Handbiken – ein noch junger Sport gewinnt an Fahrt

handbikenAnfang der 1980er Jahre als reine Fortbewegungshilfe für den Rollstuhl entwickelt, sind Handbikes heute moderne Freizeit- und Sportgeräte. Im noch recht jungen Handbikesport hat sich bereits eine Szene von mehreren hundert Profis etabliert, die sich regelmäßig in internationalen Wettbewerben und Rennserien messen. Aber auch bei Freizeitsportlern stehen Handbikes hoch im Kurs, denn neben dem Training von Kreislauf und Muskulatur eröffnen sie auch ungeahnte Freiheiten.

Handbiken ist denkbar einfach und praktisch von jedem auch ohne Vorkenntnisse zu erlernen. Statt wie auf einem Fahrrad mit den Beinen, überträgt der Handbike-Nutzer die Kraft per Handkurbel auf die Straße. Trainierte Fahrer erreichen Leistungen, die denen von Radfahrern in nichts nachstehen. Strecken von 100, 200 und mehr Kilometern sind mit dem Handbike heute keine Seltenheit mehr. Je nach Einsatzzweck und Art der Behinderung gibt es im Fachhandel verschiedene Typen von Handbikes zu kaufen – für Rennen und Langstreckentouren, den harten Einsatz im Gelände oder für kurze Wege in der Stadt. Die Natur erleben, gemeinsam mit Freunden oder der Familie Touren fahren, für viele ist das ein völlig neues Lebensgefühl.

Ankoppeln und losfahren

Unterschieden wird grundsätzlich zwischen Adaptivbikes, die an einen Rollstuhl angekoppelt werden, und Rennbikes, welche eigenständige Sportgeräte darstellen. Erstere können an fast jeden handelsüblichen Rollstuhl montiert werden und sind deshalb vor allem für die Freizeit und den Breitensport geeignet. Der Nutzer kann das Bike in der Regel ohne Hilfe an seinem Rollstuhl anbringen und sofort losfahren. Diese Flexibilität macht das Adaptivbike vor allem für den Alltag sehr attraktiv. Ist die Muskelkraft des Fahrers begrenzt, helfen Bikes mit Elektroantrieb. Von der Entwicklung leistungsstarker Motoren und leichter Akkus für E-Bikes hat in den letzten Jahren auch die Handbike-Sparte profitiert. So beschleunigen moderne Adaptivbikes mit Hilfsantrieb auf bis zu 25 Kilometer pro Stunde und erweitern den Aktionsradius enorm. Wege, die mit dem Rollstuhl bisher nie zu schaffen waren, werden so zum Kinderspiel.

Hightech-Sportgeräte für Profis

Wer sich sportlich ambitioniert betätigen und sich in Wettbewerben messen möchte, greift zu speziell angefertigten Rennbikes, in denen der Fahrer eine liegende oder kniende Haltung einnimmt. Die Sportgeräte werden heute aus extrem leichten Materialen wie Carbon gefertigt und wiegen fahrbereit schon unter 13 Kilogramm. Wie im Fahrradsport ist das niedrige Gewicht sehr wichtig, auf Anbauteile, die nicht unbedingt notwendig sind, wird verzichtet. Trainierte Sportler erreichen mit den Hightech-Geräten eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 40 km/h, für die Marathondistanz über 42,195 Kilometer benötigen die Besten also nur knapp über eine Stunde.

Errol Marklein, Trainer des Team Sopur, in Al-Ain. Die Stadt in den Vereinigen Arabischen Emiraten war 2009 erstmals Austragungsort eines EHC-Rennens. Foto: Sopur Archiv
Errol Marklein, Trainer des Team Sopur, in Al-Ain. Die Stadt in den Vereinigen Arabischen Emiraten war 2009 erstmals Austragungsort eines EHC-Rennens. Foto: Sopur Archiv

Handbiken – Eine junge Sportart startet durch

Einer, der sich wie kaum ein anderer im Handbikesport auskennt, ist der 57-jährige Errol Marklein aus Heidelberg. Der mehrfache Paralympics-Sieger im Rennrollstuhl und spätere Europameister im Handbike ist ein Sportler der ersten Stunde und hat sich von Anfang an für den Handbikesport stark gemacht. Im Jahr 2006 beendete er seine Sportlerkarriere und ist seitdem als Trainer und Mentor im Team Sopur tätig.

Wettbewerbe und Rennserien für Handbiker

Bereits im Jahr 2001 wurde mit dem European Handbike Circuit (EHC) die erste internationale Rennserie ins Leben gerufen. „Die Idee dahinter war, in allen Ländern Europas Handbike-Rennen zu veranstalten“, erklärt Marklein. Der Auftakt der zwölf Rennen findet jedes Jahr traditionell an Ostern in Rosenau (F) statt. Sind bei allen anderen EHC-Rennen rund 100 Sportler am Start, sind es in Rosenau 200 und mehr. Drei Jahre später folgte in Deutschland der nationale NHC (National Handbike Circuit) mit eigenen Rennen. Im Jahr 2004 nahmen Handbiker in Athen erstmals an paralympischen Spielen teil.

Handbiken in die Öffentlichkeit bringen

EHC- und NHC-Rennen sind verbandsunabhängige Handbikeveranstaltungen mit disziplinärem Reglement. Jede Schadensklasse startet separat. „Für die Zuschauer ist das schwierig zu verstehen“, sagt Marklein. „Außerdem finden die Rennen auf dem platten Land statt, wo nicht viel los ist“, erzählt der ehemalige Profisportler. „Das führt dazu, dass relativ wenig Zuschauer kommen.“ Um das zu ändern und den Bekanntheitsgrad des Handbikesports zu fördern, rief Marklein 2002 als Mitbegründer die Handbike Trophy ins Leben. Anstatt in separaten Rennen wie im EHC, fahren die Handbiker hier bei Großveranstaltungen mit, dieses Jahr etwa bei den Marathons in Hamburg, Mannheim, Duisburg und Berlin. „Wir wollen den Leuten Spaß vermitteln und die Gelegenheit geben, bei einem Mega-Event mit über 40.000 Läufern mitzumachen“, so Marklein. Zudem sei die Handbike Trophy eine Möglichkeit, sich als Breitensportler mit den Großen zu messen. Die Veranstaltungsform zieht Sportler aus der ganzen Welt an.

Der Handbikesport lebt

Und im internationalen Vergleich muss sich Deutschland nicht verstecken. „Wir sind die führende Nation im Handbikesport. Ich schätze, es gibt hierzulande etwa 200 bis 300 ambitionierte Handbiker, rund 50 davon bewegen sich auf ähnlich hohem Niveau“, erzählt Marklein. „Die Konkurrenz ist hart, wenn du dich da durchbeißen willst, musst du richtig was leisten.“ Die starke Szene ist vor allem Sportlern zu verdanken, die sich in den vergangenen Jahren mit viel Engagement eingebracht haben. „Hätten einzelne wenige sich nicht so für den Handbikesport stark gemacht, gäbe es heute keinen EHC und keine Handbike Trophy“, betont Marklein.

Konkurrenzdruck im Team

Christiane Reppe wechselte 2013 vom Schwimmsport zum Handbiken und zählt aktuell zu Deutschlands erfolgreichsten Fahrerinnen (hier beim BMW Berlin Marathon). Foto: Handbike Trophy
Christiane Reppe wechselte 2013 vom Schwimmsport zum Handbiken und zählt aktuell zu Deutschlands erfolgreichsten Fahrerinnen (hier beim BMW Berlin Marathon). Foto: Handbike Trophy

Bei internationalen UCI Wettbewerben wie den Weltcups, Weltmeisterschaften und den Paralympics sind die Handbiker ein Teil der Deutschen Paracycling Nationalmannschaft unter Bundestrainer Patrick Kromer, zusammen mit den Klassen Solo-Zweirad, Tandem und Dreirad. Alle Sportarten werden darüber hinaus noch einmal in zwei Untersportarten unterteilt, dem Straßenradsport und dem Bahnradsport.

Wie viele Handbiker beispielsweise zu dem größten Event, den Paralympischen Spielen, mitgenommen werden, wird durch eine sportliche Qualifikation festgelegt. „Der internationale Radsportverband, die UCI, gibt uns die Gesamtzahl der Startplätze vor, besetzt werden diese dann disziplinübergreifend entsprechend der Leistungen und Medaillenaussichten all unserer Sportler“, erklärt Kromer. „Wir greifen aktuell auf eine große Auswahl an Spitzensportlern aus unterschiedlichsten Disziplinen und Sportarten zurück, da bleibt ein innerer Konkurrenzkampf natürlich nicht aus “, so der 35-jährige Sportwissenschaftler. „Lediglich im Bereich der unterbesetzten Klassen, wie beispielsweise beim Kniebike oder Dreirad, kann die UCI für die Paralympics vorschreiben, dass mindestens ein Platz besetzt wird“, so Kromer.

Gestartet wird je nach Körperfunktion in verschiedenen Klassen. Tetraplegiker in H1 und H2, Paraplegiker in H3 und H4 und Kniebiker in H5. Wer in die engere Auswahl kommen will, muss sich qualifizieren. So sind für die Paralympics 2016 in Rio im kommenden Jahr mehrere Qualifizierungsrennen ausgeschrieben.

Errol Marklein würde gerne mehr Handbiker bei internationalen Wettbewerben sehen. „Anfangs schien der Aufwand zu hoch, eine eigene Sportart zu etablieren“, erklärt Marklein. „Aus heutiger Sicht wäre es die Anstrengung aber wohl wert gewesen“, bekräftigt er. „Mein Wunsch wäre außerdem, dass nicht mehr zwischen Handbikes und Kniebikes unterschieden wird, sondern alle mit dem selben Gerät fahren“, so der 57-Jährige.

Handbike-Vereine sind Mangelware

Verbesserungswürdig, findet Marklein, ist außerdem die Sichtung und Förderung neuer Talente. „ Es gibt sehr erfahrene Leute in der Szene, die eine Idealbesetzung für den Verband wären. Derzeit läuft es aber so, dass Nachwuchstalente von den Teams aus der Not heraus in Eigeninitiative ausgebildet werden“, berichtet Marklein.

Bundestrainer Kromer jedoch hält dies für den richtigen und einzig möglichen Weg. „Die Teams übernehmen die wichtige Aufgabe der wenig existenten Handbike-Vereine“, so Kromer. „Der DBS ist im Grunde nur für die Nationalmannschaft zuständig und kann die Frühförderung von Athleten, auch mangels Budget, nicht leisten.“

Kromer wünscht sich, dass sich in diesem Bereich auch die Landesbehindertensportverbände mehr einbringen. „Bis auf wenige positive Beispiele, etwa Bayern oder Brandenburg, sind die Landesverbände nicht gut aufgestellt“, kritisiert Kromer. Zudem habe jeder Verband im Behindertensport eine andere Ausrichtung. „Da kann es schon mal vorkommen, dass Athleten zu anderen Landesverbänden abwandern.“

Gute Zusammenarbeit

Laut dem Bundestrainer betreiben der DBS und die einzelnen Handbike-Teams eine kooperative Zusammenarbeit. „Oftmals werde ich von den Trainern der Mannschaften angerufen und auf ein neues Talent aufmerksam gemacht“, so Kromer. „Jungen Fahrern raten wir, so früh wie möglich neben der obligatorischen Klassifizieren bei UCI-Rennen mitzufahren“, erklärt er. „Dabei gewöhnen sie sich an das strenge Reglement und an die Streckenprofile, die sich deutlich von denen der Marathonstrecken unterscheiden.“

Während der Saison finden mehrere Sichtungsrennen unter Anwesenheit des Bundestrainers statt. Dieses Jahr zählten dazu unter anderem die Deutsche Meisterschaft, der EHC-Auftakt in Rosenau und das C1 Event in Knuttwil, Schweiz. „Wer gesehen werden will, muss bei diesen Rennen dann aber auch teilnehmen“, ermuntert Kromer.

Eine Chance für junge Fahrer, erklärt der Bundestrainer, ist die Teilnahme als „Independent Starter“ beim Weltcup. Dabei starten die Sportler nicht als Teilnehmer der Nationalmannschaft, sondern für ihren Landesverband. Diese Erfahrungen seien sehr wichtig, denn zwischen dem NHC und dem EHC als Breitensportbasis und den UCI-Rennen sind doch deutliche Unterschiede zu erkennen, so Kromer. Zwar seien die von der UCI unabhängigen Rennserien für den Breitensport und zur Trainingsvorbereitung eine gute Sache, doch sollte man sie sportlich auch nicht zu hoch bewerten, betont Kromer.

Infoquelle Internet

Wer sich für den Sport interessiert, schaut zuerst einmal ins Internet und kontaktiert dort eine Trainingsgruppe oder sucht gezielt einen Trainingspartner. Bundesweit gibt es viele kleinere Gruppierungen, die „einfach Spaß am gemeinsamen Handbiken haben“. „Das sind die Hauptnutzer dieser Geräte“, erklärt Marklein. „Meist beginnen Einsteiger mit einem Anklemmbike und wollen nach ein bis zwei Jahren dann auch mal schneller fahren“, berichtet er. „Wer erst einmal den Einstieg in die Szene geschafft hat, findet super freundliche Leute, die sich gegenseitig helfen und die richtigen Wege aufzeigen“, ermuntert Marklein. Außerdem finde man über diese neuen Kontakte oft richtig gute Handbikes zum kleinen Preis. Hightech-Räder, die neu rund 4.000 Euro kosten, sind gebraucht für die Hälfte und weniger zu bekommen. Im Einzelfall übernimmt sogar der Versicherungsträger bei Vorlage eines ärztlichen Attests die Anschaffung.

Ohne Fleiß kein Preis

Um ein hohes Leistungsniveau zu erreichen, muss fast täglich trainiert werden. Mangels gesonderter Strecken und ausgebauter Radwege müssen die Sportler dabei gezwungenermaßen auch in den Straßenverkehr. Durch die aerodynamische, sehr niedrige Bauhöhe, werden Rennbikes von Autofahrern oftmals übersehen. „Handbiker sind im Straßenverkehr sehr selten, der Autofahrer ist das nicht gewohnt und nimmt uns nicht wahr“, so Marklein. Trotz Anbauteilen wie einer auffälligen Warnfahne kommt es immer wieder zu Unfällen zwischen Handbikern und Autofahrern.

Keine klare Regelung für Handbikes im Verkehr

Hersteller wie Sunrise Medical arbeiten bereits an Techniken, die das Handbiken sicherer machen sollen. „Wir müssen auf Augenhöhe des Autofahrers kommen, zum Beispiel mit blinkenden Lichtern“, erklärt Marklein. Verboten ist es dem Handbiker aber nicht, sich im Straßenverkehr zu bewegen. „Wir sind hier in einer Grauzone.“ Bald soll aber Rechtssicherheit herrschen. „Derzeit läuft eine Initiative zwischen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und dem Deutschen Rollstuhlsportverband, die eruieren soll, wie Handbikes einzuordnen sind“, berichtet Marklein. Ziel ist eine Richtlinie, die vorgibt, wie ein Rennbike für den Straßenverkehr ausgestattet sein muss. Diese rechtliche Klarheit ist auch unbedingt notwendig, argumentiert Marklein, da zunehmend elektrifizierte Liegeräder auf ähnlich niedriger Höhe auf den Straßen unterwegs sind. „Dass diese Fahrzeuge immer mehr zum Straßenverkehr dazugehören, muss bereits in der Fahrschule Thema sein“, betont Marklein.

Eric Scharfenort

 

Wichtige Internetadressen:

 

Infos und Kontakte:

www.handbikesport.de

www.handbike.de

www.das-tetrateam.de

 

Handbike Trophy:

https://www.handbike-trophy.de/

 

EHC und NHC:

https://www.ehf-ehc.eu/

https://www.ehc-nhc.de

 

Nationalmannschaft:

https://www.para-cycling.de/

 

Handbike-Hersteller:

Invacare: www.invacare.de

Sopur: www.sunrisemedical.de

Otto Bock: www.ottobock.de

Stricker: www.stricker-handbikes.de

Pro Aktiv: www.proactiv-gmbh.de

Speedy: www.speedy.de

Schmicking: www.schmicking.com

Reha-Trend: www.dynagil.de

Praschberger: www.praschberger.com

Wolturnus: www.wolturnus.de

 

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (4/2014) und kann hier als PDF heruntergeladen werden.
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