Historische Festungen, Burgen, Schlösser und Klöster entführen in ferne und bewegte Zeiten. Mehrere Millionen Gäste aus der ganzen Welt entdecken das reiche architektonische Erbe Deutschlands Jahr für Jahr. Dabei laufen sie über holprige Pflaster, steigen enge Wendeltreppen hinauf und öffnen mit viel zu hohen Klinken schwere Holztüren. Die Frage liegt nah: Wie geeignet sind diese Orte für Menschen mit Einschränkungen oder mit Kinderwagen? Barrierefreiheit und Denkmalschutz lassen sich nicht immer vereinen. Doch manchmal sind selbst jahrhundertealte Anlagen problemlos von allen Besuchern zu erleben. Die Arbeitsgemeinschaft Leichter Reisen, die sich für barrierefreien Tourismus in Deutschland engagiert, stellt einige faszinierende und überraschend zugängliche historische Orte in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg vor.
Auf Spurensuche in Erfurt:
Barocke Stadtfestung und mittelalterliches Augustinerkloster
Erfurt, oft als das „Rom Thüringens“ bezeichnet, beeindruckt seine Gäste mit einer der imposantesten deutschen Altstädte. Mittelalterliche Sakralbauten, enge Gassen und prächtige Fassaden aus Renaissance und Barock ergeben ein einmaliges Ensemble. Berühmt sind Krämerbrücke, Dom und Severikirche. Ein besonders zugängliches Highlight ist die majestätische Zitadelle Petersberg, die auf einer Anhöhe über der Innenstadt thront. Sie gehört zu den größten barocken Stadtfestungen Mitteleuropas und ist als einzige weitgehend erhalten geblieben. Über den Panoramaweg oder per Aufzug erreichen auch Rollstuhlfahrer mühelos das Ensemble. Im Besucherzentrum gibt die barrierefreie Dauerausstellung „Der Petersberg – eine spannende Zeitreise“ einen multimedialen Einblick in die faszinierende Geschichte der Festungsanlage.
Ebenfalls auf dem Petersberg befindet sich die ehemalige Klosterkirche St. Peter und Paul mit einer Ausstellung über Thüringens Gartenparadiese. Erhebende Ausblicke über die Stadt bieten sich bei einem Spaziergang auf dem 2023 fertiggestellten, barrierefreien Bastionskronenpfad, der einmal um die gesamte, sternförmig angelegte Festung führt.
Auch an Martin Luther kommt der Erfurt-Besucher nicht vorbei. Es war im hiesigen Augustinerkloster, wo der spätere Reformator am 17. Juni 1505 das Mönchsgelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam ablegte. Im Zuge der Reformation wurde das Kloster aufgelöst. In seiner Vollständigkeit mit Kirche, drei umbauten Höfen, Konvents- und Wirtschaftsgebäuden ist das um 1300 geschaffene Ensemble heute ein seltenes Beispiel mittelalterlicher Ordensbaukunst. Die Dauerausstellung „Bibel-Kloster-Luther“ ehrt den Gründer der evangelischen Kirche. Auch die sogenannte „Lutherzelle“ kann besichtigt werden. Seit 1988 dient das Kloster als ökumenisches Veranstaltungs- und Tagungszentrum, Luthergedenkstätte und Herberge für den ökumenischen Pilgerweg. Das Augustinerkloster ist barrierefrei für Menschen im Rollstuhl, mit Geh- und Hörbehinderungen. Für Menschen mit Hörbehinderung werden Führungen in Gebärdensprache angeboten. Dazu ist eine Voranmeldung notwendig.
Magdeburg: Kunstgenuss im mittelalterlichen Kloster
Das Kunstmuseum Magdeburg im Kloster Unser Lieben Frauen ist ein kulturelles Juwel im Herzen der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts. Charmant verbindet das Museum zeitgenössischer Kunst und mittelalterlicher Architektur: Die Ausstellungsräume wurden direkt in die romanische Klosteranlage aus dem elften Jahrhundert integriert und wirken dadurch besonders eindrucksvoll auf den Besucher. Über Rampen und einen Aufzug sind Ausstellungen, Kreuzgang, Kirche und Café auch für Rollstuhlfahrer zugänglich.
Zur Dauerausstellung gehören die Sammlungen „Zeitgenössische Kunst“, „Kunst bis 1945“ und der Skulpturenpark. Die aktuelle Sonderausstellung „My Brother`s Cats“ zeigt noch bis 6. Oktober Fotografien des Ukrainers Sergiy Bratkov, die nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine entstanden sind.
Mit einem kostenlosen Multimedia-Guide kann das Museum interaktiv entdeckt werden.
Jeden Mittwoch bietet es zudem einen kostenlosen Kunstkurs für Kinder an.
Ruppiner Seenland: brandenburgisch-preußische Geschichte im
Schloss Oranienburg und Kloster Lindow
Rund 60 Kilometer nördlich von Berlin liegt das Ruppiner Seenland – ein Paradies für Wassersportler und Liebhaber ländlicher Idylle. Doch nicht nur das: Eingebettet in die abwechslungsreiche Landschaft mit über 300 Seen, mäandernden Flüsschen und kleinen Kanälen erwarten den Besucher zahlreiche kulturelle Kleinode. Elegante Schlösser und verwunschene Klosteranlagen sind Zeitzeugen der facettenreichen brandenburgisch-preußischen Geschichte. Auch Theodor Fontanes literarisches Erbe wird hier an vielen Orten erlebbar.
Mitten im idyllischen Naturpark Stechlin-Ruppiner Land, direkt am Ufer des Wutzsees, liegt das Kloster Lindow. „Lindow ist so reizend wie sein Name“, schrieb einst Fontane auf seinen Wanderungen durch Brandenburg über den heute staatlich anerkannten Erholungsort. Das 1230 gegründete Zisterzienserinnenkloster gehörte einst zu den wohlhabendsten Klöstern der Mark Brandenburg. Die Ruinen der Klosteranlage lassen sich auf barrierearmen Wegen erkunden. Gleich nebenan lädt der labyrinthartig angelegte „Garten des Buches“ zum Entdecken und Verweilen ein. Er enthält rund 70 verschiedene Pflanzen und Bäume, die in den heiligen Schriften der Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam erwähnt werden. Erläuterungstafeln erklären die religiösen Bezüge.
Ein Besucherliebling ist das 1651 erbaute Schloss Oranienburg mit seinem prächtigen Schlosspark. Die für Rollstuhlfahrer zugängliche Anlage gehört zu den bedeutendsten Barockbauten in der Mark Brandenburg und symbolisiert den Weg des Kurfürstentums Brandenburg zum Königreich Preußen. Das Schlossmuseum beherbergt eine beeindruckende Sammlung einzigartiger Kunstwerke. Zu den Highlights gehören die prächtigen Etageren in der Porzellankammer, die glanzvolle Silberkammer und die Gemäldesammlung mit Meisterwerken des flämischen Malers Anthonis van Dyck.
Mehr über die barrierefreien Angebote der drei Orte gibt es auf der Website der AG Leichter Reisen unter www.leichter-reisen.info/regionen.
Foto: Auf die Zitadelle Petersberg Erfurt, die einzige weitgehend erhaltene barocke Stadtfestung Mitteleuropas, führt ein barrierefreier Panoramaweg. Foto: ©Florian Trykowski, Thüringer Tourismus GmbH