Ihren erfolgreich vollzogenen Wandel von der Rollstuhlbasketballerin zur Parakanutin hat Edina Müller auch ihrem Trainer Arne Bandholz zu verdanken. Der Hamburger bereitet die Goldmedaillengewinnerin von London auf die Paralympics in Rio vor. In einer Disziplin, die für beide 2014 noch völlig neu war. Erster Jahreshöhepunkt für das außergewöhnliche Duo ist die bevorstehende WM in Duisburg (17. bis 19. Mai).
Seine Frau nahm das erste Gespräch damals entgegen. Im Spätherbst 2014. „Hier ist Edina Müller“, erklang vom anderen Ende der Leitung, „ich möchte Rennkanu fahren“. Ja, da war sie natürlich richtig beim Trainer und Sportwart des Hamburger Kanu Clubs. Arne Bandholz rief also zurück, Edina Müller erzählte, was sie so vor hat, dann rückte sie damit heraus: „Und da ist noch etwas: Ich sitze im Rollstuhl.“
So ging es also los. Arne Bandholz erzählt die Geschichte gerne und lebendig im hölzern-gemütlichen Clubraum seines Vereins, zentral gelegen, fast direkt an der Hamburger Außenalster. Es ist ja auch eine Erfolgsgeschichte, auch seine Erfolgsgeschichte. Die von dem Trainer, der eine Paralympics-Siegerin im Rollstuhlbasketball zu einer erstklassigen Parakanutin trainiert hat. Den erhofften Startplatz bei den Spielen in Rio de Janeiro hat Müller bereits für Deutschland erkämpft, vom 17. bis 19. Mai stehen nun die Weltmeisterschaften in Duisburg auf dem Plan, wo sie ihre Leistungen bestätigen will. „Ganz klar der erste Jahreshöhepunkt“, sagt Arne Bandholz, „wir haben intensiv darauf hin trainiert“.
Neben Edina Müller in der Klasse KL1 hat auch Tom Kierey in der Klasse KL3 bereits einen Rio-Startplatz für den Deutschen Behindertensportverband (DBS) gesichert. Anke Molkenthin, Ivo Kilian (beide KL2) und Stefan Volkmann (KL1) haben gute Chancen, dies bei der WM ebenfalls zu schaffen. Auch Daniela Sjöberg-Holtkamp (KL3) hofft noch auf ein Ticket für die Spiele in Brasilien. Die endgültige Nominierung wird erst am 1. August durch den DBS verkündet, dennoch dürften die Sportler, die den Nationenplatz gesichert haben, gute Chancen haben, dass sie an die Copacabana fahren werden. Auch Edina Müller.
„Ich möchte nach Rio“, hatte sie, kurz nachdem sie Arne Bandholz kennengelernt hatte, gesagt. Der 37 Jahre alte Trainer wunderte und freute sich zugleich über diese Zielstrebigkeit einer Leistungssportlerin sehr. So viele ambitionierte Top-Athleten gibt es in seinem Verein nicht – nur ein weiteres Mädchen mit großem Potenzial ist gegenwärtig am Start. Aber dieser ehrenamtlich tätige Trainer, der immer noch in Vollzeit als Software-Tester arbeitet, der hatte nun „Blut geleckt“ und ging die Aufgabe einfach mal an. „Total unbefangen“, sagt er selbst. Nach dem Motto: Mal schauen, was geht, mit der Athletin, unter diesen besonderen Umständen.
Es gibt schließlich kaum Erfahrungen mit querschnittsgelähmten Kanuten, der Sport ist noch so neu. Im Hamburger Kanu Club gab es auch kein passendes Boot. „Ich habe mir viele Gedanken über die Stabilität im Boot gemacht, Edina fehlt die Rumpfstabilität und sie kann ja auch nicht das Stemmbrett für die Füße nutzen und damit steuern“, erinnert sich Bandholz. Diverse Versuche haben sie unternommen, das Ruder fixiert („Edina ist nie geradeaus gefahren“), es dann wieder gelockert. Der Sitz wurde extra für sie angefertigt, es war ein Experimentieren, ein Tun und ein Lassen. „Wir sind hier Vorreiter, es gibt keine Lektüre“, sagt Bandholz.
Mit ihrem Wanderkanu und Rennpaddeln hatte Edina Müller damals im Spätherbst 2014 die ersten Rennversuche gemacht, schnell haben beide gesehen: Da geht was. Bandholz las, fragte, schaute sich etwas ab, wuchs mit der Aufgabe. Er kümmerte sich um die Klassifizierung, besorgte ein Boot, den Wettkampfausweis. Für Edina Müller jedenfalls ist er ein Glücksfall. „Er gibt mir viel Sicherheit und das Gefühl, dass er an mich glaubt“, sagt die 32-Jährige. „Sie ist sehr zielstrebig und sie setzt die Dinge um, die man ihr erklärt“, sagt der Trainer. Das richtige Eintauchen des Paddels, den Druckpunkt setzen, die Technik erarbeiten – das alles ging so schnell so gut, dass die Hamburgerin bereits nach knapp einem halben Jahr in die Weltspitze gefahren war. Aktuelle Tendenz: Steigend.
„Dass ich die Aussicht habe, nach Rio zu fahren, ist zum großen Teil sein Verdienst“, lobt die ehrgeizige Athletin, „Arne ist in der Lage, sich in mich hineinzuversetzen und er hat Lust, neue Trainingsideen zu entwickeln“.
Der Selfmade-Trainer, der bislang nur eine C-Lizenz hat, wurde für die Erfolge mit seiner Musterschülerin 2015 in Hamburg zum ‚Trainer des Jahres’ gewählt. Die zeitliche Belastung ist erheblich. Zur WM nach Duisburg nimmt er nun immerhin seine sechsjährige Tochter mit. „Das geht natürlich alles nur, wenn die Familie dahintersteht“, sagt der zweifache Vater. Noch hat sich seine Frau jedenfalls nicht darüber beklagt, dass sie damals diesen Anruf entgegen genommen hat: „Hier ist Edina Müller.“
Quelle: Medienmannschaft/ Foto: Ralf Kuckuck, DBS-Akademie