Drei Medaillen und ein Paralympics-Slot binnen 46 Minuten: Das deutsche Para Leichtathletik-Team hat am letzten Wettkampftag der Weltmeisterschaften im japanischen Kobe einen perfekten Abend erlebt. Erst sprintete Johannes Floors zu seinem vierten 400-Meter-Titel in Folge, kurz darauf sicherte sich Lindy Ave auf der Ziellinie Silber. Zum Abschluss siegte Léon Schäfer erstmals über 100 Meter und krönte sich damit zum Doppel-Weltmeister von Kobe 2024. Insgesamt hat das deutsche Team sechs Gold-, zwei Silber- und eine Bronzemedaille gewonnen.
Der 400-Meter-Weltmeister von London 2017, Dubai 2019 und Paris 2023 heißt auch in Kobe 2024 Johannes Floors. Der Weltrekordhalter, der beim TSV Bayer 04 Leverkusen von Erik Schneider trainiert wird, lief die Stadionrunde in 47,49 Sekunden und siegte deutlich vor dem US-Amerikaner Hunter Woodhall und dem Niederländer Olivier Hendriks. Der US-Amerikaner war vorgeprescht, doch der 29-Jährige überholte ihn in der zweiten Kurve und spielte dann seine ganze Routine und Stärke aus.
„Es war überraschend“, sagte Floors über den Rennbeginn des US-Amerikaners, der in Paris im vergangenen Jahr aufgrund einer gebrochenen Prothese nicht starten konnte: „Ich wusste, Hunter ist schnell, er ist schon schnelle Zeiten in Amerika gelaufen, aber ich bin ehrlich: Zeiten in Amerika sind Zeiten in Amerika und Zeiten in meinem Rennen sind Zeiten in meinem Rennen. Bisher hat er die Zeiten nie bestätigen können, wenn ich im Rennen dabei war, insofern hat mir das sehr viel Ruhe und Gelassenheit gegeben. Das hat sich hier bestätigt. Hunter wollte unbedingt, das war ganz klar zu sehen. Aber ich wusste, ich habe den höheren Top-Speed und zehn Jahre 400-Meter-Training in den Beinen. Da lasse ich mir so schnell den WM-Titel nicht wegnehmen.“
Floors, der wie Weitsprung-Weltmeister Markus Rehm die WM in Japan als Kurztrip verbuchte und in der deutschen Zeitzone blieb, blickte nach dem erfolgreichen Rennen direkt voraus auf das eigentliche Highlight des Jahres: „Das Wichtige in diesem Jahr sind die Paralympics in Paris. Über 400 Meter will ich wiederholen, was mir 2021 in Tokio gelungen ist – nur die 100 Meter werden diesmal ein bisschen besser“, sagte Floors, der damals Paralympics-Gold über die Stadionrunde holte und sich über 100 Meter die Bronzemedaille in einem denkbar knappen Rennen teilen musste.
Lindy Ave dreht auf der Zielgeraden auf
Als Floors gerade in der Mixed Zone Interviews gab, lief Lindy Ave exakt 16 Minuten nach Floors Gold ebenfalls die 400 Meter – und Floors begann laut loszujubeln: Die 25-Jährige, die bei Leichtathletik inklusiv Greifswald unter Heike Kemmler-Westphal trainiert, schnappte sich auf der Zielgeraden zwei Konkurrentinnen und wurde im Fotofinish in 1:00,59 Minuten um zwei Hundertstelsekunden Zweite.
„Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet, dass ich jetzt fast schon an meine Bestzeit herankomme nach so langer Babypause“, sagte die 25-jährige Tokio-Paralympicssiegerin, die schon nach ihrem vierten Platz über die 100 Meter mutig Rang zwei über 400 Meter und damit einen Nationen-Startplatz für das deutsche Team als Ziel formuliert hatte: „Umso mehr freue ich mich für die Mannschaft und darauf, dass wir dann gemeinsam nach Paris fahren.“ Ihr Vorhaben für die Spiele in der französischen Hauptstadt formuliert sie ebenfalls offensiv: „Auf jeden Fall will ich wie in Tokio meinen Weltrekord wiederholen.“ Den schnappte sich in Kobe Weltmeisterin Karen Tatiana Palomeque Moreno aus Kolumbien mit 59,40 Sekunden.
Léon Schäfer erstmals Doppel-Weltmeister
46 Minuten nach Floors WM-Sieg war es Léon Schäfer vorbehalten, sich zum König von Kobe zu krönen: Nach Weitsprung-Gold im letzten Versuch am Sonntag – auch 2019 und 2023 hatte er in seiner Lieblingsdisziplin gesiegt – gewann der 26-Jährige jetzt erstmals ein großes 100-Meter-Rennen und darf sich nun Doppel-Weltmeister nennen. Nach Silber bei der WM 2019 sowie Bronze in Tokio bei den Paralympics und bei der WM 2023 ist es eine besondere Genugtuung für den gebürtigen Bremer, der ebenfalls in Leverkusen bei Erik Schneider trainiert und immer betonte, dass er auch im Sprint gewinnen möchte. In Kobe blieb er in persönlicher Bestzeit von 12,03 Sekunden zwei Hundertstel vor dem jungen Südafrikaner Puseletso Mabote und dem Niederländer Joel de Jong.
„Es ist noch schwer zu greifen. An sich war es kein gutes Rennen“, sagte Schäfer trotz Top-Zeit selbstkritisch: „Mein Start war sehr, sehr schlecht, ich habe die Jungs alle wegziehen sehen und dachte mir: Junge, das kann nicht sein – jetzt hack‘ einfach rein. Genau das habe ich gemacht und am Ende das Ding gewonnen.“
Mit der Zeit verbesserte sich Schäfer um stolze 0,15 Sekunden und knackte zudem den elf Jahre alten deutschen Rekord von Heinrich Popow, der damals in Leverkusen in 12,11 Sekunden zum Weltrekord gelaufen war. „Er hat mir vorhin noch geschrieben, ich meinte: Hey Brudi, gib‘ mir mal zwei, drei Sachen, die ich anders machen kann“, sagte Schäfer über seinen großen Mentor: „Er hat mir die genannt, ich habe probiert, im Warm-Up daran zu denken und die Tipps umzusetzen. Der Start war zwar nicht gut, aber das mit dem vorne bleiben und Druck machen hat geklappt und ich bin ihm sehr dankbar.“ Mit einem besseren Start, so ist sich Schäfer sicher, kann er in Paris bei den Paralympics auch die Zwölf-Sekunden-Marke knacken. Auch im Weitsprung hat der oberschenkelamputierte Sprinter ambitionierte Ziele: „Ich peile dieses Jahr schon die 7,40 Meter, 7,50 Meter an – irgendwas dazwischen“, betonte Schäfer. Sein aktueller Weltrekord steht bei 7,25 Metern.
Zwei neue Slots und zwei Normen in Kobe
Isabelle Foerder wurde über 100 Meter in 16,24 Sekunden Siebte und war damit nicht zufrieden, nachdem sie nach dem Vorlauf noch Gesamt-Sechste war. Am Vormittag hatte Jule Roß über 200 Meter in 25,95 Sekunden als Vierte ihres Laufs und Gesamt-Neunte hauchdünn das Finale verpasst. Die 17-Jährige vom TSV Bayer 04 Leverkusen, die über 400 Meter in deutscher Rekordzeit zur Paralympics-Norm gestürmt war, als Sechste über 100 Meter ihre Bestzeit verbessert hatte und Achte im Weitsprung wurde, erlebte dennoch eine grandiose Weltmeisterschaft.
Insgesamt hat das deutsche Team von Bundestrainerin Marion Peters im Universiade Memorial Stadium im japanischen Kobe sechs Gold-, zwei Silber- und eine Bronzemedaille gewonnen (siehe Übersicht unten). Mit Blick auf die Paralympics in Paris hat das deutsche Team aktuell 15 Nationen-Startplätze, je einen holten Merle Menje und Lindy Ave in Kobe. Elf Athletinnen und Athleten haben bislang die geforderte Norm erbracht: Neben Jule Roß und Lindy Ave bei der WM schon zuvor Irmgard Bensusan, Nele Moos, Francés Herrmann, Katrin Müller-Rottgardt mit Guide Noel Fiener, Noah Bodelier, Johannes Floors, Niko Kappel, Markus Rehm und Léon Schäfer. Über ein sogenanntes High-Performance-Ranking wird es am 28. Juni weitere Startplätze für die deutsche Mannschaft geben.
Foto: Gate3 Photo Agency / Marcus Hartmann
Text: Nico Feißt / DBS