„Entdecker“ Raul Krauthausen

Raul Krauthausen
Raul Krauthausen (Foto: Sozialhelden)

Potentiale in Dingen und anderen Menschen sehen

Batman, Superman, Raul Krauthausen. Der überraschendste Name in dieser Liste ist zugleich der vielleicht größte Held – mit Sicherheit aber der realste, auch wenn Raul sich selbst nie als Held beschreiben würde. „Ich bin einfach nur jemand, der die glückliche Chance hat, seine Ideen umzusetzen und dabei auf ein tolles Team zurückgreifen kann“, sagt er bescheiden. Sein tolles Team, das sind die „Sozialhelden“, ein Zusammenschluss aus einem Netzwerk für Freiwillige und einem gemeinnützigen Verein mit vielen Projekten. „Unser Vereinsname ist natürlich ein bisschen übertrieben, aber damit wollen wir darauf hinweisen, dass jeder ein Held sein kann“, erklärt Raul Krauthausen.

Das Konzept dahinter: Auf soziale Probleme aufmerksam machen, ohne dabei Mitleid zu erzeugen, sondern lieber innovative Lösungen anbieten. Die meisten „Sozialhelden“ kommen aus dem Kommunikations- und Internetbereich oder sind Entwickler, so wie Raul. Er studierte an der Universität der Künste Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und am Hasso-Plattner-Institut der Uni Potsdam „Design Thinking“. „Ich habe immer gedacht, dass ich gerne „DIE“ erfolgreiche Idee entwickeln möchte, und obwohl ich mich schon immer politisch links eingeordnet habe, hatte ich nicht die große Weltveränderung im Auge“, verrät er. Ein Urlaub in Südamerika änderte alles: „Als ich gesehen habe, wie schlecht in Südamerika manche Menschen leben, wurde mir klar, dass man seine Energie und Kreativität besser für soziale Sachen einsetzen sollte“, erzählt der 31-Jährige, der in Peru geboren wurde und bereits seit seinem ersten Lebensjahr in Deutschland lebt. „Aber vom Brunnenbauen in Südamerika hatte ich einfach keine Ahnung. Stattdessen wollte ich etwas in Deutschland machen“, erläutert er.

Deutschland sucht den Superzivi

Zu dieser Zeit suchte Raul gerade einen neuen Zivi, denn er hat „Osteogenesis imperfecta“, besser bekannt als Glasknochen, und benötigt deshalb einen Rollstuhl. Doch anstatt auf der Suche nach einem Zivi Plakate zu kleben, oder zu Behörden zu rennen, veranstaltete er mit dem Jugendhörfunksender Fritz kurzerhand ein Casting im Stile von „Deutschland sucht den Superstar“. So fand er seinen Superzivi. Schnell war klar: Dabei konnte es nicht bleiben. Schließlich gab es noch so viele weitere Möglichkeiten, Spaßiges mit Sozialem zu verbinden. Und so gründete Raul Krauthausen 2004 mit seinem Cousin Jan Mörsch die Aktionsgruppe Sozialhelden. Seitdem räumen die Sozialhelden regelmäßig so gut wie alle Sozialpreise Deutschlands ab – und stecken das Geld sofort wieder in neue Projekte. Stillstand kennt Raul nicht. Er sprudelt vor kreativen Ideen nur so über. Diese Ideen sind oft einfach und genial zugleich: So wie das Projekt „Pfandtastisch Helfen!“, bei dem man Flaschenpfandbons in Boxen neben dem Automaten wirft und das Pfandgeld so spendet. Die Bilanz: 100.000 Euro Spenden pro Jahr für die Berliner Tafeln.

Auch hinter dem neusten Projekt der Sozialhelden verbirgt sich eine Geschichte, die durch ihre Einfachheit verblüfft: Weil Rauls Freund irgendwann schlichtweg die Nase voll hatte, sich immer im selben rollstuhlgerechten Café mit ihm zu treffen, kam den beiden der Gedanke, eine virtuelle Karte zu erschaffen, mit der man erkennen kann, welche Locations rollstuhlgerecht sind und welche nicht. Wheelmap.org war geboren. Auf dieser Online-Karte kann jeder Informationen zur Barrierefreiheit öffentlicher Orte eintragen.

Nicht behindert, sondern behindernd

Gerade die Rechte körperbehinderter Menschen liegen Raul Krauthausen am Herzen: „Menschen mit Behinderung sind in unserer Gesellschaft leider immer noch unsichtbar“, sagt er und schaut ernst unter seiner charakteristischen Schiebermütze hervor. „In Deutschland können Menschen mit Behinderungen durch das Sonderschul-System sehr gut aus der Gesellschaft herausgehalten werden: Sie gehen oft auf Schulen, die nur Menschen mit Behinderung besuchen, und danach in sogenannte Behindertenwerkstätten. Im Alltag sind kaum Menschen mit Behinderungen sichtbar, weil sie jahrelang in einer Parallelgesellschaft versteckt wurden. Obwohl statistisch jeder zehnte Mensch in Deutschland eine Behinderung hat, sieht man sie kaum in Cafés, Restaurants oder Kinos“, beschreibt er. Für ihn gibt es einen klaren Unterschied zwischen „behindert“ und „behindernd“. Mit Letzterem kennt er sich leider nur zu gut aus. „Die meisten behindernden Situationen habe ich mit unflexiblen Behörden oder auch in Kinos, die nur einen Platz für Rollstuhlfahrer haben und in denen man mit Freunden im Rollstuhl nicht gemeinsam einen Film anschauen kann. Was ich aber am Schlimmsten finde, sind Stufen an Eingängen von Bars, Cafés oder anderen Orten, wo man sich gerne aufhält. Das sind Probleme, die mich wirklich nerven, weil es Menschen mit Mobilitätseinschränkungen nicht erst seit gestern gibt!“

Das Recht, ein Arsch zu sein

Darüber kann sich Raul richtig aufregen. Mit seiner Behinderung ist er aber trotzdem im Reinen. Glasknochen seien für ihn so etwas wie Haarfarben für andere Menschen, sagt er beiläufig. Beides sei nun einmal angeboren. Seine Knochenbrüche zählt er schon lange nicht mehr. In der Jugend hat er sich öfters mal etwas gebrochen, inzwischen passiert dies noch etwa einmal im Jahr. Auch in seiner Berliner WG spielt die Glasknochenkrankheit keine Rolle. „Bei uns ist jeder so, wie er ist. Ich würde es auch nicht mögen, wenn ich eine Sonderbehandlung bekäme. In meiner WG lebt neben mir noch eine zweite Rollstuhlfahrerin und daher ist das bei uns ganz normal. Wir sind kein Sozial-Projekt, sondern eine stinknormale WG“, stellt er klar. Raul will weder bevorteilt, noch benachteiligt werden, sondern lediglich gleichberechtigt leben. Und zu dieser Gleichberechtigung gehört auch das Recht, sich ab und zu mal als Arsch aufführen zu dürfen – und auch als solcher von anderen Menschen wahrgenommen zu werden. „In manchen Situationen glaube ich, dass Menschen mich nicht kritisieren, weil ich im Rollstuhl sitze, und das will ich nicht. Auch ich mache Fehler oder trete mal jemandem auf den Schlips und da möchte ich genauso zurechtgewiesen werden, wie man es bei jedem anderen machen würde. Mein Rollstuhl oder meine Behinderung können mich nicht vor Fehlverhalten schützen“, erklärt er.

Wenn Raul Krauthausen so erzählt und seine wachen Augen durch die große Brille blicken, fällt es schwer, zu glauben, dass der 31-Jährige auch stille oder sogar zweifelnde Momente kennt. „Natürlich. Ich denke, das hat jeder. Vielleicht habe ich einfach gelernt, mit Herausforderungen umzugehen und mich wieder psychisch aufzurichten, wenn ich einmal unten bin“, sagt er. Raul versteht es, sich immer wieder neu zu (er)finden. Als Telefonseelsorger, Freelancer, Programmmanager bei Radio Fritz, ehrenamtlicher Vorstand der Sozialhelden, Webdesigner und Synchronsprecher hat er bereits viele Erfahrungen gesammelt. Er selbst bezeichnet sich aber am liebsten als „Entdecker“. „Also jemand, der sich selber gerne geistig herausfordert und Potentiale in Dingen und in anderen Menschen entdecken will“. Und als Entdecker ist Raul Krauthausen Thomas Edison gar nicht mal so unähnlich, denn schon diesem war klar: „Man muss Ideen einfach nur die Chance geben, sich zu verwirklichen.“

Verena Zimmermann

 

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