Viktor Staudt – Die Geschichte meines Selbstmords

staudt_BuchcoverDepression – eine besonders grausame Krankheit

Wer weiß schon, dass in Deutschland mehr Menschen durch Selbstmord ums Leben kommen (derzeit jährlich 13 auf 100.000 Einwohner) als durch Drogen, AIDS, Verkehrsunfälle und Gewaltverbrechen zusammengenommen? Der bei weitem häufigste Grund für diese Verzweiflungstaten (bis zu 70 %) sind Depressionen. Deren wichtigstes Merkmal ist, dass die Betroffenen von negativem und pessimistischem Denken befallen sind: Ihre Gedanken kreisen fast unentwegt in negativer Weise um die eigene Person, die Mitmenschen, die Vergangenheit und die Zukunft. Sie stellen alles infrage, ja auch, ob es Sinn macht, mit dem Leben überhaupt irgendetwas anzufangen. Am schlimmsten ist es, wenn zu den schwarzen Gedanken noch Ängste hinzutreten. Das können generelle Ängste vor der Zukunft sein, insbesondere die, nie wieder gesund zu werden. Häufig sind es jedoch spezifische Verlustängste, z.B. die Angst, von Partnern und Freunden, insbesondere von der Familie, abgelehnt oder im Stich gelassen zu werden; oder die Angst, den Beruf zu verlieren. Depressive Menschen glauben oft, nie mehr glücklich oder gesund werden zu können. In den Phasen tiefster Verzweiflung ist die Neigung zu Selbstmordgedanken und Selbstmordversuchen groß.

All dies kann man in Fachbüchern oder auch im Internet nachlesen. Wer aber von den „normal Sterblichen“ begreift das Problem wirklich? Die Betroffenen neigen ja meistens dazu, ihren Zustand zu verheimlichen. Und wenn sie von ihren Problemen dann einmal etwas herauslassen, denkt so mancher Gesunde insgeheim: Kann der oder die sich nicht ein bisschen mehr am Riemen reißen? Es ist eben sehr schwer, sich vorzustellen, wie man lebt, wenn man diesen sprichwörtlichen Riemen einfach nicht hat! Viktor Staudt, selbst Leidtragender, kann davon erzählen, dass Depression von der Gesellschaft oft nur als chronische Form der Unzufriedenheit angesehen wird. Er dagegen erlebt sie täglich als eine lebensbedrohliche Krankheit und vergleicht sie mit Krebs. Er belegt diesen Vergleich mit vielen ergreifenden und durchaus glaubwürdigen Beispielen, so dass man versteht, warum der Suizid ihm schließlich als die einzige Form der Erlösung erschien.

Detailliert beschreibt er, wie er sich auf diese Möglichkeit vorbereitet hat und wie er schließlich vor den IC gesprungen ist. Aber sein Wunsch wurde ihm nicht erfüllt: Er überlebte, allerdings amputierte ihm der Zug beide Beine auf Oberschenkelniveau. Die Depressionen und Ängste – die nahm ihm der Zug natürlich nicht mit weg, er ergänzte sie nur noch durch schier unerträgliche Phantomschmerzen. Die Suizidgedanken blieben also zunächst. Was sich aber änderte war, dass der Autor durch die nötigen Reha-Maßnahmen mit vielen Ärzten zusammenkam, von denen eine, genauer gesagt, seine neu ausgewählte, kompetente Hausärztin, eine neue Medikation kannte, die ihn seine Krankheit so weit überwinden ließ, dass er sich jetzt entschließen konnte, eine doppelte Botschaft in die Welt zu schicken.

An die Gesunden: Depression ist eine sehr, sehr schwere Krankheit.

An die Betroffenen: Sucht Hilfe, es gibt sie!

Reinhardt Rüdel                        

                                        

Viktor Staudt

Die Geschichte meines Selbstmords und wie ich das Leben wiederfand

Droemer Verlag, Th. Knaur, München, 2014

€ 14,99

ISBN 978-3-426-27645-7

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