Bei der Europameisterschaft 2014 mischten Julian Erxleben, Bastian Fontayne, Hannes Schürmann und Klaus Steinhauer bereits bei den „Großen“ mit – und überzeugten allesamt mit Finalteilnahmen und guten Platzierungen. Zurückgelehnt hat sich das Quartett im Anschluss daran freilich nicht. Im Gegenteil. Denn die vier Nachwuchshoffnungen aus dem C-Kader haben große Ziele. In diesem Jahr wollen die vier Schwimmer die Qualifikation für die Weltmeisterschaften in Glasgow schaffen und 2016 mit im Flieger nach Rio de Janeiro sitzen. Bei den Paralympics dabei sein und um gute Zeiten kämpfen dürfen – das ist der große Traum der talentierten Athleten. Und dafür legen sie sich mächtig ins Zeug.
Julian Erxleben hat die beeindruckende Atmosphäre bei den Weltspielen für Sportler mit Handicap hautnah miterlebt. Bei den Paralympics in London 2012 war er mit dem Jugendlager des Deutschen Behindertensportverbandes vor Ort dabei und feuerte Kirsten Bruhn, Torben Schmidtke und Co. an. „Da hatte ich richtig Gänsehaut. Seitdem ist der Ansporn noch größer geworden.“ So will der 18-Jährige vier Jahre später selbst ins Wasser springen. „Sportlich liegt der Fokus zwar auf den Paralympics in Tokio 2020, aber ich möchte unbedingt in Rio dabei sein und Erfahrungen sammeln“, sagt Julian Erxleben.
Über 25 Stunden Training pro Woche neben der Schule
Um diese Ziele zu erreichen, wird am Paralympischen Trainingsstützpunkt (PTS) Potsdam fleißig trainiert. Genau wie bei Teamkollege und Klassenkamerad Klaus Steinhauer stehen in der Woche stolze 18 Einheiten auf dem Programm. Das entspricht über 25 Stunden. Und „nebenbei“ machen die beiden noch das Abitur an der Sportschule Potsdam, wo die Schulzeit auf 14 Jahre gestreckt wird. „Wir haben optimale Bedingungen, anders wäre Leistungssport kaum möglich und das Trainingspensum nicht zu schaffen“, erklärt Klaus Steinhauer. Dazu brauche man viel Disziplin, eine Qual sei das Training allerdings nicht. „Dann hätte es auf Dauer auch keinen Sinn. Mir macht es Spaß, ich sehe das Schwimmen als positiven Ausgleich“, betont der 18-Jährige.
Natürlich gebe es aber auch Tage, sagt Julian Erxleben, da sei es nicht so einfach sich aufzurappeln. „Wenn die Belastung von Schule und Sport hoch ist, spürt man schon eine gewisse Erschöpfung. Andererseits ist es auch die beste Vorbereitung für das Leben, wenn man dieses Programm meistert“, so der 18-Jährige.
Um 4.40 Uhr klingelt der Wecker
Einige Hundert Kilometer südwestlich, am Paralympischen Trainingsstützpunkt Leverkusen, sieht der Alltag nicht anders aus. Um 4.40 Uhr klingelt mittwochs der Wecker bei Hannes Schürmann in Remscheid, eine Stunde später steigt er in den Zug Richtung Leverkusen. Frühtraining steht auf dem Programm. „Das heißt, dass ich schon vor der Schule rund anderthalb Stunden im Wasser bin“, berichtet der 17-Jährige. Am Abend steht von 18 bis 20 Uhr eine weitere Einheit auf dem Programm. „Vor 21 Uhr bin ich danach nicht zu Hause“, sagt Hannes Schürmann.
Bei den Einheiten trifft er auch auf Bastian Fontayne. Erst im November 2014 ist der Siegener nach Leverkusen gezogen. „Hier kann ich Sport und Schule besser kombinieren, so dass ich auch den Trainingsumfang gesteigert habe“, erzählt der 18-Jährige, der bei einem Unfall 2007 ein Bein verloren hat. Vor dem Wechsel nach Leverkusen trainierte er gemeinsam mit nichtbehinderten Schwimmern bei der SG Siegen. Am neuen Wohnort sind die Wege nun kürzer und die Möglichkeiten besser. Dadurch erhofft sich Bastian Fontayne einen weiteren Schub in seiner Entwicklung. Denn er weiß: „Noch bin ich zu langsam, um in meiner Klasse gegen die weltweite Konkurrenz vorne mitzuschwimmen.“
„Ich weiß, dass ich noch Zeit habe“
Das sieht bei Julian Erxleben, Hannes Schürmann und Klaus Steinhauer nicht anders aus. Bei der Junioren-WM in Puerto Rico 2013 durfte sich das Quartett bereits mit anderen Nachwuchstalenten messen, doch der Sprung zu den „Erwachsenen“ ist groß. „Die Weltspitze ist viel älter als ich. In meinem Wettkampf war ich bei der EM der Jüngste“, berichtet Julian Erxleben und fügt an: „Ich weiß also, dass ich noch Zeit habe.“
So ist auch Geduld und Hartnäckigkeit auf dem möglichen Weg in die Weltspitze gefragt. „Das Niveau bei den Erwachsenen ist sehr hoch. Ein WM-Finale ist bei mir in diesem Jahr wohl noch nicht in Reichweite“, erklärt Klaus Steinhauer. Doch die Qualifikation für die Weltmeisterschaft, die soll unbedingt gelingen. Und die vier Nachwuchshoffnungen sind durchaus zuversichtlich, dass sie die erforderliche Norm dafür packen werden.
Auch wenn sich die Zuversicht bei Hannes Schürmann noch mit ein paar Sorgenfalten mischt. Nach über anderthalb Jahren mit Knieproblemen, in denen er sich außerhalb des Wassers meist nur mit Krücken fortbewegen konnte, ist er erst seit Anfang des Jahres beschwerdefrei. „Dadurch bin ich in meiner Entwicklung leider etwas stehengeblieben und die Konkurrenz hat aufgeholt“, weiß der 17-Jährige. So will er jede Einheit nutzen, um sich zu verbessern und an seiner Form zu feilen. „Und wenn dann die Zeiten besser werden, steigt auch die Motivation wieder stärker“, sagt Hannes Schürmann.
Die Paralympics als Motivation für die tägliche Schufterei
Noch haben die vier talentierten Schwimmer viel Arbeit vor sich. Doch neben dem Talent und guten Trainingsbedingungen ist auch der nötige Ehrgeiz vorhanden – eine passende Konstellation, um auf dem angestrebten Weg Schritt für Schritt vorwärts zu kommen. Dieser geht im Optimalfall über die WM in Glasgow über die Paralympics-Teilnahme in Rio 2016 bis hin in die Weltspitze bei den Paralympics in Tokio vier Jahre später. „Die Jungs müssen gesund bleiben und sich mächtig strecken. Sie haben die Chance dazu, doch es wird ein großer Kampf werden“, sagt Dörte Paschke vom Paralympischen Trainingsstützpunkt in Potsdam. Marion Haas-Faller vom PTS Leverkusen ergänzt: „Der Ehrgeiz ist sehr groß und sie wollen es unbedingt schaffen. Klar ist, dass die Jungs in diesem Jahr ihre Leistung weiter steigern müssen.“ Doch die Paralympics sind stets im Hinterkopf – als perfekte Motivation für die tägliche Schufterei.