Motorradfahren mit Handicap

Doppelkupplungsgetriebe von Honda ermöglicht Motorradfahren mit Prothese

Eine Technik, die schon seit vielen Jahren im Automobilbereich Menschen mit Behinderungen das Autofahren erleichtert, hält nun auch bei den Motorrädern Einzug. Honda verbaut als erster und einziger Hersteller ein Doppelkupplungsgetriebe. Dieses macht das Schalten mit dem Fuß überflüssig und ermöglicht Gangwechsel per Tastendruck. Die Technik ist serienmäßig zu haben– ohne Umbau. Die Japaner gingen mit der Markteinführung ein Risiko ein, denn Motorräder mit automatisierten Getrieben galten bislang als Ladenhüter.

 

Die Honda NC700X kann auch von Fahrern mit Beinprothese/n gefahren werden. Foto: Honda
Die Honda NC700X kann auch von Fahrern mit Beinprothese/n gefahren werden. Foto: Honda

 

An den Tag, an dem er sein rechtes Bein verlor, kann sich Ralf Künster noch genau erinnern: Es war im Jahr 1986, als er im Urlaub in Schottland gegen Ende einer Ausfahrt mit seinem Motorrad einen Lastwagen überholte. Dabei scherte ein vor dem Laster fahrendes Auto zum Abbiegen aus, Ralf Ralf konnte nicht mehr bremsen. Nach mehreren Operationen wurde sein rechtes Bein rund zehn Zentimeter oberhalb des Fußes amputiert. Es begann eine mühsame Zeit, der Berliner musste neu Laufen lernen

Einmal Motorradfahrer, immer Motorradfahrer

Die motorisierten Zweiräder trotz des schweren Unfalls in die Ecke zu stellen, kam für ihn nie in Frage. „Mitte der 90er Jahre war der Wunsch wieder so groß, dass ich mir einen kleinen Motorroller zugelegt habe“, erinnert sich der heute 54-jährige Sozialwissenschaftler. Es folgte eine Vespa mit 125 Kubik. Der Wunsch, wieder Motorrad zu fahren, war über die Jahre nie ganz verloren gegangen. Doch zum Motorradfahren braucht man beide Beine, den Linken zum Schalten und mit dem Rechten wird die Bremse betätigt. Behindertengerechte Umbauten gab es damals zwar schon, aber „die waren aufwändig und teuer“, argumentiert er. Motorräder mit Automatik oder automatisiertem Getriebe fanden vereinzelt immer mal wieder den Weg auf den Markt. Durchgesetzt hatten sie sich jedoch nie.

Das Doppelkupplungsgetriebe

Beim Honda Doppelkupplungsgetriebe DCT werden die Gänge per Schalter gewählt. Alternativ kann im Automatikmodus gefahren werden. Foto: Honda
Beim Honda Doppelkupplungsgetriebe DCT werden die Gänge per Schalter gewählt. Alternativ kann im Automatikmodus gefahren werden. Foto: Honda

Im Jahr 2010 ließ Honda die Motorradwelt und auch Ralf Künster aufhorchen. Erstmals boten die Japaner ein Doppelkupplungsgetriebe an, damals ausschließlich für den großen Tourer VFR1200F. Automatisierte Getriebe hatten andere Hersteller zu dem Zeitpunkt zwar auch im Programm, doch ein Doppelkupplungsgetriebe hatte noch keiner in ein Motorrad verbaut. „Noch ein Motorrad mit Automatik? Das hat doch noch nie funktioniert“, war damals die weit verbreitete Meinung in der Szene. Doch mit den Automatikgebtrieben, die bisher angeboten wurden, hat das DCT (Dual Clutch Transmission) nicht viel zu tun.

Im Aufbau ähnelt das Getriebe von Honda dem bekannten Doppelkupplungsgetriebe aus dem Automobilbereich, das neben Volkswagen und Audi von mehreren Herstellern verbaut wird. Es handelt sich dabei um ein echtes Schaltgetriebe, das elektronisch angesteuert wird. Das System arbeitet mit zwei Kupplungen, die abwechselnd den Kraftschluss zwischen den Zahnrad-Gangpaaren und der Ausgangswelle herstellen. Eine Kupplung ist für die Gangstufen 1, 3 und 5 zuständig, die andere für die Gangstufen 2, 4 und 6. Beim DCT entfällt das Schalten mit dem linken Fuß. Das Kuppeln beim Anfahren, beim Gangwechsel und beim Anhalten erledigt die Elektronik. Ein DCT-Motorrad ist somit leicht am fehlenden Fuß- und Kupplungshebel zu erkennen.

Schalten wie im Rennsport

Die Gänge werden per Tastendruck am Lenker gewählt. Ein Schaltvorgang dauert nur noch Sekundenbruchteile, eine Zugunterbrechnung beim Beschleunigen gibt es nicht, der Motor drückt das Krad kontinuierlich nach vorne. Da kommt schon fast Rennsportfeeling auf. Dieses Fahrfeeling konnten die bisherigen Automatikmotorräder nicht bieten. Die volle Konzentration kann dem Fahren und dem Verkehr gewidmet werden. Und die Fahrfreude bleibt dabei, entgegen der Erwartung vieler, keineswegs auf der Strecke. Wer es gemütlich angehen möchte, kann sich in den Fahrstufen „D“ und „S“ (Sport) auch im Vollautomatik-Modus bewegen. Gebremst wird wie beim gewöhnlichen Motorrad mit dem rechten Fuß. Der Spritverbrauch liegt sogar unter dem eines manuell geschalteten Motorrades.

Das Einkuppeln beim Anfahren und Anhalten übernimmt die Elektronik. Einen Kupplungshebel gibt es nicht. Foto: Honda
Das Einkuppeln beim Anfahren und Anhalten übernimmt die Elektronik. Einen Kupplungshebel gibt es nicht. Foto: Honda

Honda baut das Angebot an Fahrzeugen mit DCT stetig aus. 2012 folgten mit dem Crosstourer und der NC700-Reihe, bestehend aus NC700S, NC700X und dem Motorroller Integra, vier weitere Fahrzeuge. Und das System überzeugte auch anfangs skeptische Biker. Im Jahr 2013 wurde beispielsweise vom Modell Crosstourer fast jedes zweite Motorrad mit Doppelkupplungsgetriebe ausgeliefert.

Motorrad fahren ohne Einsatz der Beine

Da der Einsatz des linken Fußes nicht notwendig ist, können auch Fahrer mit Prothese oder sonstigen Einschränkungen der Gliedmaßen in den Genuss der Freiheit auf zwei Rädern kommen. Bei Ralf Künster fiel die Wahl auf die sportliche NC700S mit 700 Kubik und 48 PS. Da bei Ralf jedoch das rechte Bein betroffen ist, war trotzdem ein Umbau notwendig, der aber erst durch das System von Honda möglich wurde. Der Motorroller Integra, in dem ebenfalls das DCT arbeitet, wird serienmäßig mit zwei Bremshebeln am Lenker ausgeliefert. Kurzerhand wurde an Ralf Künsters Motorrad die Fußbremse durch einen zweiten Bremshebel anstelle des fehlenden Kupplungshebels ersetzt. Verwendet wurden dafür die Bauteile des Integra. Da die gesamte Modellreihe auf derselben Technik beruht, ist dieser Umbau unkompliziert, geht schnell und wird von örtlichen Honda-Werkstätten bereits ab 500 Euro bewerkstelligt. Gebremst wird dann wie beim Motorroller mit beiden Händen. Die Steuerung des Motorrades wird damit ohne Einsatz beider Beine auch für doppelt Amputierte möglich.

Ralf Künster ist vom System der Japaner überzeugt und ist mit seiner Honda schon bis nach Südfrankreich gefahren. Ein kleines Manko bleibt jedoch: Die DCT-Version ist rund 1.000 Euro teurer als die handgeschaltete Maschine. Dies wird durch den günstigen Grundpreis aber halbwegs wieder ausgeglichen.

Individuelle Umbauten: Geht nicht, gibt’s nicht

Für die verschiedensten Behinderungen gibt es heute maßge-schneiderte Umbauten. Mit Spezialkonstruktionen können so beispielsweise auch Menschen mit Querschnittlähmung, Kleinwuchs, Contergan-Schädigung und/oder Armamputationen Motorrad fahren. Weitere Informationen zu den vielfältigen Möglichkeiten gibt der bekannteste deutsche Umrüster für Motorräder, die Koeltgen GmbH in Krefeld (www.koeltgen.de).

2014 werden von Honda sechs Modelle mit dem Doppelkupplungsgetriebe (DCT) angeboten, fünf Motorräder und ein Motorroller. Die NC700-Reihe endete mit dem Jahr 2013 und wurde durch die Variante mit 750 Kubik ersetzt. Bis auf die CTX700N, die serienmäßig mit dem DCT ausgestattet ist, können alle Modelle auch mit manueller Schaltung geordert werden. Die unverbindliche Preisempfehlung verringert sich dann um 1.000 Euro.

Weitere Informationen zum Honda Doppelkupplungsgetriebe DCT gibt es unter www.sportlicherschalten.de.

Eric Scharfenort

 

Video: Das Doppelkupplungsgetriebe (DCT) im Einsatz


Quelle: Honda

Dieser Artikel erschien im RehaTreff 02/2014 und kann hier als PDF heruntergeladen werden. Sie finden diesen Artikel interessant? Hier können Sie ein Abonnement für den RehaTreff bestellen. Das Jahresabo mit vier Ausgaben kostet 18.- € inklusive Versand und Mehrwertsteuer.

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