Beim Geld hört die Wahlfreiheit auf!

Ein anwaltlicher Blick auf den Kabinettsentwurf zum IPReG 2.0 von Michael Helbig.

 

Am 12.02.2020 hat das Bundeskabinett unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums den überarbeiteten Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-IPReG) beschlossen und damit den Weg für das offizielle Gesetzgebungsverfahren im Bundestag eröffnet.

Auch der vorliegende Gesetzesentwurf wird dem erklärten Ziel einer verbesserten Versorgung von Versicherten mit einem sogenannten spezialisierten Krankenbeobachtungsbedarf, der die permanente Anwesenheit von geeigneten Pflegekräften bedingt, nicht gerecht. Zwar enthält der Entwurf scheinbare Verbesserungen für die betroffenen Versicherten, so etwa in Bezug darauf, dass nach der Formulierung des § 37 c Abs. 1 S. 1 auch solche Versicherte in den Genuss einer außerklinischen Intensivpflege kommen können, deren medizinischer Pflegebedarf besonders hoch ist, wofür nicht mehr gefordert wird, dass es sich hierbei um unplanbare lebensbedrohliche Zustände oder schwerwiegende akute Verschlechterungen handeln muss, jedoch wird die Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten, zu welchem unter anderem auch Menschen im Wachkoma und Epileptiker gehören können, dadurch wieder eingeschränkt, dass der Entwurf zur Voraussetzung der Annahme eines hiernach erforderlichen hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege den zwingenden Einsatz einer Pflegefachkraft erfordert. Damit fallen tatbestandlich alle Leistungen aus dem Behandlungspflegeumfang aus, die nicht zwingend von Pflegefachkräften zu erbringen sind. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass gegenwärtig viele Versorgungen ganz oder auch zeitweise durch Familienangehörige oder Laienkräfte auch in der Beatmung durchgeführt werden, so stellt sich die Frage, ob auch diese Tätigkeiten zukünftig vom außerklinischen Intensivpflegeanspruch gedeckt werden. Die Anspruchsberechtigung nach derzeitiger Rechtslage ist eindeutig mit Ja zu beantworten.

Auch die im Entwurf in § 37 c Abs. 2 enthaltene Erweiterung der möglichen Orte, an denen die außerklinische Intensivpflege zu genehmigen ist, auf vollstationäre Einrichtungen, Einrichtungen der Eingliederungs- und Behindertenhilfe und solche in hierzu speziell zugelassenen Wohneinheiten dürfte nur dann zu einer wirklichen Verbesserung des auch in dem Entwurf anerkannten Wahlrechts der Versicherten führen, wenn diesem tatsächlich eine ihren individuellen und im Gesetz erwähnten persönlichen familiären und örtlichen Umständen entsprechende Wahlfreiheit eingeräumt wird. Dies setzt voraus, dass sämtliche Versorgungsformen gleichberechtigt nebeneinander stehen und auch leistungsrechtlich gleich behandelt werden. Dies ist nach dem vorliegenden Entwurf gerade nicht der Fall.

Gerade in finanzieller Hinsicht werden, ohne dass bislang dargelegt und nachgewiesen wurde, dass stationäre Versorgungsformen in Bezug auf Versorgungsqualität und -sicherheit besser sind, als andere im Gesetz vorgesehene, stationäre Versorgungen ausdrücklich präferiert. In diesen sollen Versicherte gemäß der Regelung in § 37 c Abs. 4 pro Kalenderjahr nur noch Zuzahlungen für maximal 28 Tage leisten müssen, wobei es bei allen anderen Versorgungsorten bei der in § 61 SGB V geregelten Zuzahlungsverpflichtung verbleibt, wonach bei häuslicher Krankenpflege die Zuzahlung 10 % der Kosten sowie 10,00 € je Verordnung beträgt. Ferner befreit der Entwurf durch die Regelung in § 37 c Abs. 3 S. 1 von Eigenanteilen, die in der stationären Einrichtung für Betreuung, betriebsnotwendige Investitionen sowie die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung entstehen. Diese Kostenbefreiung gilt nur für die stationären Einrichtungen, nicht jedoch für alle übrigen Versorgungsformen, insbesondere auch die Wohngemeinschaften und sonstigen Wohnformen, in denen die Versicherten üblicherweise mit den Kosten von Unterkunft und Verpflegung konfrontiert sind. Weshalb gleiche Sachverhalte unterschiedlich beurteilt und geregelt werden, ist vor dem Hintergrund einer einheitlichen qualitativen Versorgung der Versicherten nicht nachvollziehbar. Diese kann nur den Zweck haben, Versicherte allein aus finanziellen Gründen zu einer stationären Versorgungsaufnahme zu bewegen. Ambulante Versorgungsformen werden hierdurch benachteiligt und Versicherte aus reinen monetären Beweggründen zur Entscheidung für einen stationären Leistungsort bewegt.

Letzteres auch vor dem Hintergrund der in dem Gesetz im Weiteren vorgesehenen Ermächtigung der Krankenkassen durch Satzungsregelungen zu bestimmen, dass deren Kostenbeteiligung in Bezug unter anderem auf Unterkunft und Verpflegung des Versicherten, der sich von Anfang an für eine stationäre Leistungsumgebung entschieden hat, auch dann fortbestehen kann, wenn der Bedarf an außerklinischer Intensivpflege nachträglich entfällt und gegebenenfalls reiner allgemeiner Krankenbeobachtungsbedarf besteht. In den entsprechenden Genuss sollen gerade solche Versicherten nicht gelangen können, deren Versorgung zunächst in ambulanten Umgebungen (z.B. Wohnformen, Wohngemeinschaften oder Häuslichkeit) erfolgt und bei denen durch entsprechende Pflegemaßnahmen nachträglich der Bedarf an außerklinischer Intensivpflege entfällt. Für diese Versicherten ginge mit dem Wegfall des Behandlungspflegebedarfs das Risiko einher, die sodann mit der allgemeinen Krankenbeobachtung verbundenen und von der Pflegeversicherung nur bis zum Sachleistungshöchstbetrag mitfinanzierten Kosten selbst tragen zu müssen. Dies würde auch dann gelten, wenn mit dem Wegfall der außerklinischen Intensivpflege eine stationäre Weiterversorgung in einem regulären Pflegeheim notwendig werden würde.

Je nach Sichtweise stellt die Satzungsermächtigung entweder eine Belohnung der Versicherten dar, die sich von Anfang an für eine stationäre Versorgung entscheiden oder aber eine Sanktion für alle anderen, die rechtlich nicht haltbar ist.

Der Gesetzesentwurf bedarf daher dringender Anpassungen, um die Wahlfreiheit des Versicherten an jedem der nunmehr im Entwurf vorgesehenen Leistungsorte zu sichern und insbesondere von finanziellen Erwägungen freizustellen.

Michael Helbig
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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