Vorbildlich barrierefrei: Der Birkenhof im Schwarzwald

Das Hotel Birkenhof in Baiersbronn war eines unter vielen touristischen Angeboten in der Region Nordschwarzwald. Dann hatten seine Betreiber eine zündende Idee.

Birkenhof 1 Wer als Rollstuhlnutzer Urlaub machen will, hat seine liebe Not mit der Quartiersuche. Gerade beliebte Urlaubsziele wie etwa der Bodensee, der Schwarzwald oder die Meeresküsten des Landes geizen zwar nicht mit Fachwerkidylle und landschaftlichem Liebreiz, wenn es aber darum geht, ein Dach über dem Kopf zu finden, erweisen sich diese Vorzüge oft als hinderlich. Hier eine Stufe am Eingang, dort ein Aufzug, aber erst ab dem Hochparterre, ein Frühstücksraum im Tiefgeschoss – Dinge, über die sich ein Fußgänger kaum Gedanken macht, die für mobilitätseingeschränkte Reisende aber schon Hürden sind, bevor die Reise überhaupt losgeht. Denn wer auf Nummer sicher gehen will, klärt solche Details vor der Buchung telefonisch ab, und oft genug steht am Ende die Erkenntnis, dass das ins Auge gefasste Haus leider nicht in Frage kommt.

So ist das halt in Deutschland (und nicht nur dort) mit seinen gewachsenen Strukturen und viel historischer Bausubstanz. Gemütlichkeit und Zweckmäßigkeit liegen oft im Widerstreit miteinander. Alternativen wie die mehr oder weniger gesichtslosen Neubauten internationaler Hotelketten sind nicht jedermanns Sache. Und wer wegen seiner Mobilitätseinschränkung nicht wirklich spezielle Zusatzausstattungen im Quartier benötigt, verzichtet auch gerne auf Häuser mit Klinikflair. In denen landet man leicht, wenn man auf die Angebote von Anbietern zugreift, die sich auf Reisen für Behinderte spezialisiert haben.

Marktlücke gesucht

Dass es auch anders geht, beweisen seit vielen Jahren Silvia und Wolfgang Sieber, die im unweit von Baiersbronn gelegenen Mitteltal in der reizvollen Landschaft des Nordschwarzwaldes das Hotel und Restaurant Birkenhof betreiben. Das Ehepaar übernahm im Jahre 1995 das Haus mit seinen 22 Gästezimmern und Gaststätte. Der Schwarzwald ist eine Urlaubsgegend par excellence, und allein in der unmittelbaren Umgebung herrscht an Wettbewerb kein Mangel. Was tun, um dem Unternehmen auf Dauer einträgliche Umsätze zu sichern? Vier Jahre nach dem erfolgreichen Start ihrer Hotelierslaufbahn gingen die Siebers die Lösung dieses Problems systematisch an. „Wir machten einen Kurzurlaub in Freiburg und erörterten abends bei einer guten Flasche Wein Möglichkeiten, wie wir unser Hotel zu etwas Besonderem im touristischen Angebot der Region machen könnten“, erinnert sich Wolfgang Sieber an das Wochenende, an dem er gemeinsam mit seiner Frau einen folgenschweren Entschluss traf: „Wir diskutierten die unterschiedlichsten Ideen, am Ende blieb eine übrig. Wir beschlossen, unser Haus rollstuhltauglich zu machen.“

Barrierefreier Umbau

Wie gestaltet man, einstweilen noch unerfahren in Sachen barrierefreies Bauen, ein Haus um, bei dessen Planung an dieses Thema noch niemand gedacht hatte? Indem man sich fachkundigen Beistand in Form eines Architekten sucht. Gesagt, getan, aber wie nicht anders zu erwarten, verlief die ganze Angelegenheit nicht ohne Komplikationen. Mit Schrecken erinnert sich Wolfgang Sieber etwa noch an 16 keineswegs schwellenfreie Duschen, die im Zuge der Baumaßnahmen irgendwann fertiggestellt waren. „Der Architekt berief sich auf Baubestimmungen. Aber das waren wir nicht bereit, hinzunehmen. Also mussten die Duschen wieder raus, und eine wirklich schwellenlose Lösung her.“ Ähnlich pragmatisch wurden auch weitere Vorhaben umgesetzt. Vernünftigerweise verzichteten die Bauherren darauf, bei den Umgestaltungsmaßnahmen stur einschlägige Normen umzusetzen und setzten stattdessen auf Lösungen, die sich an den praktischen Bedürfnissen der anvisierten Klientel orientierten. Im Jahr 2002 waren die Umbaumaßnahmen vollendet.

16 Zimmer für Rollstuhlnutzer

Das Ergebnis überzeugt. Von den 22 Zimmern des Hotels Birkenhof sind nach dem Umbau 16 für die Nutzung durch Rollstuhlnutzer geeignet, zwei davon Einzelzimmer. Zahlreiche Details dokumentieren, dass sich Wolfgang und Silvia Sieber wirklich die Mühe gemacht haben, Dinge aus der Rollstuhlfahrerperspektive zu betrachten und entsprechende Lösungen zu finden. Ob Garderobenhaken und Türgriffe in passender Höhe, problemlos zugänglicher Stauraum, ausreichende Bewegungsflächen, schwellenlose Bäder – alles passt. Und wo erforderlich, ist auch die Erfüllung von Sonderwünschen kein Problem. Der solide in die Decke verschraubte Haken über dem Bett fällt kaum ins Auge, dient aber bei Bedarf als Befestigungspunkt für einen Galgen, der manchem Rollstuhlnutzer das Aufsitzen aus der Liegeposition erleichtert.

Birkenhof 3

Begrüßenswert: Nirgendwo wirken sich die Anpassungen abträglich auf das Flair des Hauses und die Gemütlichkeit des Ambientes aus. Davon profitieren Rollstuhlnutzer und Fußgänger gleichermaßen. Es versteht sich von selbst, dass auch alle gemeinschaftlich nutzbaren Einrichtungen aus dem Blickwinkel von mobilitätseingeschränkten Gästen tauglich gestaltet wurden. Frühstücksraum, Restaurant, Außenterrasse, Wellnessbereich – alles ist so konzipiert, dass der Aufenthalt barrierefrei im Sinne des Wortes vonstattengehen kann. An der einzigen Stelle, an der die baulichen Gegebenheiten einen Kompromiss erforderlich machten, einer kurzen Rampe mit zwölf Prozent Steigung zwischen Empfangsbereich und Restaurant, befindet sich ein Klingelknopf, so dass Hilfe angefordert werden kann.

Birkenhof 4

Die Investition hat sich für das Ehepaar Sieber ausgezahlt. Das Haus hat zahlreiche Stammgäste, mit und ohne Rollstuhl. In einschlägigen Kreisen ist der Birkenhof bekannt. Wer als Rollstuhlfahrer eine Auszeit in der erholsamen Gegend des Nordschwarzwaldes nehmen möchte, weiß um das Anwesen der Siebers. Stellt sich lediglich die Frage: Wieso sind Häuser wie der Birkenhof die Ausnahme und nicht die Regel in der Tourismusbranche?

WP

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (02/2016).
Hier können Sie ein kostenloses Probeheft oder ein Abo bestellen (21 €/Jahr für vier Ausgaben)
Titel_RT_2_2016

Weitere Artikel

Letzte Beiträge