Wer in Konstanz ankommt, spürt sie gleich: die Nähe zu See und Bergen. Der Wind zerzaust die Haare, Möwen ziehen krächzend über den Kopf hinweg, ja, man könnte fast meinen, an der Nordsee gelandet zu sein – wären da nicht die majestätischen Berge mit dem Hausberg Säntis, die sich gleich hinter dem Schweizer Bodenseeufer erheben. Die Berge prägen das Bild: Ob im Stadtgarten, auf dem See oder unterwegs auf der Rheinbrücke, sie sind immer in Sichtweite. Und nicht selten scheint es, als sei man noch viel weiter südlich, wenn Palmen die Uferpromenade säumen und das Wasser türkisblau glitzert.
Denkmalschutz vs. Barrierefreiheit
Dass Konstanz aber noch viel mehr zu bieten hat, weiß Stephan Grumbt, gebürtiger Konstanzer, nur zu gut. Der ehemalige Rugbyspieler und heutige Logistiker im Speditionswesen ist seit vergangenem Sommer ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt. Er hat Multiple Sklerose (MS) und nutzt deshalb seit 2008 seinen Rollstuhl, wenn er in Konstanz unterwegs ist. Eigenschaften, die in seinem Beruf wichtig sind, kommen ihm auch bei seinem Ehrenamt zugute: Dem 49-Jährigen sind einfache und pragmatische Lösungen, wichtig, die die Eigenständigkeit von Menschen mit Behinderung stärken. „Oft wird viel geredet, aber wenig getan“, sagt er. „Wichtig ist aber, dass zumindest die Infrastruktur so angepasst ist, dass sich Menschen mit Behinderung wieder trauen, den öffentlichen Raum zu nutzen.“ Dass dies in einer historischen Stadt wie Konstanz meistens nur eine Optimierung sein kann, ist ihm klar, komme doch der Denkmalschutz für die meisten Einwohner und Behördenmitarbeiter vor der Barrierefreiheit. Aber es gibt durchaus gute Lösungen in der Stadt am See: Ein Beispiel ist das Kopfsteinpflaster rund ums Herzstück der Altstadt, das Konstanzer Münster. Die Pflastersteine wurden abgeschliffen, die Fugen ausgefüllt. Das ist eine große Erleichterung, nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen, Radfahrer und ältere Menschen mit Rollator.
99 Rampen für Konstanz
Eine andere gute Idee ist das von Stephan Grumbt initiierte Projekt 99 Rampen. Wer das Zeichen – ein lachendes Männchen im Rollstuhl – im öffentlichen Raum von Konstanz sieht, weiß: Hier werde ich mit meiner Behinderung unterstützt, es gibt Hilfsmittel und einfache Zugänge für mich. Zum Beispiel im Eiscafé Dolomiti auf der Marktstätte. Dort gibt es nicht nur eine Behindertentoilette und einen barrierefreien Zugang, sondern auch Lesebrillen und Karten mit extragroßen Bildern für sehbehinderte Gäste.
Die Stadt beginnt nicht bei Null. Es gibt in Konstanz schon länger eine Vielzahl an Aktionen und breite Unterstützung für Menschen mit Behinderungen: Sei es der Stadtplan mit einer Übersicht über behindertengerechte Wege und barrierefreie Museen oder auch die Möglichkeit, sich vorab für eine Stadtführung anzumelden, so dass diese barrierefrei gestaltet werden kann.
Altstadt mit Seesicht
Ein Besuch der Konstanzer Altstadt lohnt sich auf jeden Fall. Besonders schön ist der Weg vom Stadtgarten, gleich neben dem Bahnhof, entlang der Konstanzer Bucht und weiter über die Rheinbrücke. Vor allem bei Sonnenuntergang bietet sich hier ein atemberaubender Blick. Das Tieforange am Abendhimmel strahlt vom Rhein weiter zum Bodensee bis auf die dahinterliegenden Berge. Wer am See bleiben möchte, kann dann einen barrierefreien Weg an der Konstanzer Bucht entlang bis zum Strandbad Horn und der Spitze der Bucht nehmen. An dem kostenfreien öffentlichen Strandbad – von den Einheimischen liebevoll Hörnle genannt – findet sich im Sommer auf den weitläufigen Wiesen immer ein ruhiges Plätzchen unter Bäumen.
Wen es mehr in malerische Gassen mit schnuckeligen kleinen Häuschen und Geschäften zieht, der biegt an der Rheinbrücke links ab, fährt ein Stück am Rhein entlang und über die nahe Fahrradbrücke Richtung Altstadt. Neben dem Konstanzer Münster laden vor allem die vielen Cafés und kleinen Plätze zum Verweilen ein.
Konstanz feiert Konziljubiläum
Den anlässlich des in diesem Jahr beginnenden Konziljubiläums entwickelten Stadtrundgang hat Stephan Grumbt auf Barrierefreiheit getestet. Der Behindertenbeauftragte hat die Tour mit vielen praktischen Tipps und Emblemen versehen. Der Flyer zum Rundgang ist in der Tourist-Information und im Büro der Konzilstadt an der Marktstätte erhältlich. Das 600-jährige Konziljubiläum, da ist sich Stephan Grumbt sicher, erleichtere ihm aktuell die Umsetzung und den Anstoß von Projekten zur Barrierefreiheit, werden doch in den nächsten Jahren vor allem auch viele ältere Besucher zu diesem Ereignis erwartet. Zwischen 1414 und 1418 waren zum Konstanzer Konzil eine Vielzahl geistlicher und weltlicher Würdenträger zusammen gekommen, um Frieden und Einheit in Europa zu schaffen. Zu jener Zeit gab es eine geteilte Christenheit, Konflikte in ganz Europa und drei Päpste, die gleichzeitig Anspruch auf den Papststuhl erhoben. Fünf Jahre lang wird nun Jubiläum gefeiert.
Entspannen an der Hafenmole in Meersburg
Wem nach der Stadterkundung der Sinn nach etwas mehr Erholung steht, der kann vom Konstanzer Hafen aus mit der Weißen Flotte eine Seerundfahrt mitmachen. Alle Schiffe der Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB) haben einen barrierefreien Zugang, die meisten ebenso barrierefreie Toiletten. Eine Übersicht gibt es auf der Website der BSB.
Zwischenstopps auf der Route, die beispielsweise von Konstanz über Meersburg und die Insel Mainau nach Überlingen führt, lohnen sich auf jeden Fall. Die eigentlich nur rund 5.600 Einwohner zählende Burgstadt Meersburg lockt jeden Sommer hunderttausende Gäste an. Der in den Wintermonaten verschlafene Ort, in dem dann fast alle Geschäfte geschlossen sind, mutet in den Sommermonaten wie eine quirlige südeuropäische Hafenstadt an.
Der Weg in die Oberstadt ist steil und mit dem Rollstuhl nur schwer zu bewältigen. Doch die Unterstadt mit ihren bunten Häusern, Cafés, Restaurants und Geschäften sowie die Seepromenade können vom Hafen aus problemlos erkundet werden. Und wer einmal an der Hafenmole gestanden und seinen Blick zum gegenüberliegenden Konstanzer Hörnle, zur Insel Mainau und zum Alpenpanorama hat schweifen lassen, wird sich manchmal kneifen müssen, um festzustellen, ob er nicht doch in einer der schönsten Urlaubspostkarten Deutschlands gelandet ist.
Garten für Alle – Blumeninsel Mainau
Nach dem Stopp in Meersburg geht es mit der Weißen Flotte weiter zur Blumeninsel Mainau, auf der fast alle Wege im Mainau-Park rollstuhlgeeignet sind. So gibt es beispielsweise auch einen Garten für Alle mit Pflanzen in Handhöhe zum Riechen und Fühlen. Dort bekommt man Lust, auch Zuhause einen Garten anzulegen, der von allen Familienmitgliedern – mit und ohne Handicap – genossen werden kann.
Mit dem Schiff geht es schließlich vor der untergehenden Sonne, die den See erneut in ein tiefes Orange-Rot taucht und die Berge lilafarben erscheinen lässt, zurück nach Konstanz. Dort kann man in der barrierefreien Hafenmeisterei an der Uferpromenade den Abend gemütlich ausklingen lassen.
Text und Fotos: Sabrina Gundert
INFO:
Übernachten
Empfehlenswert sind das Ibis Hotel Konstanz, Benediktinerplatz 9, mit vier barrierefreien Zimmern und das Hotel Viva Sky, Sigismundstraße 19, mit einem überwiegend barrierefreien Zimmer.
Essen und Trinken
Mexikanisches Restaurant Latinos, Salmannsweilergasse 1, in der Nähe von Marktstätte und Hafen,
Restaurant Brigantinus, Reichenaustraße 15, an der Rheinpromenade,
Café Wessenberg, Wessenbergstraße 41, in der Altstadt, gleich am Münster,
Eiscafé Dolomiti, Marktstätte 10.
Ebenso ist nahezu die gesamte Hafenmeile barrierefrei, wie auch das Einkaufszentrum Lago am Bahnhof.
Sehenswürdigkeiten
Wessenberg-Galerie, Wessenbergstraße 43 (nur der angrenzende Bildungsturm ist nicht barrierefrei),
Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Benediktinerplatz 5,
Rosgartenmuseum, Rosgartenstraße 3.
Bei Regenwetter
Sea Life, Hafenstraße 9,
Bodensee-Therme, Zur Therme 2 (Die Therme stellt Rollstühle zur Verfügung, es gibt Hilfen, um ins Wasser zu gelangen und freundliches Personal, dass stets hilfsbereit ist).
Online
Eine Übersicht über barrierefreie Hotels und Restaurants sowie einen Stadtplan mit behindertengerechten Wegen, aber auch eine Vielzahl an Ausflugstipps und barrierefreien Kultureinrichtungen bietet https://www.konstanz-tourismus.de (Themen -> Konstanz für -> Menschen mit Handicap).
Barrierefreiheit auf der Insel Mainau: https://www.mainau.de/mainau-barrierefrei.html
Bodensee-Schiffsbetriebe: https://www.bsb-online.com/barrierefreiheit.html
Projekt 99 Rampen für Konstanz: https://www.facebook.com/99rampen
Dieser Artikel erschien im RehaTreff 2/2014 und kann hier als PDF heruntergeladen werden. Sie finden diesen Artikel interessant? Hier können Sie ein Abonnement für den RehaTreff bestellen. Das Jahresabo mit vier Ausgaben kostet 18.- € inklusive Versand und Mehrwertsteuer. |