Am 26. und 27. März fand in Genf vor dem UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung (CRPD) die Anhörung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland statt. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele, sprach dort in ihrer Funktion als Vorsitzende des Inklusionsbeirates der staatlichen Koordinierungsstelle. In ihrem Statement wies sie auf Defizite, unter anderem in den Bereichen Teilhabe, Bildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung hin. Außerdem forderte sie, dass 2017 auch Menschen, bei denen eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist, wählen dürfen.
Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-CRPD) hatte laut einer Pressemitteilung von Verena Bentele viele Fragen an den Vertragsstaat hinsichtlich der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Deutschland. Der Ausschuss stellte, genauso wie die Behindertenbeauftragte in ihrem Statement, hinsichtlich der Teilhabe am politischen Leben (Art 29 UN-BRK) dringenden Handlungsbedarf fest. Besonders die Aberkennung des Wahlrechts von Menschen, bei denen eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist oder die im Rahmen des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, hält der Ausschuss ebenfalls für unvereinbar mit der UN-BRK. Die Erklärung der deutschen Delegation zu diesem Umstand, dass man sinngemäß „einen Wachkomapatienten ja auch nicht Pilot lassen werden würde“, führte nicht nur zu Stirnrunzeln in den Reihen der Zivilgesellschaft, die als Zuhörer anwesend waren. Diane Kingston, die unabhängige Berichterstatterin des UN-Fachausschuss, wie auch Dr. Valentin Aichele von der Monitoring-Stelle wiesen in ihren Abschluss-Statements nochmals auf den dringenden Handlungsbedarf in diesem Bereich hin.
Arbeitsmarktsituation
Ein weiteres Thema war die Situation von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt (Artikel 27 UN-BRK). Hier wurde laut Bentele zum einen besonders kritisch die Zahl von 300.000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten, das heißt in Maßnahmen der Rehabilitation, gesehen. Zum anderen die fehlenden Anreize für einen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt: Weniger als 1 Prozent der Werkstattbeschäftigen könnten auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Damit griff der Ausschuss ein weiteres Thema auf, das die Beauftragte in ihrem Eingangsstatement ebenfalls kritisch beleuchtet hatte. „Der geschützte Raum ist nicht für alle Menschen mit Behinderung, auch nicht für alle Menschen mit hohem Assistenzbedarf, der richtige Weg“, so Verena Bentele. Es ist nach Ansicht der Behindertenbeauftragten absehbar, dass der Ausschuss Deutschland empfehlen wird, Anreize für den Ausstieg aus Werkstätten zu schaffen, damit echte Inklusion am Arbeitsmarkt verwirklicht werden kann.
Bildungssituation
Besondere Sorgen machte sich der UN-Fachausschuss über die Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in Deutschland. Mehrere der Ausschussmitglieder wiesen nachdrücklich darauf hin, dass sie das gleichwertige Recht auf Bildung gemäß der UN-BRK in Deutschland nicht verwirklicht sähen. Der Verbleib von immer noch 72 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Behinderung in Förderschulen entspräche nicht dem Ziel eines inklusiven Bildungssystems. Deutschland wird angehalten, besonders hier Maßnahmen zu ergreifen. „Klar ist in meinen Augen: Qualitativ hochwertige Bildung kostet Geld. Aber dieses Geld ist eine Investition in die Zukunft“, so die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Ebenso wie sie fordere auch der UN-Fachausschusses, mehr finanzielle Ressourcen ins deutsche Bildungssystem.
Diane Kingston strich heraus, dass die Staatenprüfung ein weiterer Schritt für den Austausch hin zu einer inklusiven Gesellschaft in Deutschland zu verstehen sei. „Ich habe die Anhörung vor dem UN-Fachausschuss als wertvoll erlebt, weil sie zeigt, wo wir in Deutschland bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wirklich stehen. Die Empfehlungen, die wir nach diesem konstruktiven Dialog zu erwarten haben, werden den politischen Forderungen der Menschen mit Behinderung in Deutschland Nachdruck verleihen“, resümierte Verena Bentele.
Die Anhörung war Teil eines Prüfverfahrens, das die Bundesrepublik erstmals seit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 durchläuft. Im Anschluss an die Anhörung wird der Ausschuss gegenüber der Bundesrepublik abschließende Bemerkungen aussprechen. Diese werden für Mitte April erwartet. Am 24. Juni 2015 wird Verena Bentele gemeinsam mit der Monitoring-Stelle, angesiedelt am Deutschen Institut für Menschenrechte, die Empfehlungen und die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen diskutieren.