Im Dezember waren in Deutschland 7.541 schwerbehinderte Akademiker auf Stellensuche, das sind 22 Prozent mehr als noch vor drei Jahren. Besonders hart trifft es die Gruppe der über 50-Jährigen, die mit 66 Prozent den größten Anteil der Statistik ausmacht. Der Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker der zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) in Bonn will diesem Trend mit der passgenauen Vermittlung von Fachkräften entgegenwirken.
Andreas Meyer aus Mönchengladbach ist 56 Jahre alt und studierter Dipl.-Bauingenieur (RWTH Aachen). Seit dem Ausbruch der Nervenkrankheit Transverse Myelitis vor elf Jahren, leidet er an einer halbseitigen Lähmung und ist seit einem halben Jahr auf einen Rollstuhl angewiesen. Meyer war sein Leben lang berufstätig, noch bis vor zwei Jahren war er selbstständig. „Anfangs konnte ich mich noch mit dem Rollator bewegen, mit fortschreitender Spastik war das irgendwann aber vorbei“, erklärt Andreas Meyer im Gespräch mit RehaTreff. Die Behinderung schränkte ihn bei seiner Arbeit als selbstständiger Bauingenieur zunehmend ein, sodass die Suche nach einem geregelten und behindertengerechten Arbeitsplatz notwendig wurde.
Dass er es als Schwerbehinderter auf dem Arbeitsmarkt nicht leicht haben wird, wusste er. „Während meiner Selbstständigkeit habe ich aber gelernt, mich durchzubeißen“, erzählt der 56-Jährige. Der Diplom-Ingenieur meldete seine Stellensuche im Januar 2012 bei der Agentur für Arbeit. Wenig später erhielt er einen Anruf von Torsten Prenner vom Arbeitgeberservice für Schwerbehinderte Akademiker in Bonn. „Ich wurde um Bewerbungsunterlagen gebeten und zu einem Gespräch eingeladen“, erinnert sich der Mönchengladbacher. Im Mai trat er dann seine neue Stelle als Planungs-Ingenieur bei der DB ProjektBau GmbH in Duisburg an.
„Die Vermittlung ging sehr zügig und war für mich ein echter Glücksfall“, freut sich Andreas Meyer. Für den Weg zur Arbeitsstelle rüstete die Agentur für Arbeit sein Auto mit einem Rollstuhlverladesystem aus. Da die Funktion seiner linken Hand sehr schwach ist, übernahm die Krankenkasse die Kosten für einen Rolli mit Kraftunterstützung. Aber auch die DB ProjektBau GmbH unterstützte Andreas Meyer bei seiner neuen Arbeitsstelle: Er bekam einen nur für ihn reservierten Parkplatz in der betriebseigenen Tiefgarage. Zusätzlich wurde eine kleine Rampe zur Überwindung einer Stufe beim Übergang von der Tiefgarage in das Treppen- und Aufzugshaus angebracht, so dass ein barrierefreies Erreichen des Arbeitsplatzes möglich wurde.
Unentdecktes Potenzial
Eine reibungslose Vermittlung, wie die von Andreas Meyer, ist leider kein Regelfall. Trotz Fachkräftemangel und demografischem Wandel steigt die Arbeitslosenquote unter den schwerbehinderten Akademikern weiter an. Und eine Trendwende ist nicht in Sicht: „In einigen Branchen haben die Unternehmen zwar Bewerberengpässe, greifen aber nicht auf das Potential schwerbehinderter Akademikerinnen und Akademiker zurück und das wird sich in den nächsten zehn Jahren wohl auch nicht von alleine ändern“, vermutet Torsten Prenner, Arbeitsvermittler beim Arbeitgeberservice in Bonn. Schwerbehinderung, ein Alter jenseits der 50 und oft auch längere Arbeitslosigkeit:
„Das sind gleich drei Wettbewerbsnachteile“, so der Arbeitsmarktexperte. Zudem seien ältere Arbeitnehmer oftmals örtlich gebunden, das erschwere die Vermittlung zusätzlich. Junge Akademiker dagegen seien in der Regel bereit, sich bundesweit zu bewerben. Gründe, warum sich Arbeitgeber mit der Einstellung von schwerbehinderten Menschen immer noch schwer tun, sind nach Erfahrung der Arbeitsvermittler oftmals Unwissenheit und Vorurteile: „Viele Arbeitgeber verbinden eine Behinderung immer gleich mit einem Rollstuhl und verweisen auf die mangelnde Barrierefreiheit“, berichtet Torsten Prenner. Die Stellen sind deshalb rar, das Potenzial der qualifizierten Fachkräfte bleibt ungenutzt. Nachteilsausgleiche wie Kündigungsschutz und Sonderurlaub wirken sich nach Prenners Erfahrung entgegen der ursprünglichen Idee nachteilig für den Bewerber aus und sind oftmals eine Hemmschwelle für Personalchefs. Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern sind verpflichtet, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu besetzen, sonst droht eine Ausgleichsabgabe. Mehr als die Hälfte der Unternehmen kauft sich von dieser Verpflichtung aber regelmäßig frei.
Berufseinsteiger haben gute Chancen
„Ein junger Mensch, der sein Studium in der Regelstudienzeit abschließt, hat dagegen gute Karten“, erklärt Torsten Prenner. Einer davon ist Sebastian Wiedemann, ehemaliger Elektrotechnik-Student an der Fachhochschule Köln. Der 29-Jährige ist hochgradig schwerhörig. Nach seinem Abschluss im Jahr 2011 ging der Elektroingenieur zunächst auf eigene Faust auf Stellensuche und wurde dank seiner Referenzen und seines guten Bachelorzeugnisses zu einigen Vorstellungsgesprächen eingeladen. „Die Behinderung wurde dabei natürlich immer thematisiert“, erklärt er. Ein konkretes Stellenangebot ergab sich aus allen diesen Gesprächen aber nicht. Parallel dazu meldete sich der Studienabgänger über den Kölner Integrationsdienst bei der ZAV in Bonn und erhielt wenige Zeit später eine Einladung, ebenfalls von der DB ProjektBau. „Über das Stellenangebot habe ich mich sehr gefreut, eine Notlösung war es aber nicht“, so der Berufseinsteiger. „So lange habe ich ja noch gar nicht gesucht, Frust kam noch keiner auf“, ergänzt Sebastian Wiedemann optimistisch. Heute arbeitet er an einem für ihn maßgeschneiderten Arbeitsplatz. Telefoniert wird per Dolmetscher für Gehörlose in einer Dreierkonferenz. Was der Gesprächspartner sagt, wird vom Mitarbeiter eines Dienstleistungsunternehmens eingetippt und auf einen Bildschirm übertragen. Sebastian Wiedemann antwortet über ein Mikrofon an seinem Computer. Im persönlichen Gespräch kommt er mit seinen Hörgeräten klar, in Teambesprechungen hilft zusätzlich ein Gebärdendolmetscher.
Aus der zentralen Arbeitsvermittlung für Schwerbehinderte wird Arbeitgeberservice
Im Jahr 2007 hat sich die Agentur für Arbeit neu ausgerichtet, und die Abteilung „Vermittlung schwerbehinderter Akademiker“ wurde trotz erheblicher Proteste aufgelöst und regionalisiert (RehaTreff berichtete darüber in der Ausgabe 2/2007). Bewerber sollten nun in den Job-Centern und Arbeitsagenturen vermittelt werden. Die Abteilung in Bonn wurde auf eine Stelle für Weiterbildungen und Schulungen heruntergekürzt. Rund drei Jahre später bemängelten Selbsthilfeverbände ein deutliches Defizit durch das Fehlen eines Bausteines in der Vermittlungskette. Die Proteste fanden Gehör – 2010 wurde in Bonn wieder ein vierköpfiges Team aufgestellt und der Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker gegründet. Das Team in Bonn vermittelt seitdem wieder passgenau Akademiker aller Fachrichtungen, pflegt Kontakte zu den Arbeitgebern, klärt finanzielle Fördermöglichkeiten, stößt Projekte für Schwerbehinderte an und betreibt Öffentlichkeitsarbeit.
Eric Scharfenort
Stellensuche – so geht’s:
Der erste Weg führt einen Bewerber zu seiner zuständigen Agentur für Arbeit. Dort werden die Daten aufgenommen und der Arbeitsuchende registriert. Die spezialisierten Reha-Teams übernehmen dann die weitere Betreuung und geben die Daten an den Arbeitgeberservice nach Bonn weiter. Bei der Vermittlung arbeitet die ZAV in Bonn mit ihrem bundesweiten Einzugsgebiet dann eng mit den Arbeitsagenturen vor Ort zusammen. Fördermöglichkeiten im Überblick: Arbeitgeber: – Eingliederungszuschüsse für die fachliche Einarbeitung (bis zu fünf Jahre Laufzeit) – Lohnkostenzuschüsse – Finanzierung einer Probebeschäftigung (100% der Gehaltskosten bis zu drei Monate) Arbeitnehmer: – Finanzielle Unterstützung bei Stellensuche und Einarbeitung (Umzug, Reise, doppelte Haushaltsführung) – Behindertengerechte Arbeitsplatzausstattung – Assistenz am Arbeitsplatz |
Kontakt:
Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)
Arbeitgeberservice Schwerbehinderte Akademiker
Villemombler Str. 76
53123 Bonn
Telefon: 0228 713-1375
Fax: 0228 713 270-1375
Email: ZAV-Bonn.SBAkademiker@arbeitsagentur.de
www.zav.de
Dieser Artikel erschien im RehaTreff (1/2014) und kann hier als PDF heruntergeladen werden.Hier können Sie ein kostenloses Probeheft oder ein Abo bestellen (18 €/Jahr für vier Ausgaben) |