Kassenerstattung: Nicht lediglich „Vertragspreis“

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(Foto: Flickr.com, CC BY-SA , Martin Abegglen)

Menschen mit Behinderungen und sonstige Personen, die auf Hilfsmittel angewiesen sind, werden im Rahmen der Hilfsmittelversorgung von ihren Gesetzlichen Krankenversicherern häufig in der Form beschieden, dass das vom Arzt verordnete und vom Patienten beantragte Hilfsmittel den Rahmen dessen sprenge, was zwischen den Gesetzlichen Krankenversicherern und einzelnen Sanitätshäusern als „Vertragspreis“ vereinbart sei. Die Betroffenen werden dann auf anderweitige Hilfsmittel verwiesen oder wahlweise aufgefordert, den häufig sehr hohen Differenzbetrag selbst zu zahlen.

Leichter Aktivrollstuhl war nicht im Budget
ln einem Rechtsstreit hatte der Kläger einen sehr leichten Aktivrollstuhl beantragt, weil er an Post-Polio leidet. Für diese Krankheit ist charakteristisch, dass sich die Muskulatur mit steigender Beanspruchung verstärkt abbaut. Der Kläger war daher darauf angewiesen, dass er einen sehr leichtgängigen und wendigen Rollstuhl erhält. Dieser war Bauart bedingt recht teuer. Die Kasse verneinte den Anspruch. Sie argumentierte, dass sie mit dem Sanitätshaus einen Vertrag geschlossen habe, nach dem höchstens ein Betrag in Höhe von 2.090 Euro gezahlt werden könne. Diese Summe entspreche dem mit dem Sanitätshaus vereinbarten Vertragspreis. Eine Erstattung der Mehrkosten für das vom Kläger beanspruchte Rollstuhlmodell sei nicht möglich. Der Kläger möge sich einen Rollstuhl beschaffen, der innerhalb des genannten Preises zu haben sei, oder die Differenzkosten, die vorliegend immens waren, selbst tragen.

Medizinische Begründung muss auf Verordnung stehen
 Innerhalb des daraufhin angestrengten Klageverfahrens trug die beklagte Gesetzliche Kasse vor, das beauftragte Sanitätshaus sei Partnerbetrieb und somit an den Vertrag gebunden. Der Lieferbetrieb sei bei Vereinbarungen nach Produktart bzw. Untergruppen grundsätzlich frei in der Wahl des verwendeten Produktes. Habe der Arzt ein konkretes Produkt, gegebenenfalls unter Angabe einer zehnstelligen Hilfsmittelpositionsnummer verordnet, sei der Lieferbetrieb zur Abgabe dieses Produktes nur dann verpflichtet, wenn der Arzt eine medizinische Begründung für die Versorgung mit diesem Produkt auf der Verordnung angegeben habe.

Kasse und Sanitätshaus dürfen sich nicht über Patienten-Anspruch einigen
Diesseits wurde im Verfahren vorgetragen, dass es sich bei der von der beklagten Kasse in Bezug genommenen Vereinbarung um einen so genannten Vertrag zu Lasten Dritter handelt. Es ist, mit anderen Worten gesagt, nicht möglich, dass sich die Kasse mit Sanitätshäusern über die Höhe des Anspruchs des Patienten einigt.

Kasse lenkte ein und erstattete vollen Betrag
Auf entsprechenden Hinweis des Gerichts lenkte die Kasse dann auch ein und erstattete dem Kläger den vollen Betrag der ihm inzwischen selbst entstandenen Kosten. Der Kläger war behinderungsbedingt auf das beantragte Hilfsmittel angewiesen und wirtschaftlich glücklicherweise in der Lage, die Kosten vorzuschießen.

Es kann folglich allen Betroffenen empfohlen werden, sich mit solcherlei Ausflüchten der Kassen nicht abzufinden. Antragsteller sollten vielmehr auf eine adäquate, von ihnen konkret benötigte, Hilfsmittelversorgung bestehen. Notfalls lohnt es sich, den Rechtsweg zu beschreiten. Dieser ist im sozialgerichtlichen Verfahren übrigens kostenfrei.

Thomas Reiche, L.L.M.oec. Rechtsanwalt
Fachanwalt für Versicherungsrecht

Dieser Artikel erschien im RehaTreff 04/2013 und kann hier als PDF heruntergeladen werden.

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