„Der Weg zum Erfolg ist Unzufriedenheit“
Felix Klieser macht keine Musik, Felix Klieser macht Emotion, verpackt in Tönen. Sein Ausdrucksmittel: das Horn. Und sein Fuß, denn mit dem spielt er sein Instrument.
Das 22-jährige Ausnahmetalent wurde ohne Arme geboren. Da lag die Instrumentenwahl „Horn“ eigentlich erstmal nicht so nahe. Und trotzdem stand für ihn schon als Vierjähriger fest: „Ich will Horn spielen!“ In der Musikschule Göttingen machte er seine ersten Versuche. Heute studiert er Musik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Dazwischen liegen zahlreiche Auszeichnungen, wie zum Beispiel der Bundespreis beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ oder der Förderpreis der Stiftung „spektra“. Und mit jugendlichen 19 Jahren gewann Felix Klieser bereits den „Life Award“ in der Kategorie Kunst und Kultur. Tourneen führten ihn in die Schweiz, nach Italien und Südafrika. Seit kurzem ist sein Debütalbum „Reveries“ im Handel, das er gemeinsam mit dem Pianisten Christof Keymer aufgenommen hat.
Felix Klieser ist Perfektionist
Der junge Mann lebt und atmet die Musik. Deshalb macht er schon vor unserem Interview die nötigen Parameter klar: Es soll um die Musik, nicht um seine Behinderung gehen. Er wisse nicht, wie seine Behinderung überhaupt heißt, und er wolle es auch gar nicht wissen. Er könne alles – außer einem Handstand – und ja, er wisse, dass er sich „eines der fiesesten Instrumente überhaupt“ ausgesucht habe, wie er es ausdrückt. „Das Horn verzeiht nichts“, spricht er liebevoll über sein kapriziöses Instrument. „Und jeder Konzertauftritt gleicht ein wenig einem Glücksspiel“, schiebt er lächelnd hinterher. Wenn Felix Klieser über Noten spricht, über Harmonien, Stücke und Komponisten, dann tut er das leidenschaftlich, fast schon schwärmerisch. Schon beim Zuhören wird einem klar: Dieser junge Mann ist Perfektionist. „Talent ist ein schönes Wort“, sagt er, „aber wenn man älter wird, zählen vor allen Dingen der Wille und harte Arbeit. Dann macht das Talent vielleicht nur noch dreißig Prozent des Könnens aus. Das ist wie im Sport: Wer nicht trainiert, bleibt auch nicht fit“, verdeutlicht er.
Spielen mit den Zehen
Bis zu acht Stunden täglich übt er an seinem Horn. Wenn Felix spielt, schlüpft er einfach aus seinen bequemen, braunen Schuhen. Die Uhr am Fußgelenk, die schlanken Zehen auf Schulterhöhe, nimmt er seine Position ein. Die Zehen des linken Fußes bedienen geschickt die Ventile. Das Besondere dabei: Sein Horn ist nicht umgebaut, der Abstand zwischen den Ventilen ist nach Finger-, nicht nach Zehenlänge bemessen. Einzig sein Hornständer ist eine 5000 Euro teure Sonderanfertigung, die aus Mitteln der Stiftung „spektra – Begabung und Behinderung“ gefördert wurde. Eine weitere Herausforderung: Hornisten benutzen beim Spielen eigentlich die rechte Hand als Stopfhelfer, um die charakteristische, warme Klangfarbe zu erzeugen. Felix musste lange probieren, um diese Färbung zu erreichen. „Was für den Schreiner sein Holz ist, ist für uns Musiker der Klang“, erklärt er. Schon als Zehnjähriger habe er experimentiert, ob er mit Techniken, wie dem langsamen oder schnelleren Blasen von Luft, andere Klänge erzeugen könne, erinnert er sich. Dass viele Rezensenten heute ausgerechnet den Klang seiner Musik loben, freut ihn ganz besonders. Doch er weiß auch, dass der Ton allein noch nicht die Musik macht. „Klang, Virtuosität, Technik – all das sind nur Mittel zum Zweck. Das, was wirklich zählt, ist die Dramaturgie und die Idee von dem, was ich aussagen möchte. Was könnte der Komponist wollen, was steckt in einem Stück alles drin? All dies gilt es umzusetzen“, weiß er. Die meisten Stücke kennt er auswendig. „Man muss ein Stück wirklich kennen, um es zu verstehen. Wenn ich die Noten ablesen muss, kann ich mich nur zu 95 Prozent auf die Musik konzentrieren“, erläutert er.
Lampenfieber und fliegende Mülleimer
Doch selbst, wenn er die Stücke in- und auswendig kennt, Lampenfieber hat erimmer noch. Felix Klieser versucht, es positiv zu sehen: Die Nervosität helfe ihm dabei, sich zu konzentrieren, sagt er. Doch selbst wenn alles perfekt war, ist der 22-Jährige nie ganz mit sich zufrieden. „Der Weg zum Erfolg ist Unzufriedenheit“, steht für ihn fest. Eine gesunde Portion Selbstkritik in sich zu tragen, hält er für unverzichtbar. Im Klartext heißt das, dass früher auch schon mal Mülleimer durch die Künstlergarderobe flogen, wenn etwas schief gelaufen war. Und auch heute kann der junge Musiker mit den sanften blauen Augen bisweilen noch so richtig schön ausrasten. „Wenn ich meinen Freunden dann erzähle, dass mein Fis eine Spur zu dunkel war und ich deshalb so am Rad drehe, können die natürlich nur mit den Augen rollen“, schmunzelt er über sich selbst.
Traumberuf Musiker
Musik bedeutet ihm alles, deshalb kam es für ihn auch nie in Frage, etwas anderes außer der Musik zu seinem Beruf zu machen. „Das ist einfach ein Stück Lebensqualität. Ich kann von dem leben, was mir am meisten Spaß macht. Außerdem brauche ich die Abwechslung. Ich kann als Musiker verschiedene Städte und Länder bereisen“, erklärt er. Sorgen um seine Zukunft macht er sich nicht; auch wenn er weiß, dass Profi-Musiker durch langjähriges Spielen oft chronische Schmerzen entwickeln, da sie bestimmte Muskeln besonders stark beanspruchen. Für einen Musiker, der seine Zehen zum Spielen auf Schulterhöhe bringt, ist das eine besondere Gefahr. „Man muss sich eben Gedanken machen, wie man eigentlich spielt. Ich horche auf meinen Körper und versuche, immer vernünftig zu sitzen“, erklärt er. Außerdem treibt er Sport zum Ausgleich. Er joggt, fährt Fahrrad und fuhr früher auch Ski, was er allerdings wegen des Verletzungsrisikos aufgeben musste. Ein gebrochener Fuß wäre für ihn der Super-GAU.
Genau wie jeder andere Musiker, muss Felix Klieser Leistung erbringen, wenn es darauf ankommt. Und genau das schätzt er so an der Musikwelt: Einen Sonderstatus als „Hornist ohne Arme“ gibt es für ihn hier nicht. „Dem Dirigenten ist es völlig gleich, wie ich mein Instrument spiele, die Hauptsache ist, dass ich die Klangvorstellungen umsetzen kann. Wenn ich dazu nicht in der Lage bin, dann kommt eben der nächste“, erzählt er. Seine Zukunft sieht er deshalb ganz nüchtern, träumt nicht von großen Konzertsälen oder berühmten Dirigenten: „Ich möchte mich einfach auf mich selbst, mein Instrument und meine Musik konzentrieren. Mal sehen was sich daraus entwickelt“.
Verena Zimmermann