Wie wir Job und Alltag barrierefrei machen

Getting your Trinity Audio player ready...

Geboren ohne Arme und Beine, hat Janis McDavid den Kilimandscharo bestiegen, Rennwagen gefahren und Schwimmen gelernt. Mit seinem aktuellen Buch All Inclusive räumt er mit Vorurteilen auf, denen er und viele Menschen in Unternehmen nach wie vor ausgesetzt sind, und regt im Gespräch mit Expertinnen und Experten wie Dr. Sigrid Evelyn Nikutta zu konkreten Verbesserungen an.

Janis McDavid ist einer der engagiertesten Vordenker für Inklusion und Gleichberechtigung in Deutschland. In seinem neuen Buch zeigt er in verschiedenen Kapiteln auf, wie eine Arbeitswelt aussieht, in der alle Menschen diskriminierungsfrei arbeiten können. Mit der HR-Expertin Uta Menges erarbeitet Janis McDavid Ideen, wie Recruiting neu gedacht werden kann, um Menschen mit Behinderung als Fachkräfte wahrzunehmen und zu gewinnen. Die Deutsche-Bahn-Vorständin Dr. Sigrid Evelyn Nikutta spricht mit ihm über die „gläserne Decke“ für behinderte Menschen und wie wir sie durchbrechen. Mit seinem Ansatz betont der Speaker und Visionär McDavid dabei die Überwindung von Vorurteilen und die aktive Gestaltung inklusiver Arbeitsplätze und bietet konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen und alle, die sich stark für Inklusion machen wollen.

Janis McDavid kennt die Hinweise auf vermeintliche Barrieren aus eigener Erfahrung und plädiert mit All Inclusive dafür, Menschen mit Behinderung bei der aktiven Gestaltung des Arbeitsplatzes zu vertrauen und die zahlreichen Chancen, die Barrierefreiheit und Inklusion uns allen bieten, zu nutzen.

Fragen an Janis McDavid

Die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung hat sich verschlechtert, so stieg die Arbeitslosenquote zuletzt auf 11 Prozent. Woran scheitert Inklusion noch immer?

Nach meinen Gesprächen mit den Expertinnen und Experten für All Inclusive ist mein Eindruck, dass es oftmals immer noch unsere Vorurteile sind, die uns von einer inklusiven Arbeitswelt trennen. Seien es unsere Vorstellungen von „Normalität“, von Leistungsfähigkeit, vom besonderen Kündigungsschutz oder von Machtstrukturen in Unternehmen.

Ich möchte nicht, dass wir unsere Welt für Menschen mit Behinderung denken. Ich möchte, dass wir sie für alle gestalten. Wir bauen Systeme ausschließlich für die Mehrheit und wundern uns, wenn Vielfalt darin keinen Platz findet. Statt Menschen anzupassen, sollten wir endlich anfangen, Strukturen anzupassen. Es geht nicht um Mitleid oder Förderprogramme – es geht um Würde, um Menschenrechte und ja – ganz eigennützig – darum, endlich alle Potenziale zu nutzen.

Wie können Arbeitgeber von einer inklusiven Unternehmenskultur profitieren?

Zusammen mit meinen Gesprächspartnern habe ich herausgearbeitet, dass Inklusion kein neuer, sondern ein natürlicher Zustand sein sollte. Arbeitgeber können von einer inklusiven Unternehmenskultur profitieren, wenn sie Vielfalt als Chance und Wettbewerbsvorteil erkennen und Inklusion leistungsorientiert betrachten.

In den Gesprächen hat sich herauskristallisiert, dass inklusive Teams nicht nur neue Perspektiven, kreative Lösungsansätze und echte Innovationskraft freisetzen, sondern darüber hinaus auch krisenfester sind. Inklusive Teams stellen Gewissheiten in Frage und sind in der Lage, in unsicheren Zeiten ihre Strategien schneller anzupassen. Wer Inklusion lebt, gewinnt an Menschlichkeit und gleichzeitig auch am Markt!

Barrierefreiheit hat ein enormes Innovationspotenzial. Gibt es ein Beispiel, das Dich besonders begeistert?

Oh ja – Touchscreens oder Sprachsoftware! Entwickelt wurden sie ursprünglich für Menschen mit körperlichen Behinderungen, damit sie Computer einfacher bedienen können. Heute sind sie in jedem Smartphone Standard. Das ist für mich das perfekte Beispiel: Was als Lösung für wenige begann, wurde zur Innovation für alle. Barrierefreiheit schafft nicht nur Zugänge – sie schafft Fortschritt. Und genau deshalb sollten wir viel öfter dort hinschauen, wo Menschen bisher ausgeschlossen wurden. Da liegt echtes Zukunftspotenzial.

In Deinem Buch schilderst Du eindrücklich, welche Hürden Dir im Alltag begegnen und wie Du sie meisterst. Du stellst Dich dabei auch immer wieder sportlichen Herausforderungen wie zuletzt dem Schwimmen. Was treibt Dich an?

Mich treibt vor allem die Neugierde und die Abenteuerlust an – gepaart mit der Frage: Wie kann ich auch der Gesellschaft zeigen, dass unsere Vorstellungen von Behinderung überholt sind?

Ich habe nur deshalb schwimmen gelernt, weil „schwimmen lernen“ nicht das Ziel war. Denn eine vermeintliche Grenze löst in mir einen so starken Drang aus, sie zu durchbrechen, dass ich mich dabei kaum zügeln kann. Dabei geht es hauptsächlich um meine eigenen gefühlten Grenzen. Dass ich nie schwimmen werde, war solch eine Grenze in meinem Kopf. Die Angst vor Wasser war einfach zu groß, weil ich zu viele Erfahrungen mit Menschen gemacht habe, die durch meinen Körper im Wasser überfordert waren und mich dadurch traumatisiert haben.

Dann habe ich – mit der Stiftung Deutschland Schwimmt – genauer hingeschaut. Aus meinem ehemaligen Feind, dem Wasser, ist mittlerweile ein Freund geworden. Wasser kann sehr bedrohlich wirken, doch in Wahrheit trägt es uns, wenn wir ihm respektvoll begegnen!

Was sind die größten Barrieren in den Köpfen von Menschen – mit und ohne Behinderung?

Die Vorstellung davon, was „normal“ ist. Viele glauben, sie müssten einem bestimmten Bild entsprechen – körperlich, geistig, beruflich. Das gilt für Menschen mit Behinderung genauso wie für alle anderen. Wir alle tragen diese Normvorstellungen mit uns rum, oft ganz unbewusst. Und genau da wird’s gefährlich: Wenn wir anfangen zu denken, wir seien „nicht genug“, „zu anders“ oder „nicht vorgesehen“.

Was wir brauchen, ist ein Perspektivwechsel. Nicht: „Was kann jemand trotz etwas?“ Sondern: „Was bringt dieser Mensch mit – gerade wegen seiner Erfahrungen?“ Und nicht: „Wie kann ich möglichst unauffällig dazugehören?“ Sondern: „Wie kann ich echt und sichtbar ich selbst sein?“ Das gilt für alle. Inklusion beginnt bei uns selbst – und zwar bei jedem von uns!

Über Janis McDavid

Janis McDavidJanis McDavid, geboren 1991, wuchs im Ruhrgebiet auf. Er ist mehrfach international ausgezeichneter Vortrags- und Motivationsredner mit weltweit über 500 Vorträgen sowie Autor mehrerer Bücher. 2018 gewann er den Internationalen Speaker Slam in Hamburg und erreichte 2019 das Finale in New York. Janis McDavid wurde als Experte für Inklusion in den Deutschen Bundestag geladen und engagiert sich als UNICEF-Mutmacher für Kinder und Jugendliche in aller Welt. Heute trainiert Janis McDavid als Leistungsschwimmer und ist Botschafter der Stiftung Deutschland schwimmt. Seine Projekte sorgen regelmäßig für große mediale Aufmerksamkeit.

 

Fotos:© Katy Otto Photography

Weitere Artikel

Letzte Beiträge