auf den Unterarm geklebt und in koordinierter Weise angesteuert, dann können sogar verschiedene Griffe realisiert werden. „Mit dem Schlüsselgriff kann ich einen Stift, eine Gabel oder einen Löffel greifen und mit dem Zylindergriff größere Gegenstände wie eine Tasse oder ein Glas halten und daraus trinken“ beschreibt Thomas den Funktionsumfang der Neuroprothese.

Die gelähmte Hand im Griff

„Die Greifneuroprothese besteht aus einem Elektrostimulator, einem maßgefertigten Neoprenhandschuh für den Unterarm mit integrierten Klebeelektroden und einem auf die Brust aufgeklebten Joystick, der Bewegungen der gegenüberliegenden Schulter misst“, erklärt Dr. Rupp gleich zu Beginn des Beitrags. Danach schaltet Tom mit einem langen Druck auf den Joystick das System ein und wechselt mit einer kurzen Betätigung auf den richtigen Griff. Mit einer Schulteraufwärtsbewegung steuert er die Fingerbewegungen und die Stärke des Handgriffs.

Dass das selbstständige Trinken aus einem Glas oder das eigenhändige Essen eines Apfels für Menschen mit einer fehlenden Handfunktion nicht mehr zwingend ein Traum bleiben müssen, hat Thomas dann vor den Augen von 500 Zuschauern und laufenden Fernsehkameras in der Rothaus Arena der Messe Freiburg eindrucksvoll vorgeführt. Letzteres war übrigens die richtige Antwort auf die von Frank Elstner an das prominente Rateteam gestellte Frage, „was Thomas durch eine Erfindung von Heidelberger Wissenschaftlern wieder ermöglicht wird.“

Effekthascherei oder tatsächlicher Nutzen?

Thomas war von Anfang an in die Entwicklung der Heidelberger Neuroprothese eingebunden und hat entscheidende Impulse zur Verbesserung ihrer Alltagstauglichkeit geliefert. Ihm war es möglich, trotz dauerhaft ausgefallener Handfunktion, zwei wesentliche Handgriffe des alltäglichen Lebens zurückzugewinnen und im Alltag wirkungsvoll einzusetzen.

Um diesen Funktionsgewinn allen in Frage kommenden Nutzern zukommen lassen zu können, wird das Heidelberger Team von einem Hersteller von Elektrostimulationsgeräten mit der notwendigen Technik unterstützt.. Im Oktober 2013 konnte an der Klinik für Paraplegiologie des Universitätsklinikums Heidelberg daher eine Studie beginnen. „Endlich können wir mehr Hochquerschnittgelähmte mit einer Greifneuroprothese versorgen“, freut sich Dr. Rupp. „Mit der Studie können wir wichtige Fragen klären,. Sind Betroffene wie Thomas in der Lage, das System alleine zu Hause zu benutzen ? Besteht Verbesserungsbedarf, um die Lebensqualität im Alltag zu erhöhen ?“

Können auch Sie von einer Greifneuroprothese profitieren ?

„Beim aktuellen Stand unserer Technik kommt die Neuroprothese leider nicht für alle Hochquerschnittgelähmten in Frage“, stellt Dr. Rupp fest und führt weiter aus: „Eine gute Schulterhebung und eine ausreichende Fähigkeit zur Armbeugung müssen vorhanden sein.“ Darüber hinaus sollten die Gelenke ausreichend beweglich sein. Die Erfahrung zeigt, dass viele potentielle Nutzer das System zum Essen und Trinken nutzen wollen. Daher sollte die Hand aktiv zum Mund geführt werden können.

Die Beteiligung an der Studie wird im Normalfall zwischen 6 und 8, im Extremfall auch 9 Monate in Anspruch nehmen. „Dies hängt im Wesentlichen von dem Zustand der Muskeln ab, die zunächst trainiert werden müssen“, erklärt Studienarzt Dr. Steffen Franz vom Querschnittzentrum des Universitätsklinikums Heidelberg. Ist das anfängliche Training abgeschlossen und sind die stimulierten Muskeln genügend stark und ausdauernd, dann kann die Greifneuroprothese von den Studienteilnehmern im Alltag angewandt werden.

Es ist vorgesehen, dass die Studienteilnehmer während ihrer Studienzeit mindestens viermal persönlich nach Heidelberg kommen. Zu diesen Studienvisiten werden klinische Untersuchungen durchgeführt und Fragen zur allgemeinen Lebensqualität gestellt. Am Wichtigsten ist aber die Durchführung von bestimmten „Geschicklichkeitsübungen“ mit und ohne Neuroprothese und die Erfassung der Zufriedenheit mit der Greifneuroprothese.

Für Interessierte hat die Klinik für Paraplegiologie jeweils montags und donnerstags Termine reserviert. Zur Terminvereinbarung sollte man sich entweder telefonisch unter 06221/562 6322 melden oder eine E-Mail an petra.rauch@med.uni-heidelberg.de richten.

Nähere Informationen sind auch über den Internetauftritt der Klinik für Paraplegiologie am Universitätsklinikum Heidelberg zu finden.

 

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