Selbst sportliche Rollstuhlnutzer kennen Situationen, in denen eine Zug- oder Schubhilfe hochwillkommen ist. Versteht sich allerdings von selbst, dass ein solcher elektrischer Helfer halbwegs schick gestylt daherkommen sollte. Pro Activ hat mit dem Wheel-e das passende Angebot.
„Mann hat das Ding einen Anzug!“ Mein Begleiter wirft sich in die Pedale seines Hightech-Rennrades und kommt ins Schwitzen. Ich hingegen bin von körperlicher Anstrengung weit entfernt. Gerade mal ein leichter Dreh am Gasgriff hat genügt, um mit meiner Kombination aus Rollstuhl und vorgespanntem Wheel-e einen beeindruckenden Sprint hinzulegen. Keine Frage – diese Maschine macht Spaß.
Eigentlich ist eine Elektrounterstützung am Rollstuhl nichts für mich – dachte ich. Ich bewege mich gerne, und dank uneingeschränkter Hand- und Armfunktion bezwinge ich einstweilen mit meinem federleichten Starrrahmenrollstuhl auch noch alle Steigungen in der Umgegend, auch wenn das zugegebenermaßen manchmal arg schweißtreibend ist. Aber seit drei Wochen steht das Wheel-e nun zum Test jederzeit einsatzbereit in der Wohnung, und siehe da – das Auto bleibt öfter in der Garage, und ich habe auf Touren in die Umgebung etliche Wege und Pfade unter die Räder genommen, auf denen ich seit Jahren nicht mehr unterwegs gewesen war.
Eine sichere Verbindung
Das Wheel-e ist eine nur auf den ersten Blick simple Konstruktion, in der viel anspruchsvolle Technik zum Einsatz kommt. Kernstück ist ein Zwanzig-Zoll-Rad mit integriertem BionX-Nabenmotor, wie er auch in den allgegenwärtigen E-Bikes seinen Dienst tut. Eine Radgabel mit kleinem Lenker nimmt dieses Rad auf, das Ganze wird über einen Adapter mit dem Rollstuhl verbunden. Verzögert wird mit einer hydraulischen Scheibenbremse, die Energie kommt aus einem seitlich neben der Gabel angebrachten Akku. Auf der anderen Seite der Gabel kann optional ein zweiter Akku angeflanscht, und somit die Reichweite verdoppelt werden.
Ich habe für den Test meinen bewährten Pro Activ-Traveler benutzt, so daß vom Rollstuhl über den Adapter bis zum Zuggerät alle Komponenten aus einer Hand stammten. Vorteil der Konstruktion: Am Rollstuhl sind abgesehen von einer Radstandsverlängerung – dazu später mehr – keinerlei Anbauteile erforderlich. Der für die Verbindung von Wheel-e und Rollstuhl konzipierte Adapter lässt sich mühelos im Rollstuhl sitzend zwischen den Beinen durchfädeln und andocken. Auch die Verbindung mit dem Zuggerät geht relativ einfach vonstatten. Hilfreich ist eine Wand oder Bordsteinkante, die das Vorderrad beim Andocken an der Flucht hindert. Kupplung einhaken, leicht ankippen, einen Hebel umlegen und einen Exzenterhebel anziehen, fertig. Für zusätzliche Sicherheit sorgt ein Metallbolzen, der eingeschoben und arretiert werden muss. Auch in unwegsamem Gelände und bei Fahrten mit höherer Geschwindigkeit blieben Zuggerät und Rollstuhl mit dieser Konstruktion zuverlässig in Verbindung.
Vier Fahrstufen – viele Möglichkeiten
Seinen ersten Einsatz absolvierte das Wheel-e allerdings nicht im Gelände, sondern bei einem samstäglichen Shoppingbummel in einer Fußgängerzone. Die zeichnete sich durch Kopfsteinpflaster und hügelige Topographie aus, eine für Rollstuhlnutzer ausgesprochen mühsame Kombination. Noch unerfahren in der Handhabung des Fahrzeugs wählte ich, leicht am Berg stehend, sicherheitshalber erst mal die erste von vier Fahrstufen, drehte am Gasgriff und – nichts geschah. Des Rätsels Lösung: Um das beträchtliche Leistungsangebot von 50 Newtonmetern Drehmoment unter allen Einsatzbedingungen sicher auf die Straße bringen zu können, bieten vier zur Verfügung stehende Leistungsstufen sehr unterschiedliche Formen der Kraftentfaltung an. Es handelt sich bei ihnen nicht etwa um eine „Gangschaltung“ (in allen vier Fahrstufen ist das Erreichen der Höchstgeschwindigkeit möglich), vielmehr modifizieren sie jeweils die Leistungskurve des Elektromotors. Stufe Eins gestattet hochsensibles Anfahren, um zum Beispiel in einer Ladenpassage oder eben Fußgängerzone millimetergenau neben Fußgängern navigieren zu können, ruft die Leistung dafür aber so zurückhaltend ab, dass schon Anfahren am Berg kaum möglich ist. Am anderen Ende der Leistungsskala steht Stufe 4. Ein Dreh am Gasgriff, und mit quietschendem Vorderrad fetzt das Gefährt los, um binnen kürzester Zeit seine Endgeschwindigkeit von 24 km/h zu erreichen. Allerdings nur, wenn man zuvor die Laufräder via Radstandsverlängerung in eine zurückgesetzte Position gebracht hat. Ohne Radstandsverlängerung dreht das Vorderrad schlicht und einfach durch, und das war’s.
Waldspaziergang? Endlich mal wieder!
Im Lauf der sich anschließenden Testwochen lernte ich sowohl Tücken als auch Tugenden des elektrischen Helferleins kennen. Die Tugenden überwogen. Rasch setzte ich das Gefährt als eine Art Moped ein. Warum umständlich den Rollstuhl ins Auto verladen, nur um ihn fünf Minuten später im Nachbarort wieder auszupacken? Der Radius meiner Exkursionen nahm zu. Bevorzugt nahm ich die in der Umgebung unseres Wohnortes reichlich vorhandenen Wald- und Wiesenwege unter die Räder, die von dem Quasi-Dreirad mühelos bezwungen wurden. Was ich dabei besonders schätzen lernte, war die nahezu völlige Lautlosigkeit des Elektromotors, die gerade bei Ausfahrten ins Grüne sehr angenehm war.
Highlights meiner Wheel-e-Nutzung waren ausgedehnte Waldspaziergänge mit Frau und Hund, die ohne Elektrounterstützung den Charakter von Trainingseinheiten gehabt hätten, weswegen sie normalerweise gar nicht erst stattfinden. Das war eine echte Bereicherung. Auch gemeinsame Ausfahrten mit Radfahrern, bei denen ich mit Adaptiv- oder Liegebike wegen der hügeligen Topographie des Testgeländes sonst immer den Bremsklotz spielte, kamen auf die Tagesordnung. Der während des Tests eingesetzte Akku kam nie an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Auch nach dreißig Kilometern Fahrstrecke zeigte das Display stets noch eine beruhigende Sicherheitsreserve an. Leistungsangaben bei Akkus sind ja immer so eine Sache. Ich schätze aber, fünfzig Kilometer wären dringewesen, und wer nutzt eine Zughilfe schon für Überlandfahrten? Die Bremse verdient Lob. In allen Fahrsituationen stellte sie die nötige Verzögerung zur Verfügung und ließ sich perfekt dosieren. Alles in allem erwies sich das Wheel-e als rundum praxistauglich.
Software mit Tücken
Idealerweise sollte die Zugmaschine allerdings fertig konfiguriert in einer Garage auf ihren Gebrauch warten. Auch wenn der Vorgang an sich unkompliziert vonstattengeht, ist ständiges An- und Abkoppeln etwas nervig. Da das Wheel-e je nach Konfiguration ein Gewicht ab etwa 14 Kilogramm auf die Waage bringt, ist es im abgekoppelten Zustand vom Rollstuhl aus schwer zu manövrieren. Leichter geht es, wenn der integrierte Ständer mit optional erhältlichen Rangierrollen ausgestattet wird. Zum Verladen ins Auto werden die allermeisten Nutzer dennoch die Unterstützung eines Fußgängers benötigen. Der wiederum würde sich dringend einen Handgriff an der sperrigen Konstruktion wünschen, welcher aber nicht vorhanden ist. Das in typischer Pro Activ-Manier erzsolide gebaute Gerät besteht überwiegend aus kantigen Aluprofilen, so daß Transportaktionen für die Hände schon mal schmerzliche Folgen haben.
Die eigenwillige Leistungsentfaltung mit ihren vier Fahrstufen ist in der Praxis nicht ohne Tücken. Mehr als einmal bin ich an knackigen Steigungen „verhungert“, obwohl eigentlich Leistung genug vorhanden gewesen wäre. Auch in der vierten Fahrstufe wird die Unterstützung erst ab einem Tempo von drei km/h abgerufen. Muss man – aus welchem Grund auch immer – am Berg einen Zwischenstopp einlegen, gestaltet sich der Neustart mühsam bis unmöglich. Aber auch eine unbedacht überfahrene Bodenwelle kann das Aus bedeuten. Verliert das Vorderrad kurzzeitig die Traktion, setzt die Schubunterstützung aus. Die – an und für sich ja für den Einsatz in Fahrrädern konzipierte – Software sollte also dringend noch ein Update erfahren.
Ebenfalls ein wenig umständlich ist der so genannte Rekuperationsmodus. Auf langen Bergabpassagen kann dieser aktiviert werden, um den Akkus Energie zuzuführen. Aber vier verschiedene – ausschließlich manuell anzuwählende – Energierückgewinnungsstufen mit jeweils auch unterschiedlicher Bremswirkung und entsprechender Anzeige auf dem Display sind einfach zu verspielt. Zweckdienlicher wäre eine automatisch bei Schub einsetzende Rekuperation.
Bitte nicht ohne TÜV
Das Wheel-e kann also noch ein wenig Feinschliff vertragen. Das gilt auch und vor allem für den eigentlichen Knackpunkt vor Inbetriebnahme: Ab Werk wird das Gerät auf eine Geschwindigkeit von 6 km/h gedrosselt geliefert. Erst mit dem optional erhältlichen „Highspeed“-Display ist sein ganzes Potential nutzbar. Wer mit maximal 24 km/h unterwegs sein will, muss derzeit aber noch die Prozedur einer Einzelabnahme beim TÜV bewältigen, um das Gefährt sodann mit Versicherungskennzeichen im öffentlichen Raum nutzen zu dürfen. Bei einem Kaufpreis ab 3500 Euro ist das für Kaufinteressenten eine ziemliche Zumutung, denn in der gedrosselten Variante macht Wheel-e keinen Spaß, und bringt nicht ansatzweise sein Potential zur Geltung. Pro Activ ließ mich allerdings wissen, dass diese Zulassung auf Wunsch für den Kunden erledigt, und das Gerät dann mit TÜV ausgeliefert wird.
Das Wheel-e hat mir viel Freude bereitet. Ich würde mich persönlich eher für ein Adaptivbike mit Elektrounterstützung entscheiden, weil mir auf Dauer die Bewegung fehlen würde. An der Erfüllung dieses Wunsches arbeitet Pro Activ derzeit mit der Entwicklung eines Nachrüstsatzes, mit dem das Wheel-e zum NJ1 e-assistant Handbike umgebaut werden kann. Wer aber seine Schultern schonen will oder muss, nicht für jeden Weg das Auto aus der Garage holen mag und dabei gleichzeitig seinen Aktionsradius vergrößern, und jede Menge frische Luft abbekommen möchte, für den ist Wheel-e als reine Zugmaschine eine prima Sache. Last but not least: Während mancher Motor rund um den Rollstuhl den Nutzer reichlich behindert aussehen lässt, kommt das Wheel-e schick und sportiv daher. Und wo steht geschrieben, dass man sich als Rollstuhlfahrer nicht auch kleine Eitelkeiten leisten darf?
WP
Dieser Artikel erschien im RehaTreff (03/2016).Hier können Sie ein kostenloses Probeheft oder ein Abo bestellen (21 €/Jahr für vier Ausgaben) |