Eine verschneite Winterlandschaft. Weites Feld, am Horizont Hügel mit Baumgruppen, eine Allee führt zu einem kleinen Dorf. Das ist der traumhafte Ausblick aus den Büros der Firma medica Medizintechnik GmbH. Seit 25 Jahren verkauft das Unternehmen von diesem beschaulichen oberschwäbischen Ort aus Bewegungstherapie-Geräte in alle Welt.
Peter Kopf ist der „Kopf“ dieser bodenständigen Tüftlerfirma. In seinem Büro hängt eine Weltkarte mit vielen kleinen bunten Fähnchen. Sie zeigt eindrucksvoll, welche Gebiete medica im Export im vergangenen Vierteljahrhundert erobert hat: Nordamerika, Asien, der Nahe Osten, Nord- und Osteuropa. Weitere Fähnchen sollen demnächst Südamerika „besiedeln“. „Bewegung“ ist das Motto: auf der Weltkarte, in den Büros, in den Köpfen der 120 Mitarbeiter. Vor allem aber bei den Abnehmern der von medica entwickelten und produzierten Produkte. Nutzer sind Kliniken für Neurologie und Geriatrie, Therapiepraxen, aber auch Privatpersonen, die durch Alter, Krankheit oder Unfall ihre Bewegungsfähigkeit eingebüßt haben. „Wir holen die Patienten aus dem Bett und bringen sie mit unseren Geräten und Konzepten im Optimalfall wieder zum Gehen“, erklärt der Firmenchef anschaulich. Aktuell montieren die Mitarbeiter in Hochdorf bei Biberach drei Produktlinien: Bewegungs-, Balance- und Gangtrainer.
Kraft und Ausdauer durch Cycling
Alles begann im Sommer 1990 mit dem THERA-mobil. Peter Kopf zeigt am Rande der Produktionshalle auf ein sichtbar technisch überholtes Gerät. „An diesem Bewegungstrainer sieht man, wie sich die Bedienteile enorm weiterentwickelt haben, heute läuft ja alles über technisch hochentwickelte Bedien- und Anzeigeeinheiten“, verdeutlicht er. Der THERA-mobil hatte noch Drehschalter, um die Motorleistung einzustellen. Bewegungstrainer werden auch als Cyclinggeräte bezeichnet. Denn wie bei einem Fahrrad haben sie Pedale zur Kräftigung der Beine. Man kann aber ebenso die Arme mit einer Kurbel trainieren. Je nach persönlichen Voraussetzungen des Patienten, läuft das Ganze auch mit Motorunterstützung. Für das Training können Rollis mit ihrem Gefährt an das Gerät andocken. „Die Bewegungstrainer sollen vor allem Kraft und Ausdauer bringen“, so der medica-Boss. Seit 1985 etwa gibt es solche Bewegungstrainer.
Peter Kopf arbeitete bei dem Mitbewerber RECK, ebenfalls in Oberschwaben, bevor er sich selbständig machte. Er begann damals auf 70 Quadratmetern, heute hat das Firmengebäude in Hochdorf eine Fläche von 3.500 Quadratmetern. Das Unternehmen ist ähnlich organisiert wie ein Autohersteller. Die Mitarbeiter entwickeln die Produkte in Zusammenarbeit mit Lieferanten. Bei medica selbst gibt es keine Teilefertigung, die so genannten THERA-Trainer werden im Haus nur noch montiert. In der Werkhalle befinden sich verschiedene Montageinseln mit dazugehörigen Teile-„Supermärkten“. An diesen Inseln bauen die Mitarbeiter die verschiedenen Geräteeinheiten zusammen.
Einmal „Medicaner“ – immer „Medicaner“
Einer der Monteure ist Franz Sick. Er arbeitet schon seit 2001 in der Firma. Der Familienvater kommt direkt aus dem Ort. Das gute Betriebsklima hat ihn dazu bewogen, seiner Heimat und seinem Arbeitgeber über so viele Jahre hinweg treu zu bleiben. Viele der „Medicaner“, wie sie sich nennen, kommen aus der Umgebung und wissen die Arbeitsatmosphäre, die von gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen geprägt ist, zu schätzen. Die Personalfluktuation ist dementsprechend gering. Auch Jonas Benz, der eine neue Montagelinie leitet, ist begeistert von der angenehmen Arbeitsatmosphäre: „Hier habe ich viel Freiheit und kann auch mal meine eigenen Ideen umsetzen“, schwärmt er. Warum in die große weite Welt hinaus ziehen, wenn das Gute doch so nah ist? – Das sagen sich hier viele, vom technischen Leiter Otto Höbel (17 Jahre dabei) bis hin zur
Marketingleiterin Christine Hohensteiner (ebenfalls 17 Jahre „Medicanerin“). „Das Schöne an der Arbeit ist auch, etwas Sinnvolles zu tun. Meine Mutter war an Multipler Sklerose erkrankt, von daher habe ich eine große Affinität zu diesem Thema“, fügt sie hinzu. Mitarbeiter mit Behinderungen gibt es aber bei medica kaum. Lediglich einen Armamputierten. „Das liegt jedoch nicht an unserer Firmenpolitik“, betont Peter Kopf. „Es bewerben sich einfach keine Schwerbehinderten bei uns“, erzählt er. Und deshalb existiert vom firmeneigenen Lift, den es für behinderte Mitarbeiter einmal geben soll, bislang nur der Aufzugsschacht. Das oberschwäbische Ländle leidet ganz allgemein unter niedrigen Bewerberzahlen, vor allem was Facharbeiter betrifft, sagt Peter Kopf mit einem Stirnrunzeln. Die Arbeitslosenquote rund um Biberach liege gerade mal bei 2,4 Prozent. Wer da bodenständige, zuverlässige und gut ausgebildete Leute beschäftigen möchte, muss gute Angebote vorweisen.
Deutsche Wertarbeit
Peter Kopf ist selbst sehr heimatverbunden und setzt deshalb auch auf deutsche Wertarbeit. „98 Prozent der Zulieferer stellen die Bauteile für die THERA-Trainer im Bundesgebiet her. Wir haben mal den Versuch gestartet, unsere Balancetrainer in Ungarn produzieren zu lassen und sind voll auf die Nase gefallen“, so der Firmeninhaber. „Was Qualität und Zuverlässigkeit anbelangt, war das eine Katastrophe.“
Konkurrenz belebt das Geschäft. So haben beide Firmen einen Spitzenplatz auf dem internationalen Markt: Mit ihren innovativen und hochwertigen Produkten rangiert die Firma medica derzeit auf dem Weltmarkt hinter RECK auf Platz zwei. Während im Ausland rund 80 Prozent der Abnehmer Kliniken und Therapiepraxen sind und nur 20 Prozent privat, ist es in Deutschland bei den Bewegungstrainern genau umgekehrt. Viele Patienten nutzen die THERA-Trainer auch nach der Klinik daheim. Die Kosten von 3.000 bis 5.000 Euro übernehmen bei gegebener Indikation die Kassen. „Allerdings wird es immer schwieriger und nervenaufreibender, dies bewilligt zu bekommen“, beklagt Peter Kopf.
Balance- und Gangtrainer
Im Laufe der Jahre sind zu den von medica produzierten Cyclinggeräten auch Balance- (seit 2003) und Gangtrainer (seit 2013) hinzugekommen. Mit dem Balancetrainer können Patienten, die durch Unfall oder Krankheit im Rollstuhl sitzen, in einer fallsicheren Umgebung wieder Aufrichten und Gleichgewicht üben. Wer diese entsprechend beherrscht, kann anschließend mit dem Gangtrainer e-go, ebenfalls vor Stürzen geschützt, das Gehen auf festem Boden üben. Der Patient wird dabei mit einer Aufhängung am Becken gesichert und bewegt sich innerhalb eines Rahmens, der rechts und links einen Motor hat. „Wichtig sind bei diesem Training hohe Wiederholungszahlen“, betont Peter Kopf. Die gerätegestützte Therapie sei dafür geeigneter als reine 1:1 Übungsstunden mit einem Therapeuten. Die 1:1 Übungsstunden machten in der frühen Reha durchaus Sinn, danach sollten aber Gruppen- und Eigentherapie feste Bestandteile sein.
Das richtige Konzept und Kundenkontakt
Die Firma medica beschränkt sich heute nicht mehr nur auf die Herstellung von Bewegungstrainern. Ziel ist es, wissenschaftlich fundierte Konzepte mitzuliefern, wie die Geräte bei den Patienten den bestmöglichen Therapieerfolg erzielen. „Dies ist besonders für unsere Kunden im Ausland von großer Bedeutung“, hat der 56-Jährige die Erfahrung gemacht. Deshalb hat er vor kurzem eine Tochterfirma gegründet, die medizinisches Personal aus aller Welt in Hochdorf im Hinblick auf die gerätegestützte Therapie schulen soll.
Aber auch schon bei der Entwicklung neuer Geräte sucht medica während des gesamten Prozesses den Kontakt zu Kliniken, Therapeuten, Betroffenen und deren Angehörigen. Medizinprodukte zu entwickeln, wird von den Zulassungen, Verordnungen und Gesetzen her immer aufwändiger. Davon lässt sich der dynamische schwäbische Unternehmer aber nicht abschrecken. Künftig will er seine Produktpalette noch weiter ausbauen. Vorher jedoch wird erst einmal das 25-jährige Jubiläum groß gefeiert. Mit einem Betriebsausflug, einem Tag der offenen Tür für die Region und dem ersten internationalen THERA-Kongress für die ausländischen Geschäftskunden.
Katja Rosdorff
Dieser Artikel erschien im RehaTreff (01/2015).
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