Inklusion: Schulen sind auf chronische Krankheiten nicht eingestellt

Künftig sollen sich Schulschwestern um die Gesundheit der Schüler kümmern. Foto: Public domain/wikipedia.org
Künftig sollen sich Schulschwestern um die Gesundheit der Schüler kümmern. Foto: Public domain/wikipedia.org

Chronische Krankheiten im Kindesalter rücken zunehmend in den Fokus. Zu diesem Ergebnis kommt die Kindergesundheitssurvey (Kiggs-Studie). In Zeiten der Inklusion hat dies gerade auch Folgen für den Alltag in allgemeinen Schulen, die aber auf chronisch kranke Kinder bislang nur unzureichend eingestellt sind. Anpassungen, besser tief greifende Reformen der Schulgesundheitspflege im Regelschulalltag, sind also überfällig, meint Dr. Ulrike Horacek vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ).

Denn die Zahl chronisch kranker Schüler nimmt insgesamt zu. 2012 hatten in Brandenburg nach repräsentativen Erhebungen des Landesgesundheitsamts 13 % der Untersuchten eine chronische Erkrankung. 2009 waren es erst 10 %. Der Anteil chronisch kranker Kinder liegt in Familien mit niedrigem Sozialstatus sogar bei 21,5 %. Bei Kindern aus Familien mit hohem Sozialstatus ist es nicht einmal jedes zehnte Kind (8,6 %). Während der Schulzeit verschlimmern sich Gesundheitsprobleme von Kindern oder Jugendlichen sogar noch. So sind bei knapp 19 % der Entlass Schüler in Brandenburg im Jahr 2012 Sehfehler aufgedeckt worden. Im entsprechenden Einschulungsjahrgang 2012 waren es dagegen knapp 15 % gewesen.

Können aber alle Lehrer zu Experten von allen chronischen Erkrankungen werden? Wohl kaum. Doch wie lauten die Alternativen? Gibt es nachahmenswerte Modelle? In Kanada, in Australien, in den meisten Staaten der USA, aber auch in vielen europäischen Staaten hat sich zum Beispiel die Schulschwester sehr bewährt. An jeder Schule in Schweden, Finnland und England gibt es mindestens eine Schulschwester, die zumeist in einem Team aus Lehrern, Schularzt, Schulpsychologe und Schulsozialarbeiter arbeitet. Sie ist Bestandteil der Schulgemeinde und des regelhaften Schullebens, und ihre Arbeit wird in hohem Maß wert geschätzt.

Pflegewissenschaftler Andreas Kocks von der Universität Witten-Herdecke plädiert schon seit fast zehn Jahren dafür, dieses Modell auf Deutschland zu übertragen. Ganz allgemein gilt die Schulschwester in vielen Ländern als erste kompetente Ansprechpartnerin für alle gesundheitlichen Belange der Kinder im schulischen Alltag sowohl für Schüler und Eltern, aber auch für Lehrer. Sie entscheidet auch darüber, ob oder wann ein Schularzt einzuschalten ist. Speziell für chronisch kranke Kinder in der Schule fungiert sie als Case-Managerin, indem sie die Schüler und deren Eltern unterstützt und begleitet. Zudem soll sie stets überprüfen, ob alle nachgehenden Fürsorgemaßnahmen umgesetzt und Behandlungspläne eingehalten werden.

Speziell bei chronisch kranken Kindern kümmert sich die Schulschwester um die

– Medikamentengabe und spezifische individuelle Pflegeleistungen;

– spezielle Krankenbeobachtung (z.B. zur Unterzuckerung neigender Schüler mit neu eingestelltem Diabetes mellitus) oder um die Überprüfung des Hör- und Sehvermögens;

– die Berücksichtigung individueller Erfordernisse z.B. bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Allergien in der Gemeinschaftsverpflegung und

– die Herstellung des Kontakts zum Jugendhilfeträger. Und umgekehrt fungiert sie beim Thema Kinderschutz als fachliche Ansprechpartnerin für Fachkräfte in den Jugendämtern.

All diese Unterstützungsleistungen wären auch hierzulande hilfreich. Für Schüler mit Benachteiligung durch gesundheitliche Einschränkungen würde so eine passgenaue und alltagsnahe fachliche Unterstützung möglich. Eine Schulschwester kann zudem vor Ort als Ansprechpartner für Inklusionshelfer und Schulbegleiter fungieren. Die öffentlichen Kinder- und Jugendgesundheitsdienste – so die DGSPJ – könnten für die Schulschwester Fachverantwortung übernehmen und von ihr dann hinzugezogen werden, wenn die sozialpädiatrische Kompetenz gefordert ist.

Chronisch kranke Kinder aus sozial benachteiligten Schichten würden von einer Schulschwester besonders profitieren, ist Ulrike Horacek überzeugt. Durch eine enge Kooperation mit Schulsozialarbeitern und -Psychologen vor Ort könnte dieser Effekt noch verstärkt werden. Auch Lehrer würden durch eine solche Unterstützung entlastet und könnten sich leichter auf das pädagogische Kerngeschäft fokussieren. Und all das kommt, direkt oder indirekt wieder den (chronisch kranken) Schülern zugute. Der Einsatz von Schulschwestern macht also Sinn und sollte im wahrsten Sinne bundesweit „Schule machen“, fordern die Sozialpädiater.

 

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