Den Superlativ „berühmtester Rollstuhlfahrer“ darf man sicher Sir Stephen Hawking zuerkennen, denn sein bekanntestes Buch „A Brief History of Time“ wurde auf der Welt etwa 10 Millionen Mal verkauft! Wenn es auch wahrscheinlich nicht so oft tatsächlich gelesen wurde, schlägt das für ein Sachbuch, das schwierigste wissenschaftliche Sachverhalte für Laien verständlich darstellen soll, alle Verkaufs-Rekorde. Der Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“, der soeben in den deutschen Kinos angelaufen ist, ist allerdings nach einem anderen Buch gedreht worden, nämlich nach der Autobiografie von Stephen Hawkings Ex-Frau, Jane Hawking: „Die Welt hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking.“ Natürlich ist das die deutsche Übersetzung des Originaltitels.
Sie brauchen nichts von Physik zu verstehen, um diesen 2 Stunden langen Streifen genießen zu können, denn der Film brilliert durch die Authentizität der Handlung, und zwar durch zwei Eigenschaften des Mannes, dessen Leben hier gezeigt wird: Erstens, seine Intelligenz, sie wird oft mit der von Albert Einstein verglichen! Und zweitens durch die Kraft mit der er die unheimliche Krankheit erträgt, von der er schon vor Eintritt in sein 21. Lebensjahr betroffen wurde: Amyotrophe Lateralsklerose. Es handelt sich um eine unheilbare Erkrankung der motorischen Neurone, also derjenigen Nerven, welche der gesamten Skelettmuskulatur die vom Gehirn ausgehenden Befehle zur Kontraktion vermitteln. ALS, wie die Krankheit kurz bezeichnet wird, führte damals normalerweise innerhalb von 2 Jahren zum Tode!
Dass Hawking nun schon rund 50 Jahre mit dieser Krankheit lebt, ist ein medizinisches Wunder. Allerdings kann er nicht mehr stehen, nicht mehr gehen, nicht mehr selbst atmen, nicht mehr sprechen, nicht mehr schreiben: alle diese Stufen des Kräfteverfalls erlebt man in diesem Film mit. Gleichzeitig erlebt man auch die Liebe einer Frau, seiner Frau. Als die Diagnose schon steht und die kurze Lebenszeit vorausgesagt ist, beschließt sie, ihn zu heiraten, den Kräfteverfall mit ihm zu teilen, ihn zu pflegen. Und sie schenkt ihm noch dazu drei gesunde Kinder und zieht sie ihm auf, während er seine großen wissenschaftlichen Erfolge einfährt.
Genießen Sie die mittelalterliche Kulisse der Studentenstädte Oxford und Cambridge, die Atmosphäre der damaligen Hörsäle, eines typischen Studenten-Pubs und der Parties auf dem Rasen vor gotischen Colleges. Staunen Sie aber auch, wie ein junger Schauspieler die veränderten Bewegungsmuster eines Menschen mit Muskelschwund so gründlich erlernen und darstellen kann. Schmelzen sie dahin angesichts der Seelenstärke einer jungen, hübschen Studentin, deren Liebe und Fürsorge einfach fabelhaft ist! Ich muss gestehen, ich habe selbst zu dieser Zeit studiert, Physik natürlich, 2 Jahre davon an einem englischen College; und ich habe zur gleichen Zeit geheiratet und 2 Kinder gekriegt. Leider habe ich später auch den langsamen Kräfteverfall kennengelernt, die Stürze, das Hochziehen am Treppengeländer, den Rollstuhl. Zwar war bei mir alles nicht so extrem wie bei Hawking, aber ich kann Ihnen dennoch als Zeitzeuge sagen: in diesem Film stimmt alles, er stellt ein wahres Bild des akademischen Lebens im England der 1960er und 1970er Jahre vor uns. Und trotz dem vielen ALS-Leid, das gezeigt wird, ist der Film so ästhetisch, so anrührend, so positiv: einfach überwältigend!
Übrigens: Am 12. Januar 2014 wurden der Hauptdarsteller Eddie Redmayne und der Komponist Jó Jóhansson mit den Kino-Globes für den besten Hauptdarsteller bzw. die beste Filmmusik ausgezeichnet.
Dr. rer. nat. Reinhardt Rüdel, Dipl.-Phys.
Die Entdeckung der Unendlichkeit. 2h 3min
Ein Film von James Marsh, 2015
mit Eddie Redmayne, Felicity Jones.