Inkontinenz ist mit etwa neun Millionen Betroffenen in Deutschland eine Volkskrankheit. Bedingt durch den demografischen Wandel wird in Zukunft sogar eine noch höhere Anzahl erwartet. Eine ausreichende Versorgung ist daher unumgänglich, leider aber nicht immer gegeben, weshalb es bei vielen Betroffenen noch immer zu Einschränkungen der Lebensqualität kommt. Der Jahreskongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft in München am vergangenen Wochenende bot den Teilnehmern die Gelegenheit zu einem intensiven Austausch über den neuesten Wissensstand und zukünftige Trends. Fachübergreifend wurden etablierte Therapien diskutiert und praxisnahe Fort- und Weiterbildungen angeboten, sodass eine ideale Plattform für den interdisziplinären und fachlichen Meinungs- und Erfahrungsaustausch geboten war.
In zukünftigen Zeiten des Ärztemangels und mit einer zunehmenden geriatrischen Bevölkerung sei es besonders wichtig, die Versorgung in dem vielschichtigen Bereich Inkontinenz heute bereits sicherzustellen. Um die Qualität in der Diagnostik und Therapie der Harn- und Stuhlinkontinenz zu verbessern, plädierte Prof. Dr. Axel Haferkamp, Erster Vorsitzender der Deutschen Kontinenz Gesellschaft und Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Frankfurt, für ein einheitliches Zertifizierungssystem für Kontinenz- und Beckenboden-Zentren sowie eine Vereinheitlichung der Ausbildung von Pflege- und Assistenzberufen. „Damit können Standards geschaffen werden, von denen zukünftig Patienten profitieren.“
Der Beckenboden ist ein komplexes System, das uns ermöglicht, Harn und Stuhl zu halten und zur rechten Zeit zu entleeren. Er ist aber auch der Ort im Körper, an dem Sexualität aktiv erlebt wird. Kein Wunder also, dass Beckenbodenfunktionsstörungen vielfältige Folgen haben können: Harn- und Stuhlinkontinenz, Senkung und Vorfall von Scheide und Gebärmutter und auch sexuelle Beeinträchtigungen. Vor allem der ungewollte Verlust von Urin führt häufig dazu, sexuellen Kontakt zu vermeiden. „Dabei steht heute eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die zu einer Verbesserung des sexuellen Empfindens beitragen“, betonte Prof. Dr. Ursula Peschers, Chefärztin für Gynäkologie, Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie am Kontinenz- und Beckenboden- Zentrum München.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Harninkontinenz als Folge einer Prostataoperation. Mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 20 Prozent ist sie nach wie vor die gefürchtetste Komplikation bei Prostatektomien. Dabei steht heute zur Behandlung der Inkontinenz ein breites Spektrum an konservativen und operativen Therapien zur Verfügung. „Durch eine fachgerechte Diagnostik und eine gut fundierte Beratung kann heute jedem betroffenen Mann die Chance auf eine individualisierte Behandlung mit guten Erfolgsaussichten und deutlicher Verbesserung der Lebensqualität eröffnet werden“, weiß Priv.-Doz. Dr. Ricarda Bauer, Leiterin des Kontinenzzentrums an der Urologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Auch die Stuhlinkontinenz stellt eine erhebliche Belastung der betroffenen Frauen und Männer dar. Neben der konservativen Therapie, die auf die Konsistenzverbesserung der Ausscheidung sowie auf die Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur und Koordination durch spezielle Beckenbodengymnastik zielt, gibt es auch hier operative Behandlungsmöglichkeiten. Dr. Monika Scheibe, Oberärztin Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie und Leiterin der Initiative Beckenboden am Heilig Geist-Krankenhaus (durch die Deutsche Kontinenz Gesellschaft zertifiziertes Kontinenz- und Beckenboden-Zentrum): „Bei idiopathischen und therapieresistenten Stuhlinkontinenzen kann ein Darmschrittmacher implantiert werden. Dieser aktiviert über elektrische Impulse die Nerven des Beckenbodens, wodurch die Kontinenzleistung ganz oder teilweise wiederhergestellt werden kann.“
Mehr Informationen befinden sich auf der Website der Deutschen Kontinenz Gesellschaft.
Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.
Friedrichstraße 15
60323 Frankfurt am Main