Der Gesetzgeber setzt mit unbürokratischer Regelung auf die Kompetenz der Pflegekräfte
Vor drei Jahren hat sich im deutschen Hilfsmittel-Erstattungssystem eine kleine Sensation
ereignet: Mit der Neuregelung im §40 Absatz 6 des Sozialgesetzbuch XI wurde die häusliche Pflege durch eine unbürokratische Versorgungsmöglichkeit für Pflegehilfsmittel gestärkt und die Verordnungshoheit der Medizin gekippt. Seitdem setzt der Gesetzgeber auf die Kompetenz ausgebildeter Pflegefachkräften im häuslichen Bereich und räumt ihnen eine enorme Beurteilungskompetenz ein. Zurecht, denn sie kennen die Menschen aus der
täglichen Pflege und deren konkreten Bedarf bei Pflegehilfsmittel am besten.
Leider wird diese Möglichkeit von vielen Pflegekräften in der Fläche zu wenig genutzt.
Nach der neuen Richtlinie wird die medizinische Erforderlichkeit bei Empfehlung der
Fachkraft mit „Vermutungswirkung“ als gegeben angenommen und der MD wird nicht mehr dazwischengeschaltet. Mit dieser Genehmigungsfiktion sinken automatisch die gesetzlich gestatteten „Bearbeitungsfristen“ auf maximal drei Wochen und schaffen schnelle Abhilfe in akuten Situationen. Das ist gerade bei Versorgungen zur Prophylaxe wichtig und auch bei Kindern, deren Entwicklungszeitfenster sich ungenutzt schließen, wenn die Genehmigungsprozesse zu lange dauern. Das Wissen um diese unkomplizierte und chancenreiche Verordnungsform ist allerdings nicht flächendeckend bei den Pflegenden „vor Ort“ angekommen. Die Wirksamkeit der Richtlinie wird genau beobachtet – aktuelle Infos aus dem G-BA (gemeinsamer Bundesausschuss) lassen vermuten, dass diese Richtlinie bei nicht ausreichender Wirksamkeit wieder zurückgenommen werden kann. Es scheint, als seien viele Pflegkräfte unsicher, was sie dürfen, und befürchteten
Regressforderungen. Dabei ist die Sorge völlig unbegründet: In der Richtlinie zur Empfehlung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln durch Pflegefachkräfte gemäß § 40 Absatz 6 SGB XI ist alles gut beschrieben – die Anlage enthält eine Liste der zu verordnenden Hilfsmittel. Alle Pflegefachkräfte mit einer Qualifikation nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG) können eine entsprechende Empfehlungen aussprechen.
Erkennen die Experten und Expertinnen beim Hausbesuch einen Hilfsmittelbedarf, kann dieser Bedarf als konkrete Empfehlung durch das Sanitätshaus beim Kostenträger statt eines Rezeptes eingereicht werden. In der Der GKV- Spitzenverband hat dafür einen einheitlichen Vordruck bereitgestellt, der Bedarf kann aber auch „einfach in Textform“, wie bei einem normalen Rezept, an die Kostenträger eingereicht werden. Dabei geht es um Hilfsmittel in der häuslichen Pflege für die Lebensbereiche Bad & Toilette, Mobilität, Pflegebetten, Transfer und Verbrauchsmaterial.
Christiana Hennemann vom Kinderreha-Netzwerk rehaKIND e.V. ist seit der Einführung der
Richtlinie im ständigen Austausch mit Fachkräften aus der Pflege, Krankenpflege und
außerklinischen Intensivpflege und von der positiven Wirkung der Richtlinie überzeugt:
„Es ist schade, dass die meisten Pflegekräfte sehr schlecht darüber informiert sind – hier
muss dringend mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Rückmeldungen aus der Praxis
bestätigen uns: Die Wertschätzung des Pflegeberufes steigt. Die Prozesse sind deutlich
schneller und kürzer geworden, der schriftliche Mehraufwand ist der Routine gewichen. Die Hilfsmittel werden von den Kostenträgern ohne Rückfragen sofort genehmigt.“
„Diese Richtlinie ist ein Meilenstein in der Versorgung einer immer älter werdenden
Gesellschaft. Diesen Erfolg gilt es zu sichern und hierfür müssen wir mit Informationen und
gezielten Angeboten auf Pflegedienste zugehen, um hier die dafür notwendige Expertise zu
schaffen“, meint auch Sven Kübler, Vorstand des Competenz Netzwerks Außerklinische
Intensivpflege CNI e.V..
rehaKIND e.V. hat gemeinsam mit Experten und Expertinnen eine Informationsreihe zur Pflege – und Verordnungsrichtlinie ins Leben gerufen, der nächste kostenfreie und einstündige Fortbildungstermin für Pflegefachkräfte findet am 4.02.2025 online statt.