Talent days bringen Kinder und Jugendliche zum Sport

Talent Days
Knie hoch: Laufschule mit Sportprothese. Foto: Ottobock

Sport ist Ausdruck von Bewegungsfreude oder Motivation im Wettkampf. Für alle Kinder und Jugendlichen. Allerdings haben es diejenigen mit körperlichem Handicap dabei schwerer. Um ihnen die Freude am Sport zu vermitteln, haben der Deutsche Behindertensportverband (DBS) und Paralympics-Förderer Ottobock erstmals das Sport-Wochenende „Talent days“ in Duderstadt organisiert. „Wir können nur eindringlich die Hoffnung aussprechen, dass wir die Geburt eines neuen Formats erlebt haben, das in Zukunft mehr Kinder und Jugendliche an den Sport heranführt“, fasste DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher seine Eindrücke eines bewegenden Wochenendes unter Regie des Goldmedaillengewinners Heinrich Popow zusammen.

Die meisten Kinder wurden an diesem Wochenende erstmals mit einer Sportprothese versorgt. Tamara (11) aus Stadtland bei Bremen hat dagegen schon zwei Jahre Erfahrung, probierte nun aber ein anderes Produkt aus. „Und wie fühlt sich das jetzt an“, fragte der Orthopädietechniker. „Als ob man nach vorne fallen könnte“, antwortete Tamara. Ein Techniker griff zum Inbusschlüssel. „Etwas besser.“ Noch einmal geschraubt. „Jetzt ist es wieder wie früher“, strahlte Tamara, und sie wurde an diesem Wochenende mit dieser Prothese zu einer unermüdlichen Sportlerin, die sogar in den Trainingspausen einfach immer weiter rannte und gern auch mal einen Spagat zeigte.

Antonia (16) aus Hamburg traf erst am Abend ein. In ihrem Fall ließ sich der für ihre Alltagsversorgung gefertigte Prothesenschaft nicht mit der Sport-Feder verbinden. Es wurde ein Gipsabdruck von ihrem Stumpf angefertigt. Ihn brauchten die Techniker Markus Goldmann und Julian Napp, um am frühen Morgen einen neuen Schaft dabei zu haben und ihn mit dem Sportprodukt zu verbinden. Ein Tempo wie in einer Paralympics-Werkstatt. Bei der ersten Trainingseinheit um 9 Uhr stand Antonia mit auf dem Duderstädter Sportplatz „Auf der Klappe“.

Simon Jonas (15) aus Lüneburg will im Sport weiterkommen. „Leichtathletik, ja das wäre ein Thema.“ Seine Eltern haben von Björn Barthon von den Talent days erfahren, Orthopädietechniker der Reha-OT Lüneburg. Für eine Probezeit stand Simon schon einmal eine Sportprothese zur Verfügung. „Er wollte bei den Bundesjugendspielen mitmachen“, erklärte seine Mutter Susanne. Vom Schulsport ist Simon nicht befreit, – was man auch so sehen kann, dass er davon nicht ausgeschlossen ist. Sein Vater Andreas befasste sich nun mit der Frage, wie sich eine zusätzliche und dauerhafte Versorgung mit einer Sportprothese im Wachstumsalter finanzieren lässt, das jährliche Neuanpassungen erforderlich machen kann. „Für uns war schon wichtig, sich hier mal mit anderen Eltern austauschen zu können, die vor ähnlichen Fragen stehen.“

Björn Barthon hatte eine prägnante Antwort darauf, warum Kinder nach einer Amputation überhaupt Sport treiben sollten: „Weil Kinder ohne Prothese auch Sport machen. Kinder haben nun mal diesen Bewegungsdrang.“ Das Besondere an den Talent days ist für ihn, der zeitgleich ein Seminar bei Ottobock besuchte und immer mal wieder auf dem Sportplatz vorbeischaute: „Wir Orthopädietechniker kommen von der technischen Seite, können aber nicht das weitergeben, was erfahrene Nutzer der Sportprodukte weitergeben können. Hier verbindet sich die technische mit der sportlichen Kompetenz.“ Man finde auf jede Frage jemand, der antworten kann. „Wichtig ist, dass auch die Eltern dahinter stehen.“

Heinrich Popow war nicht allein aus Leverkusen gekommen. Er hatte auch drei junge Männer mitgebracht, die alle bereits die Qualifikation für die Erwachsenen-WM 2015 in Doha/LAND

Talentdays Popow
Heinrich Popow, Orthopädietechniker Markus Goldmann und Leon Schäfer bei der Feinjustierung des Prothesenknies. Foto: Ottobock

geschafft haben. Philipp Waßenberg, Léon Schäfer und Felix Streng. Die drei hatten eigene Trainingsphasen, in denen sie eindrucksvolle 200-Meter-Sprints in Serie hinlegten.

Mit Neueinsteigern teilweise erheblich jüngeren Alters das Trainingswochenende zu verbringen, ist für Felix (19) eher eine Zusatzmotivation: „Man freut sich doch für die anderen mit, wenn man sieht, wie die wieder laufen können.“ Simon stellte nach dem ersten Trainingstag fest: „Ich bin im Sprinten hier viel besser geworden und habe gelernt, mehr auf der Spitze der Feder zu laufen. Felix hat mir das beigebracht.“

Auch Trainerin Helena Hermens war begeistert: „Es war toll zu sehen, wie harmonisch alles ablief, obwohl die Teilnehmer die unterschiedlichsten Voraussetzungen hatten. Auch unsere Perspektivathleten konnten von den Technikern wichtige Hinweise für die Einstellungen ihrer Prothesen mitnehmen.“

Vielleicht wird auch von den Anfängern der eine oder andere im Medaillen-Sport weitermachen. Duderstadts Bürgermeister Wolfgang Nolte sagte bei der Begrüßung: „Wenn ich mich einmal in euch versetzen darf, dann wünsche ich mir, dass ihr euch 2024 nach einem Erfolg bei den Paralympics, hoffentlich in Hamburg, gern an die Talent days hier erinnert, wo alles angefangen hat.“ Kann sein, muss aber nicht. Lars Pickardt, Vorsitzender der Deutschen Behindertensport-Jugend, war als Zuschauer nach Duderstadt gekommen. „Sport hat so eine große Bandbreite, auch für die, die sich nicht für den Leistungssport entscheiden.“ So wie Lena (13) aus Bernau bei Berlin. Beim Schulsport nur zuzusehen, findet Lena „total langweilig“. Im Verein spielt sie Sitz-Volleyball. Eine eigene Laufprothese hat sie erst seit einem Monat. „Wichtig ist, einfach mal wieder richtig rennen zu können.“ Ihre Mutter Karin merkt dazu an: „Man erfährt zu wenig über die Möglichkeiten, die es für Kinder mit Amputationen gibt.“

Wie findet Lena das gemeinsame Trainieren mit drei Athleten aus Leverkusen, die Doha 2015 und Rio 2016 als Ziel haben? „Teilweise schüchtert es vielleicht etwas ein, aber es spornt auch an zu sehen, wie gut das mit dem Laufen wieder werden kann. Und dann helfen die ja auch mit ihren Tipps.“ Lena wieder zu sehen, ist für den Coach eine besonders emotionale Begegnung. Um das zu verstehen, muss man drei Jahre zurück blicken: Mitarbeiter eines Berliner Krankenhauses luden Heinrich Popow ein, weil er sich oft um Kinder und Jugendliche gekümmert hat, die vor einer Amputation stehen. Also besuchte Heinrich auch Lena, die fast im gleichen Alter ist, wie er damals war als er an Knochenkrebs erkrankt ist, und er erklärte ihr, dass sie mit Prothese wieder Sport treiben werde. Und jetzt saß sie bei den Talent days vor ihm.

Wie es mittel- und langfristig für diese Kinder weitergehen kann im Sport, beantwortete den Teilnehmern und ihren Kindern das Trainerteam um Heinrich Popow und den DBS. Ganz schnell ging es für Simon und Thory weiter. Sie fuhren gemeinsam weiter zum Jugend Camp in Wedemark, veranstaltet vom Bundesverband der Selbsthilfegruppen für Bein- und Armamputierte.

Thory (17) kommt aus Haale und möchte Vereinssport treiben. Aber wo? „Bei uns in Schleswig-Holstein gibt es da nicht so viel.“ DBS-Präsident Beucher wünscht sich ein flächendeckendes Netzwerk, damit überall Kinder und Jugendliche nach einer Amputation Sport treiben können. So wie die anderen Kinder und Jugendlichen auch.

 

 

 

 

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