Wer schon einmal versucht hat, in einer fremden Stadt die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, weiß, das kann zum Problem werden. Allein die richtige Haltestelle zu finden oder eine Fahrkarte zu lösen können echte Herausforderungen sein. Das gilt erst recht für Menschen mit kognitiven oder körperlichen Einschränkungen. Damit der öffentliche Personenverkehr in Zukunft für alle Menschen ganz einfach wird, hat das Bundeswirtschaftsministerium 2013 die Mobilitätsinitiative „Von Tür zu Tür“ ins Leben gerufen und fördert nun insgesamt zehn innovative Projekte. Eines davon ist das Projekt „Mobile – mobil im Leben“ mit den beiden Forschungsstandorten Krefeld und Bielefeld.
Esma Smajlovic hat Besuch. Ein Team der Hochschule Rhein-Waal aus dem nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort ist da. Die 28-Jährige lebt in einer Einrichtung der v.Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Sie und 14 weitere Menschen mit Behinderungen haben sich als Testpersonen für das Teilprojekt „Mobile – Mobil im Leben“ zur Verfügung gestellt. Esma Smajlovic eignet sich gut für diese Aufgabe, denn sie fährt niemals alleine mit der Stadtbahn. „Wenn die Straßenbahn unter der Erde fährt, weiß ich nicht, wo ich bin. Ich weiß auch nicht, ob die Tür links oder rechts aufgeht, wenn die Bahn hält“, beschreibt sie ihre Unsicherheit. Mit einem Navigator, der anzeigen würde, was sie wann und wo zu tun hätte, wäre Esma Smajlovic geholfen. Und genau darum geht es beim Projekt „Mobile“: ein Navigationssystem auf Basis von Smartphones, Tablets und Smart Watches zu entwickeln, dessen Bedienung so einfach und selbsterklärend ist, dass die Navigation auch ohne Lesekenntnisse möglich ist. „Wir wollen Barrieren finden, die die Nutzung der öffentlichen Nahverkehrsmittel bisher erschweren beziehungsweise unmöglich machen“, so der wissenschaftliche Leiter des Projekts Professor Dr. Christian Ressel von der Hochschule Rhein-Waal. „Denn dann können diese auch von einem Computeralgorithmus, der die Reiseroute ermittelt, berücksichtigt werden.“ Die Standorte werden wie beim Auto über das Positionssystem GPS identifiziert.
Beobachtungsstudien identifizieren Barrieren
Die Aufgabe, die Esma Smajlovic in Begleitung des Hochschulteams bewältigen soll, ist, von der nächstliegenden Haltestelle bis in die Bielefelder Innenstadt zu fahren. Die junge Frau trägt einen Helm, weil sie epileptische Anfälle bekommt. Daran wird eine Kopfkamera befestigt. Die zeichnet auf, wohin die Probandin blickt. Ein Mitarbeiter des Hochschul-Teams filmt ihr Verhalten mit einer Handkamera. Durch die Beobachtungsstudien mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen hoffen die beiden forschenden Hochschulen, Hochschule Rhein-Waal und Hochschule Niederrhein, die Barrieren zu identifizieren.
Das Bielefelder Verkehrsunternehmen moBiel ist Kooperationspartner des Projekts, und Mitarbeiter Günter Till ist bei allen Aktionen dabei. „Das ist alles für uns sehr aufschlussreich. Aus dieser Studie ergibt sich ein detailliertes Bild, wie wir unseren Service verbessern können“, betont der Projektleiter der moBiel GmbH. „Denn was Menschen mit Behinderungen Schwierigkeiten bereitet, kann manchmal auch für andere Fahrgäste zum Problem werden. Die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel soll so einfach wie möglich sein.“ Während der Studie hatte Günter Till schon das eine oder andere „Aha-Erlebnis“. Beispielsweise fand ein junger behinderter Mann die Straßenbahnhaltestelle nicht, obwohl er direkt davor stand. „Er hat nach dem gelben H-Schild gesucht. Aber das gab es nicht bei dieser Stadtbahnhaltestelle.“ Auch sei es für Testpersonen schwierig gewesen, in der unterirdischen Stadtbahnhaltestelle „Jahnplatz“ den richtigen Ausgang zu finden.
Krefeld: Körperliche Einschränkungen im Focus
Getestet wird ebenfalls am Standort Krefeld. Dort stehen eher Menschen mit körperlichen Einschränkungen im Focus der sie begleitenden Hochschul-Mitarbeiter. Die Projektpartner sind hier die Verkehrsbetriebe SWK MOBIL GmbH, die bereits über mobile Informations- und Kaufinstrumente wie eine SWK-App Bus & Bahn verfügt, und der bundesweit an 27 Standorten agierende Gesundheitsdienstleister „salvea“.
Die erste Projektphase ist abgeschlossen. Und bevor es in die Erprobungsphase der Navigationssysteme geht, haben die Probanden bei einem Projekttreffen in Bielefeld-Bethel Gelegenheit gehabt, die umgesetzten Ideen kennenzulernen, die die Nutzung von Bus und Bahn erleichtern sollen. Beispielsweise haben die Hochschulen einen Armreif entwickelt, der helfen kann, Busse und Bahnen pünktlich zu erreichen. Wenn der Reif grün leuchtet, ist noch Zeit, bei Gelb wird es Zeit, und bei Rot ist allerhöchste Zeit. Auch Programme mit künstlichen Personen – sogenannten Avataren – die bei der Navigation helfen sollen, wurden vorgestellt und bewertet.
„Geplant ist – und das ist das Besondere -, dass das Navi auf die individuellen Bedürfnisse der Nutzer eingestellt werden kann, zum Beispiel wenn jemand besser mit gesprochener Sprache als mit geschriebenem Text oder besser mit Symbolen als mit Fotos und Bildern zurechtkommt“, so Dr. Friederike Koch, Projektkoordinatorin in Bethel. Bis 2016 läuft das Projekt in Bielefeld und Krefeld zum Thema. „Alle erhoffen sich davon ein höheres Maß an Selbständigkeit und Unabhängigkeit für Menschen, die bisher den ÖPNV wenig nutzen konnten“, sagt Dr. Friederike Koch.“