Er ist eines der bekannten Gesichter, der „Posterboy des Behindertensports“, wie die Süddeutsche Zeitung im September 2016 titelte. Nicht nur wegen seiner großartigen sportlichen Erfolge: Zweimal feierte Heinrich Popow Paralympics-Gold – 2012 über 100 Meter, 2016 im Weitsprung. In beiden Disziplinen ist er aktueller Weltrekordhalter und holte bei seinen vier Teilnahmen acht paralympische Medaillen.
Doch auch abseits von Sprunggrube und Tartanbahn sorgt der 33-jährige Leichtathlet, der ab dem 17. März auch in der RTL-Show „Let’s Dance“ zu sehen ist, für Aufmerksamkeit – und engagiert sich auf der Zielgeraden seiner Karriere für den Nachwuchs und für Menschen mit Prothesen auf der ganzen Welt.
Die Anfänge liegen im Jahr 2001. Von seinem Heimatdorf im Westerwald zieht es Popow nach Leverkusen, zum TSV Bayer 04. Kein leichter Schritt mit 18 Jahren, aber ein goldrichtiger. Der Leistungssport fasziniert den Athleten, dessen linkes Bein im Alter von neun Jahren aufgrund eines Knochentumors oberhalb des Knies amputiert werden musste. Er wollte zu den Paralympics – und schaffte es gleich vier Mal.
„Ich habe allerdings lange gebraucht, um mich an den Leistungssport zu gewöhnen. Mein Werdegang war nicht immer einfach, es ging nicht nur bergauf. Ich hatte auch Phasen, in denen ich am liebsten aufgehört hätte – doch ich habe mich durchgekämpft“, sagt Heinrich Popow. Einen großen Anteil hat daran auch sein Trainer Karl-Heinz Düe. „Er ist eine absolute Koryphäe, er lebt und liebt die Leichtathletik. Für ,Kalle‘ ist die Rolle des Trainers kein Beruf, sondern eine große Leidenschaft“, erklärt der 33-Jährige. Bereits seit 16 Jahren arbeitet das Erfolgs-Duo zusammen – und wird es auch bis zu Popows Karriereende noch tun.
Starke Konkurrenz? „Das ist doch das Tolle an der Entwicklung im Behindertensport!“
Vielleicht schon in diesem Jahr, spätestens aber nach der Europameisterschaft 2018 in Berlin ist Schluss mit dem Leistungssport. Doch die Weltmeisterschaften im Juli in London will er unbedingt noch mitnehmen. Es ist die Rückkehr ins Olympiastadion, in dem er 2012 über 100 Meter sein erstes Paralympics-Gold feierte. „Die Vorfreude ist riesig, ich kann es kaum erwarten. Das ist meine Bahn, ich habe nur positive Erinnerungen an diesen Ort“, sagt Popow. Und gerade die 100 Meter spornen ihn mächtig an. In Rio misslang die Mission Titelverteidigung, der Leverkusener schrammte als Vierter am Podium vorbei.
Auf seiner Strecke, auf der er noch immer Weltrekordhalter seiner Startklasse ist. „Ich habe noch eine Rechnung offen“, betont Popow, „in Rio war ich mit dem Ausgang nicht zufrieden. Doch ich kenne die Gründe, werde es ändern und das Bestmögliche herausholen.“ Allerdings: Die Konkurrenz ist stark, sowohl über 100 Meter als auch im Weitsprung. „Das ist doch das Tolle an der Entwicklung im Behindertensport“, sagt der 33-Jährige, der die paralympische Bewegung mit seinen sportlichen Leistungen, aber auch mit seiner ihm eigenen Art vorangebracht hat.
Emotional, authentisch – ein „Posterboy“, aber auch ein Typ mit Ecken und Kanten. Einer der sagt, was er denkt. Der klare Ansichten vertritt, die auch nicht jedem gefallen müssen. Doch er kann mitreißen, Menschen anstecken mit seiner Leidenschaft für den Sport. Heinrich Popow ist ein Kämpfer für den paralympischen Sport. Er sagt: „Wir haben eine Eigenschaft, die uns ganz wertvoll macht. Wir haben Leid erlebt, doch wir verkörpern Lebensfreude durch unseren Sport. Der Behindertensport ist viel näher an der Gesellschaft, die Identifikation mit uns ist groß – und dadurch können wir auch Menschen motivieren.“ Endlich sei das mediale Interesse gestiegen, so dass die Leute verfolgen können, zu welchen Leistungen Sportler mit Behinderung fähig sind. Und das Niveau im paralympischen Spitzensport sei in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. „Die Bedingungen werden stetig professioneller, die Athleten entwickeln sich immer weiter und zwar auf der Basis von hartem Training“, betont Popow. „Das ist der große Wandel: Früher wurden wir nur für unsere Behinderung gefeiert, heute für die Leistung, die wir mit unserer Behinderung vollbringen.“
Und Heinrich Popow hat nicht nur seine eigene Leistung im Blick. Er ist ein Kümmerer, begleitet junge Athleten wie Felix Streng (21) oder Léon Schäfer (19) – und begeistert sie für den Sport. So wie er es auch bei Markus Rehm oder David Behre schon getan hat. „Ich sehe mich immer wieder selbst in den Jungs, ich musste mich auch durchboxen und habe vieles schon erlebt, was auf sie zukommt. Das ist auch ein Problem in der Nachwuchsförderung, dass die jungen Athleten häufig auf sich alleine gestellt sind – da versuche ich einzuspringen und Unterstützung zu geben“, erklärt Popow.
Sein Gesellenstück ist eine neue Sportprothese für seinen jungen Konkurrenten Léon Schäfer
Eine ganz besondere Unterstützung leistet der 33-Jährige für Léon Schäfer. Im Rahmen seiner Ausbildung zum Orthopädietechniker fertigt er als Gesellenstück eine neue Sportprothese für das Talent an, das bei den Paralympics in Rio im Weitsprung Vierter wurde. „Das hat es bisher auch noch nicht gegeben, doch warum soll Léon nicht davon profitieren. Er hätte sonst keine neue Sportprothese gehabt, so kann er damit bei der WM in London starten – und er sagt, dass sie sich super anfühlt“, berichtet Popow. Auch Léon Schäfer ist oberschenkelamputiert, beide sind in derselben Startklasse. Da ist es eigentlich nicht selbstverständlich, einem jungen Konkurrenten die Prothese zu bauen – für Popow schon.
Als Botschafter des Medizintechnik-Unternehmens Ottobock reist er um die Welt und zeigt Menschen in den unterschiedlichsten Ländern, wie man mit einer Prothese Sport treiben kann. „Running Clinics“ heißt das Projekt. „Das ist mein Baby“, sagt Popow. Zu sehen, wie sich die Teilnehmer begeistern lassen, sei das schönste Gefühl. „Das ist der Grund für die Wahl des Berufs. Ich möchte etwas machen, was auch einen Sinn hat. Die vielen Begegnungen prägen mich und ich kehre mit unglaublich tollen Eindrücken zurück“, erklärt der zweifache Paralympicssieger. Ob in Australien, China, Dubai, Indien, Japan, Kuba oder Russland: Popow zeigt den Teilnehmern von Jung bis Alt, wie viel Spaß Sport mit einer Prothese machen kann – und sorgt damit für leuchtende Augen und glückliche Gesichter. „Es ist so große Lebensfreude dabei, so viele Emotionen. Das ist die große Kraft des Sports. Es gibt kein besseres Werkzeug zur Rehabilitation als den Sport.“
Und eine Athletin, die er bei seinen Reisen kennengelernt und zum Leistungssport geführt hat, war sogar bei den Paralympics in Rio erfolgreich: Die Kubanerin Malu Perez Iser holte im Weitsprung die Bronzemedaille – auch Dank ihres „Entdeckers“ Heinrich Popow. Posterboy, kritischer Geist, Kümmerer – einer, der die paralympische Bewegung liebt und voranbringt, bestimmt auch nach seiner aktiven Karriere. Doch erstmal hat er noch eine Rechnung offen. Auf seiner Bahn bei den Weltmeisterschaften in London.