Auch wenn mittlerweile die dritte von vier Stufen der Umsetzung des deutschen Bundesteilhabegesetzes vollbracht ist und die letzte Ratifizierung für 2023 angedacht wird, bestehen nach Ansicht des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland weiterhin erhebliche Mängel in der Partizipation von Menschen mit Handicap und ihren Vertreterorganisationen bei politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen. Exemplarisch führt der ABiD hierbei die aktuelle „Konzertierte Aktion“ von Bundeskanzler Scholz und die Bemühungen um die Minderung der Teuerung an. „Rentner, Arbeitslose, Erwerbsunfähige, Kranke, behinderte Menschen und Alleinerziehende blieben mit ihrer Situation hierbei weitgehend unberücksichtigt und ohne hinreichende Stimme, obwohl sie zu den besonders Leidtragenden der Inflation gehören und explizit hilfsbedürftig sind“, sagt der Vorstand des ABiD übereinstimmend und führt an: „Die Schwächsten sollten eigentlich die Lautesten sein“. Zwar wurden mit den bisherigen Reformen bereits wesentliche Grundlagen geschaffen, damit Menschen mit Behinderungen barrierefrei am Miteinander in Deutschland beteiligt werden und berufliche, sozioökonomische und gesundheitliche Teilhabe erhalten können. „Unzureichend ist aber weiterhin die Möglichkeit zur Mitsprache bei legislativen Prozessen“, so die ABiD-Vorstandsmitglieder Marcus Graubner, Klaus Heidrich und Andreas Scheibner. „Wesentliche Herausforderung wird es sein, Repräsentanten der Community an den für ihre Klientel bedeutsamen Gesetzgebungsverfahren frühzeitig und niederschwellig einzubeziehen – und damit eine bedeutsame Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Bislang sind vor allem die Zeiträume für Stellungnahmen von Organisationen wie dem ABiD deutlich zu kurz, um sich in die teils komplexen Sachverhalte einarbeiten und ein Feedback an die entsprechenden Stellen rückmelden zu können. Auch liegen viele Referentenentwürfe und Vorschläge für Gesetzestexte nicht in einfacher Sprache vor, was die Chancen auf eine adäquate Beteiligung senkt. Es bedarf einer konsequenten Partizipation von Sozial- und Behindertenverbänden bei allen legislativen Belangen, die diese Personengruppe betreffen. Hierfür müssen verbindliche Standards festgesetzt und Verfahren entwickelt werden, letztendlich braucht es verlässliche Ansprüche von Menschen mit Handicap und der sie repräsentierenden Verbände, sich in der für sie machbaren Frist und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln an der Ausgestaltung von Gesetzen umfassend zu beteiligen. Hürden hierbei sind abzubauen und alternative Formen der Mitsprache zu ermöglichen, exemplarisch seien digitale und behindertengerechte Kommunikationswege zu nennen – gerade auch für Menschen mit Seh- oder Hörschädigung“, erklärt der Vorstand des ABiD. Zusätzlich ergänzt der Sozialberater des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland, Dennis Riehle, die Notwendigkeit finanzieller Besserausstattung von Selbsthilfeverbänden, welche behinderte Menschen in der Politik und gegenüber dem Staat vertreten sollen: „Damit eine möglichst große Zahl an repräsentierenden Organisationen, welche die Rechte von Menschen mit Handicap gegenüber den die Gesetze ausarbeitenden Ministerien in Anspruch nehmen dürfen, eine fachlich und inhaltlich adäquate Arbeit leisten können, müssen sie mit genügend Mitteln ausgestattet werden, zum Beispiel für die Bestellung einer Geschäftsstelle oder die Hinzuziehung von Experten. Die Verbände müssen sich sicher sein, dass ihnen die notwendigen Befugnisse und personellen Kapazitäten zugestanden werden, um die Anrechte von behinderten Menschen beim Gesetzgeber unabhängig und mit einem fachkundigen Fundament vorbringen zu können. Damit dieses Ziel erreicht wird, sollte die Fortschreibung der Teilhabegesetze evaluiert und auf Wirksamkeit und praktische Umsetzung überprüft werden“, so Riehle.