Es sind die Geschichten, wie diese nur der Sport schreiben kann. 20 Schuss – 20 Treffer – und am Ende leuchtet auf der großen Anzeigetafel die „1“. Anja WICKER (MTV Stuttgart) behielt im Nieselregen und Nebel des Laura Cross Country Skistadions den Durchblick und sicherte sich am Dienstag überraschend die Goldmedaille im Biathlon über zehn Kilometer bei den Schlittenfahrerinnen. Mit einem Rückstand von 42,3 Sekunden ging Silber an Svetlana Konovalova (Russland), Lyudmyla Pavlenko (Ukraine) gewann Bronze.
Bundestrainer Ralf Rombach (Freiburg) hat es schon vor dem Start gewusst und die 22-jährige Schwäbin aus der Landeshauptstadt hatte wohl gut zugehört, „denn heute führt der Sieg nur über die Null am Schießstand“). Nach der ersten Serie trotz fehlerfreier Leistung noch auf Platz vier, ließ die Konkurrenz bei den nachfolgenden Schießeinlagen Federn (jeweils zwei Fahrkarten für Konovalova und Pavlenko). Spätestens jetzt war klar, dass Wicker wie beim Auftaktwettbewerb wiederum um eine Medaille mitkämpfen sollte. Doch sollte es diesmal wirklich für eine Medaille reichen? „Vor dem letzten Schuss habe ich schon an meinen letzten Wettkampf vom Samstag gedacht, als ich eine Medaille verballert habe. Ich habe mich nochmals konzentriert, wollte unbedingt Null und das hat geklappt“, gestand die Sitzskifahrerin aus der Landeshauptstadt.
Wicker räumte alle Scheiben ab und nach einem fulminanten Zielsprint, blickte die Studentin mit starrem Blick zur Anzeigetafel, die einen Vorsprung von 42,3 Sekunden auf die Russin auswies. „Ich bin überglücklich, kann es selbst noch nicht wirklich glauben, dass ich jetzt Gold gewonnen habe“, sprudelte es aus ihr heraus. Wenig später gab es kein Halten mehr für das Betreuerteam: „Anjaaaaaa, du bist der Wahnsinn“, eilten die Servicetechniker mit feuchten Augen in Richtung Mixedzone und freuten sich gemeinsam über das zweite goldene Edelmetall für das Skiteam Nordisch bei den Paralympics in Sotschi.
Und Wicker wusste wem sie neben der tadellosen Schießleistung den überraschenden Triumph zu verdanken hatte: „Mein Dank gilt dem gesamten Team für die Unterstützung. Ich hatte heute einen sehr guten Ski“, sagte die schnelle Rolli-Pilotin nach dem Rennen. Die Eltern Ulrike und Volker Wicker haben das Rennen der Tochter in der schwäbischen Heimat im Internet mitverfolgt, „und waren sehr nervös“, berichtet Wicker vom ersten Telefonat und ergänzte, „das war auch ein Sieg für euch“. „Wir sind total überrascht, das ist der Hammer. So ein Drehbuch kann man gar nicht schreiben, das wäre eine totale Schnulze“, frohlockte Bundestrainer Ralf Rombach (46) über das unerwartete Geburtstagsgeschenk seines Schützlings.
Aber das deutsche Ski-Nordisch-Team musste auch miterleben, wie nahe Freude und Enttäuschung zusammen liegen. Denn lange sah es sogar nach einem möglichen zweifachen Medaillengewinn aus. Andrea Eskau, Goldmedaillengewinnerin des Auftaktwettbewerbs vom Samstag, lag nach nur einem Schießfehler bei den ersten beiden Schießen noch aussichtsreich auf Medaillenkurs. Doch das Gewehr avancierte bei der dritten Prüfung zum Spielverderber. Gleich viermal verfehlte die 42-jährige die Scheiben und die gebürtige Thüringerin beendete vorzeitig das Rennen. „Ich hatte einen technischen Defekt mit dem Gewehr und konnte deshalb nicht mehr weitermachen. Gesundheitlich hatte ich keine Probleme und hätte weiterlaufen können“, gab die vierfache Goldmedaillengewinnerin bei Paralympics später zu Protokoll.
Durchaus zufrieden durfte dagegen Martin Fleig sein. Der 24-jährige aus Gundelfingen verfehlte nur eine Scheibe und wurde am Ende mit einem Rückstand von 3,25 Minuten auf den russischen Goldmedaillengewinner Roman Petushkov Neunter. „Ich weiß nicht wie die das machen, das ist außerirdisch“, zeigte sich der Sitzskifahrer vom Team RIG Freiburg über den Abstand zu den Medaillenrängen sichtlich beeindruckt. Auf seinen Start kurzfristig verzichten musste Willi Brem. Der Freiburger hatte über Nacht Rückenschmerzen bekommen und wurde nach eingehender Untersuchung und in Absprache mit Teamarzt Lars Meiworm aus dem Rennen genommen. „Ich wollte im Hinblick auf die Staffel am Samstag nichts riskieren“, sagte der 36-jährige zu seiner Startabsage.
Mädels auf Medaillenkurs
Die deutschen Mädels haben beim Auftakt der Super Kombination überzeugt und liegen ebenso auf Medaillenkurs wie Thomas Nolte. Nachdem der Super-G im Alpin Center in Rosa Khutor am Morgen aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse abgesagt wurde, haben sich Andrea Rothfuss, Anna Schaffelhuber du Anna-Lena Forster im Slalom eine tolle Ausgangsposition geschaffen. Rothfuss liegt in der Klasse der Stehenden hinter der zweifachen Paralympics-Siegerin Marie Bochet (Frankreich) auf Rang zwei, die Monoskifahrerinnen Schaffelhuber und Forster haben gar eine deutsche Doppelführung herausgefahren.
„Die Bedingungen waren nicht einfach. Ich habe den Lauf so gut es ging heruntergebracht“, erklärte eine nicht ganz zufriedene Schaffelhuber. Dabei liegt die zweifache Goldmedaillengewinnerin mit einer Zeit von 1:00,73 Minuten 0,31 Sekunden vor ihrer Teamkollegin und deutlich vor den weiteren Starterinnen. So hat die drittplatzierte Claudia Lösch (Österreich) bereits einen Rückstand von fast 4,5 Sekunden. „Die Chance auf Gold ist da, aber es ist alles offen“, so die 21-Jährige. Glücklich mit Platz zwei war nach einem starken Rennen Anna-Lena Forster. „Der Lauf hat sich zwar eigentlich gar nicht so gut angefühlt, aber ich habe gekämpft und alles gegeben. Daher hoffe ich, dass etwas herausspringt“, erklärte die Radolfzellerin und ergänzte: „Dass ich so knapp hinter Anna bin, hätte ich nicht erwartet.“
Ein großer Stein vom Herzen gefallen ist Andrea Rothfuss. Nach ihren beiden Ausfällen in der Abfahrt und im Super-G brachte die deutsche Fahnenträgerin ihr Rennen diesmal souverän mit einer Zeit von 55,86 Sekunden ins Ziel. „Ich bin richtig erleichtert. Zwar habe ich während des Laufs immer wieder daran gedacht, bloß keinen Fehler zu machen, aber ich bin zufrieden. Jetzt möchte ich den Schwung mitnehmen“, betonte Rothfuss. Im Super-G wolle sie den Rückstand auf die führende Französin Bochet verkürzen. Der beträgt 2,4 Sekunden, dafür liegt die Loßburgerin gut zwei Sekunden vor der drittplatzierten Stephanie Jallen.
Ebenfalls auf Platz zwei schaffte es bei den Monoskifahrern Thomas Nolte (59,25 Sekunden). „Das war ein großer Kampf bei den Verhältnissen und es ist alles sehr eng beieinander“, sagte der 29-Jährige, der durchaus Chancen auf eine Medaille hat. „Das wird aber eine ganz enge Kiste. Im Super-G muss mir schon ein Traumlauf gelingen, damit es für das Treppchen reicht“, so Nolte. Zuversicht habe er allerdings für den Slalom am Donnerstag, da er trotz eines Fehlers im oberen Abschnitt nur eine halbe Sekunde hinter Roman Rabl aus Österreich lag. Der zweite deutsche Starter, Georg Kreiter, schied hingegen aus. „Die Bedingungen wurden immer schwieriger und ich bin von der Ideallinie abgekommen“, erklärte der 29-Jährige. Komplettiert werden soll die Super Kombination mit dem Super-G voraussichtlich erst am Freitag. Dafür soll der Slalom der Damen auf Mittwoch vorgezogen werden (10 Uhr Ortszeit).