Raúl Krauthausen – „Dachdecker wollte ich eh nicht werden“

raul_buchvorstellungBiographie vom Leben aus der Rollstuhlperspektive

„Dachdecker wollte ich eh nicht werden“, lautet lakonisch der Titel des Erstlingswerkes von Raúl Aguayo-Krauthausen, der mit der Glasknochenkrankheit zur Welt kam und nie laufen lernte. Wer jetzt an die Fabel vom Fuchs mit den unerreichbaren Trauben denkt, die er deshalb als zu sauer bezeichnet, liegt jedoch falsch – auch wenn Krauthausen, der 1980 im peruanischen Lima geboren wurde und in Berlin aufwuchs, in seiner Anfang des Jahres erschienenen Biographie schon mal bedauert, seine überbordende Kreativität nicht immer mit eigenen Händen auch materiell gestalten zu können.

Um Grenzen und Wendepunkte auf dem Weg zu Akzeptanz und Annahme der eigenen Behinderung geht es in dem Buch, das aufgrund der gerade einmal 33 Lebensjahre des Autors eher eine Bilanz als eine Biographie ist. Und es geht darüber hinaus sachlich, souverän und ohne moralischen Zeigefinger um Akzeptanz und Umgang von Nicht- oder Noch-nicht-Behinderten mit behinderten Menschen, dass man es allen Lesern ans Herz legen möchte. Denn auf dem von Krauthausen geschilderten persönlichen Weg im Elektrorollstuhl mit teils abenteuerlichen Erlebnissen wird schnell klar, dass er weniger an eigene als an die Grenzen einer ignoranten oder überforderten Umwelt stößt. Es geht um heillos überforderte Bahnmitarbeiter beim Ausfall des Aufzuges, unerreichbare Türgriffe, Cafés mit Stufen und darum, ein leichtes Opfer für Smartphone-Diebe zu sein. Dies sind die äußerlichen Unwägbarkeiten, mit denen Krauthausen im Rollstuhl klar kommen muss, und die „Fußgängern“ vermutlich erst bei der Lektüre bewusst werden. Dazu gehört auch die Übergriffigkeit des unaufgeforderten Anfassens des Rollstuhls. Und dazu gehört leider auch, dass eine Beziehung in die Brüche geht, weil seine Freundin von Gaffern überfordert ist.

Für Krauthausen sind das aber keine Gründe, Zuhause zu bleiben. Ganz im Gegenteil: Der Querdenker will seine Ideen umsetzen, macht ein Praktikum beim Radio, moderiert mit Roger Willemsen eine Gala (damals noch unter dem unsäglichen Namen „Aktion Sorgenkind“), bewirbt sich bei einer Werbeagentur und wird zum Aktivisten für soziale Projekte. Im Radio ruft er zum großen „Deutschland sucht den Super-Zivi“-Casting auf. Mit 18 Jahren möchte er sein eigenes Leben führen und gründet wie die meisten Studenten seines Alters eine Wohngemeinschaft. In dieser lebt Krauthausen, wie in jeder WG üblich, vorwiegend von Tütensuppe und Pizza. Er muss seine tägliche Assistenz organisieren und beschreibt, was für eine Herausforderung es ist, mehr als andere seine Intimsphäre preisgeben und Nähe zulassen zu müssen.

Ein Befreiungsschlag in die Selbständigkeit und Unabhängigkeit ist die WG-Gründung dennoch – und eine der vielen Landmarken und Wendepunkte in der Auseinandersetzung mit der eigenen Behinderung oder „Eigenschaft“, wie Krauthausen sie nennt. Eindrucksvoll schildert er, wie er politisches Engagement zunächst umgeht, um die Behinderung nicht zu seinem Hauptmerkmal werden zu lassen. Und wie er schließlich die Kompetenz, seine „Perspektive mit Potenzial“ entdeckt, die genau darin liegt und die er schließlich zu nutzen lernt und im Projekt „Wheelmap“ umsetzt.

Obwohl es um das Thema Behinderung geht, hat man doch in keinem Augenblick den Eindruck, von einem „Behinderten“ – welche oft von den Medien geprägten Vorstellungen auch immer dazu in den Köpfen herumgeistern – sondern von einer höchst inspirierenden Persönlichkeit zu lesen. Ein bereicherndes Buch für Leser mit jeglichen Eigenschaften, um die eigenen Grenzen und Potenziale und die anderer als Vielfalt menschlichen Lebens anzunehmen. (Mehr über Raúl Krauthausen finden Sie auch im RehaTreff 3/2012 unter dem Titel „Entdecker aus Leidenschaft“.)

Miriam Flüß

 

Raúl Aguayo-Krauthausen

Dachdecker wollte ich eh nicht werden

Rowohlt Polaris, ISBN 978-3-499-62281-6,

14,99 Euro

 

Weitere Artikel

Letzte Beiträge