Anlässlich der Veröffentlichung der Parallelberichte des Deutschen Instituts für Menschenrechte und der Zivilgesellschaft zum Staatenprüfverfahren Deutschlands durch den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erklärt Corinna Rüffer, Berichterstatterin für Behindertenpolitik der Grünen Bundestagsfraktion:
Das Deutsche Institut für Menschenrechte und die zivilgesellschaftlichen Akteure rund um den Deutschen Behindertenrat zeigen in ihren veröffentlichten Parallelberichten eklatante Mängel in der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf. Besonders mit Blick auf die sogenannte Deinstitutionalisierung, das heißt den Abbau von Sonderstrukturen für Menschen mit Behinderungen, zeigt sich dringender Handlungsbedarf. Bereits 2015 hat der UN-Fachausschuss die Überwindung der Sonderwelten in Deutschland dringend angemahnt. Weder die Förderschulen noch die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind in ihrer bestehenden Form mit den menschenrechtlichen Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Obwohl die Behindertenrechtskonvention in Deutschland seit 14 Jahren geltendes Recht ist, stellt das Deutsche Institut für Menschenrechte fest, dass die Dynamik bei deren Umsetzung deutlich nachgelassen hat und der erforderliche Paradigmenwechsel bislang ausgeblieben ist.
Die Erwartung an die anstehende Staatenprüfung muss daher sein, dass endlich neuer Schwung in die Verwirklichung inklusiver Strukturen kommt. Die Bundesregierung muss die maßgeblichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention und die Empfehlungen des Fachausschusses zu deren Umsetzung ernst nehmen. Dass dem derzeit nicht so ist, zeigt sich etwa daran, dass die Bundesregierung Förderschulen als Teil eines inklusiven Bildungssystems verteidigt und damit bewusst die Ergebnisse der letzten Staatenprüfung ignoriert. Tatsächlich stehen Förderschulen für die Betroffenen am Anfang einer Exklusionskette, wie das Deutsche Institut für Menschenrechte in seinem Bericht aufzeigt. Fast drei Viertel aller Förderschülerinnen und -schüler gehen ohne einen anerkannten Abschluss von der Schule ab. Die meisten landen anschließend in einer Werkstatt ohne Aussicht darauf, jemals auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln und den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern zu können. In der Konsequenz bedeutet dies den dauerhaften Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe.
Die zivilgesellschaftlichen Akteure mahnen in ihrem Bericht an, dass nicht nur bestehende Gesetze mit der UN-Behindertenrechtskonvention unvereinbar sind. Mit Blick auf das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz werden sogar neue Gesetze verabschiedet, die gegen die Konvention verstoßen. Es besteht die Gefahr, dass die von dem Gesetz betroffenen, schwerbehinderten Menschen in die Institutionen gedrängt werden. In einem parallel hierzu veröffentlichten Faktenblatt wurden insbesondere die Qualitätsanforderungen an die Pflegekräfte und die prekäre ärztliche Versorgungslage als Probleme identifiziert, die das Recht auf die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit gefährden.
Mit Blick auf die Förderung des gesellschaftlichen Bewusstseins für Menschen mit Behinderungen gibt der Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte berechtigten Anlass zur Sorge. Insbesondere die Zulassung des nicht-invasiven Pränatal-Tests für Chromosomenabweichungen als Kassenleistung im vergangenen Jahr fördert die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung behinderter Menschen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass dieser Test sich zu einem Standard entwickelt, der mit einem deutlichen Anstieg an Schwangerschaftsabbrüchen einhergeht.
Die beiden Berichte geben wenig Raum für Hoffnung, dass Deutschland bei der diesjährigen Staatenprüfung mit einer positiven Bewertung rechnen kann. Die Empfehlung des Instituts, die Gesetzgebung auf Bundes- und Landesebene verbindlich auf die Einhaltung der menschenrechtlichen Normen der Behindertenrechtskonvention zu überprüfen, muss umgesetzt werden, damit sich dies künftig ändert.