Viktor Staudt im RehaTreff-Interview

Die REHAB-Messe in Karlsruhe hatte in diesem Jahr erstmals einen kulturellen Treffpunkt: ein Bistro, in dem Autorenlesungen stattfinden. Zu Gast waren dort auf Einladung des Droemer Knaur Verlags und des Magazins RehaTreff die Bestseller-Autoren Charlotte Roth und Viktor Staudt. Viktor Staudt verlor bei einem Selbstmordversuch beide Beine. Seit seiner Kindheit hatte er unter Angstattacken, Depressionen und Gefühlen der Ausweglosigkeit gelitten. Vor 15 Jahren warf er sich im Amsterdamer Bahnhof vor einen Zug. Das Erlebte hat er in einem Buch verarbeitet: „Die Geschichte meines Selbstmords – und wie ich das Leben wiederfand“. RehaTreff hat mit Viktor nach seiner Lesung ein Interview geführt.

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Herr Staudt, Sie haben ein Buch über Ihren Selbstmordversuch geschrieben, bei dem sie beide Beine verloren haben. Wie waren die Reaktionen auf das Buch?

Ich habe inzwischen allein über 1.000 E-Mails bekommen, viele von Hinterbliebenen, die fragen, wieso ihr Angehöriger sich das Leben genommen hat. Als hätte ich eine Antwort auf diese offene Frage. Die habe ich natürlich nicht, weil ich nur für mich reden kann. Aber es scheint wohl trotzdem gewisse Parallelen zu geben. Einige danken mir deshalb für mein Buch, weil sie meinen, die Dinge doch besser zu verstehen. Eigentlich wollte ich eher Selbstmordgefährdeten zeigen, wo ich war und wie es mir jetzt wieder geht, damit sie auch nochmal drüber nachdenken.

Diese menschlichen Kontakte sind Ihnen sicher mehr wert als der Erlös aus dem Buch.

Ja, das ist richtig. Ich bin ein sehr reicher Mann wegen des Buches, nicht materiell, sondern einfach aufgrund der vielen Reaktionen, wo mir Menschen danken, dass ich mit ihnen meine Geschichte geteilt habe.

Können Sie sagen, warum es Ihnen heute wieder besser geht?

Ein Medikament, das ich nach vielen weniger erfolgreichen Arztbesuchen endlich verschrieben bekommen habe, hat mich gerettet. Natürlich hat man mit der Zeit, weil einen so ein Medikament stabilisiert (ein Antidepressivum, Anm. Red.) die Ruhe, manche Dinge anders anzugehen. Eins muss man mit dem anderen verbinden.

Haben Sie heute Angst vor dem Tod oder bei Ihrem Selbstmordversuch gehabt?

Nein. Weder damals noch heute. Wieso weiß ich eigentlich nicht. Wenn mir heute etwas passieren würde, wäre ich jedoch froh, wenn man mich retten könnte.

Was genau hat Sie damals dazu veranlasst, sich im Amsterdamer Bahnhof vor einen ICE zu werfen?

Die psychische Belastung durch Angst- und Panikattacken, die von meiner Depression, die viel zu lange unerkannt blieb, herrührten, war zu groß. Hinzu kam eine immer größere Einsamkeit. Es ist verdammt schwierig, jemanden zu finden, mit dem man darüber reden kann und bei dem man das Gefühl hat, das wird auch angenommen. Ich denke, die Einsamkeit hat mich im Endeffekt dazu bewogen damals. Wenn wir in unserer Gesellschaft endlich so locker sind, dass wir über eine Psychose genauso offen reden können wie über eine Erkältung oder ein gebrochenes Bein, dann wird es garantiert weniger Probleme geben. Ich bekomme unendlich viele Mails von Leuten, die sagen, ich traue mich nicht darüber zu reden.

Wie sieht Ihr Alltag heute aus?

Ich beantworte viele Mails, gehe zu Lesungen meines Buches, und da ich allein lebe, muss ich auch viele Alltagsdinge erledigen, wie Wäsche waschen, einkaufen usw. Ich habe zudem ein zweites Buch, zunächst noch auf Niederländisch, herausgebracht, in dem es um das Leben im Rollstuhl geht. Eine Gebrauchsanleitung für neue Rollstuhlfahrer.

Was sind Ihre Träume für die Zukunft?

Ich lebe jetzt seit fast vier Jahren in Italien, auch weil das Land besonders rollstuhlfreundlich ist, und möchte die Sprache einmal fließend sprechen können. Außerdem: Mein Buch erscheint demnächst sogar in Korea, die vielen Kontakte und Gespräche dazu tun mir sehr gut, in diese Richtung würde ich gern weitergehen.

Haben Sie einen Tipp für Menschen, die sich in einer ähnlichen Psychokrise befinden, wie Sie sie durchgemacht haben?

Nicht aufgeben, bis man jemanden gefunden hat, mit dem man wirklich drüber reden kann. Ein Freund oder ein Nachbar. Oft nimmt man die Hilfe nicht wahr. Man muss sich überlegen, dass man sich nicht das Leben nehmen will, sondern ein Leben haben möchte, ohne diese Probleme. Ich habe heute zwar auch noch Panikattacken, aber nicht mal mehr 10 Prozent von dem wie es mal war. Ich kann heute mit Ihnen hier sitzen und reden, das war früher unmöglich.

 

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Die Geschichte meines Selbstmords und wie ich das Leben wiederfand

Droemer Verlag, Th. Knaur, München, 2014

€ 14,99

ISBN 978-3-426-27645-7

 

 

 

 

 

 


 

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (02/2015).
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