Dogtrekking – der neue Outdoorsport für Rollstuhlfahrer

Manuela Richter ist viel mit dem Handbike unterwegs. Ihre Hunde Jody und Chiron laufen dabei immer vornweg. Das ist an sich nichts Besonderes. Die Rollstuhlfahrerin aus Leipzig jedoch nutzt die Vitalität und Lauffreude ihrer beiden Lieblinge auf eine Art, die sich gerade zum beliebten Outdoorsport entwickelt: Jody und Chiron ziehen das Handbike.

Flott, mit etwa zehn Stundenkilometern, geht es voran. Den Hunden macht das sichtlich Spaß. Anfang April war „das Gespann“ erstmals beim Dogtrekking in der Sächsischen Schweiz bei Dresden dabei, ein Erlebnis für die ganze Familie Richter. Organisiert haben die lange im Voraus ausgebuchte Veranstaltung im Elbsandsteingebirge die Leipzigerinnen Anja Neumann und Caroline Watzlaw. Die beiden Frauen sind viel unterwegs mit ihren Hunden, vor allem in der Natur. Es geht durch verwunschene Wälder, auf hohe Berge, durch tiefe Schluchten und über schmale Steige. Manchmal sogar ans Meer. Immer sind die Hunde dabei. Nicht immer gibt es einen Weg.

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Manuela Richter mit ihren Hunden Jody und Chiron, zwei ungarische Jagdhunde.

HS statt PS

Mal eben kurz nach Mitternacht aufstehen und dann mit den Hunden bis zur Zugspitze? Kein Problem. Leute, die Dogtrekking betreiben, also mit Hunden (weit) wandern, sind mehr als 80 Kilometer am Stück unterwegs. Veranstaltungen zwischen 40 und 80 Kilometern Länge werden genau genommen als Doghike bezeichnet, solche mit mehr als 80 Kilometern als Dogtrekking. Die Teilnehmer laufen/wandern eine festgelegte Route mit Hilfe einer Karte ab. Der Hund trägt ein Zug- oder Führgeschirr, der Mensch einen Laufgürtel. Daran befindet sich eine beliebige, etwa zwei bis drei Meter lange Leine mit einem Ruckdämpfer, wie er für den Schlittenhundesport entwickelt wurde. Je nach Veranstaltung ist auch der Einsatz von Hundepacktaschen möglich. Während der Wanderung durchs romantische Elbsandsteingebirge sind Mensch und Hund auf sich allein gestellt.

Aus Leidenschaft für Hunde und für die Natur organisierten Anja und Caro das zweitägige Event am ersten April-Wochenende, es war das „1. Elbsandstein-Dogtrekking“. Caroline Wetzlaw: „Das Wetter war perfekt – sonnig und trocken, der Wind hat eine angenehme Abkühlung gebracht.“ Die kürzeste Tour hatte 25 Kilometer und 1.000 zu überwindende Höhenmeter, die längste ging über 77 Kilometer und 2.700 Höhenmeter. Gestartet wurde letztere früh um drei Uhr. Zur Pflichtausrüstung gehören unter anderem eine Stirnlampe und Ersatzbatterien, Handy, Wasser und Verpflegung, Wanderkarte und Kompass und ein Erste-Hilfe-Set.

Rollstuhlfahrer noch die Ausnahme

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Bei größeren Hindernissen schaut der Hund auch gerne mal zu. Dann müssen zweibeinige Helfer ran.

Insgesamt 86 Teams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren gekommen, auch Manuela aus Leipzig mit ihrem Mann Nils und den beiden Hunden. Die Leipzigerin war die einzige Rollstuhlfahrerin, die den anspruchsvollen Parcours über Stock und Stein unter die Räder nahm: „Früher habe ich mich nie in die Berge getraut, bin immer in der Ebene geblieben. Mit dem Rollstuhl einen Hügel hoch und dann wieder runter: Nein danke!“

Doch dann baute ihr die MK Medizintechnik Leipzig, eine Manufaktur für Orthopädie- und Rehatechnik, eine Radstandverlängerung an ihr Handbike. Seitdem liegt das Körpergewicht nicht mehr auf der Hinterachse, sondern in der Mitte. Durch die damit verbundene bessere Übertragung der Zugkraft auf den Untergrund (Traktion) geht heute vieles, was früher nicht möglich war: steilere Steigungen, besseres Bremsen. Auch im Elbsandsteingebirge. Manuela Richter: „Es war, als wäre ein neues Level freigeschaltet worden.“

Manuela Richter ist seit einem Motorradunfall vor 17 Jahren querschnittgelähmt. Damals war sie 19 Jahre alt. Sie machte eine Ausbildung zur Finanzbeamtin in Meißen bei Dresden und arbeitet seit einigen Jahren im Leipziger Finanzamt. Viele Jahre lange machte sie Rollstuhl-Karate, sie brachte es bis zur Vizeweltmeisterin, war zweimal in Japan. Sie ist selbstbewusster geworden dadurch, wie sie sagt. Bei einer 40-Stunden-Arbeitswoche bleibt nicht allzu viel Freizeit. Diese nutzen Manuela Richter und ihr Mann, der Fußgänger ist, um mit den Hunden draußen unterwegs zu sein.

Mit Freunden durch die Natur „heizen“

Nahe ihrer Wohnung in der Leipziger Ostvorstadt gibt es einen Park. Dort sind sie oft, aber genauso an den Seen in der Umgebung. Als Gruppe mit Freunden „heizen sie durch die Gegend“, wie Manuela Richter sagt: „Die anderen sind Fußgänger, deren Hunde laufen vor ihren Dog-Scootern, das ist eine Art Roller.“ Plötzlich war sie nicht mehr gehandicapt, sondern auf Augenhöhe, „total geil“. Generell sieht sie ihr Leben pragmatisch. Ist etwas nicht rollstuhlgerecht, „dann will ich da nicht hin.“ Eine Ausnahme ist ihre Frisörin, der die 36-Jährige seit vielen Jahren die Treue hält. Um die sieben Stufen zum Geschäft zu überwinden, fragt sie Passanten, ob sie ihr helfen.

Auch in die Leipziger Innenstadt fährt die 36-Jährige mit ihrem Handbike. An die Aufmerksamkeit, die sie und die beiden Jagdhunde erregen, hat sie sich gewöhnt. Die Kommentare reichen von „so gut erzogen müsste mein Hund auch mal sein“ bis „das ist ja Tierquälerei“. Diese Kritik ist für Manuela Richter nicht nachvollziehbar: „Wer sich mit Hunden auskennt, weiß, dass man sie nicht zum Ziehen zwingen kann, sie es also freiwillig und gerne tun.“

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Bei der Siegerehrung gab es einen Haferkeks statt Goldmedaille.

„Barrierefreie Runde für Hartgesottene“

Bis zum Dogtrekking bzw. Doghike am ersten April-Wochenende im Elbsandsteingebirge war es für Manuela Richter ein weiter Weg. Früher hatte sie keine guten Zugschnüre, die Leinen waren zu kurz. Bei einer Hundemesse lernte sie andere Zughunde-Sportler kennen und „stieg in die Materie richtig ein“, wie sie sagt. Auch bei der 28 Kilometer langen Tour durchs Elbsandsteingebirge war es wichtig, dass Jody und Chiron vornweg laufen und nicht schräg seitlich. „Geradeaus, rechts, links“ – all diese Kommandos verstehen sie. Kaninchen? – Jetzt nicht!

Die beiden sind mit neun und zehn Jahren schon etwas älter. Früher waren sie schneller unterwegs und bewältigten größere Strecken. Aber die 28 Kilometer im Elbsandsteingebirge vom Beuthenfall nach Hinterhermsdorf und zurück waren schon drin, wenn auch eine sportliche Herausforderung für Mensch und Tier bei immerhin 700 Höhenmetern, die es zu überwinden galt. Die Veranstalterinnen bezeichneten die Tour selbst als „barrierefreie Runde für Hartgesottene“. Nach der Tour waren Manuela, ihr Mann Nils und die Hunde völlig fertig, aber „stolz wie Oskar“.

Heidrun Böger

Internet:

https://hundwegsam.jimdo.com/

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (02/2016).
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