Janis McDavid – Dein bestes Leben

CcXUWerWwAAIrAH„Wo ich nehmen muss, nehme ich gerne. Aber noch lieber gebe ich, wo ich geben kann!“

Es gibt Geschichten, die kann man fast nicht glauben, z.B. dass ein Mensch ganz ohne Arme und Beine auf die Welt kommt und damit leben kann. Und doch gibt es einen jetzt 25-jährigen Deutschen, der glaubhaft verkündet, er meistere sein Leben, ja, er sei wirklich glücklich. Er verdient sogar einen Teil seines Lebensunterhalts dadurch, dass er sich als Motivationsredner anheuern lässt. Geben Sie seinen Namen Janis McDavid bei YouTube ein, dann können Sie ihn sehen, wie er mit seinem E-Rollstuhl unterwegs ist, wie er selbständig Auto fährt, wie er eine Getränkeflasche öffnet oder mit dem Mund schreibt. Dazu gibt es jetzt auch ein von ihm verfasstes Buch.

Wie kann ein so stark vom Schicksal benachteiligter Mensch so glücklich und lebensfroh sein? Zwei Hauptgründe werden bei der Lektüre des Buches ganz deutlich: Janis wurde mit 14 Monaten von seinen überforderten McDavid-Eltern an „erfahrene“ Eltern zur Adoption freigegeben, und dieser Schritt war so gelungen, dass er sagt, er habe vier Eltern, mit denen er sich bis heute bestens versteht. Seine Familiensituation mit vier adoptierten Geschwistern sieht er als Ausgleich für sein Missgeschick an.

Der zweite Grund ist, dass seine Eltern vom Prinzip der Inklusion überzeugt waren und hartnäckig die Aufnahme des so stark körperbehinderten Jungen in Regelschulen erkämpften. Und das waren vom Kindergarten bis zum Abitur alles Waldorf-Schulen, also Einrichtungen, die von der Philosophie des Dr. Rudolf Steiner geprägt waren. Neben der Vermittlung des normalen Schulwissens spielen dort handwerkliche Tätigkeiten, Eurythmie, Kunsterziehung und Musikunterricht wichtige Rollen. Auch gibt es dort eine außergewöhnliche Betreuung durch die älteren Mitschüler. Fernsehen und Computerspiele waren bei der Erziehung weitgehend verbannt. Die Erziehung durch die recht strengen, aber gerechten Eltern und die „anthroposophische“ Pädagogik bewirkte, dass für Janis seine Behinderung nach seinen eigenen Worten „im Wesentlichen kaum ein Thema“ war.

Trotzdem: Es gab beim Heranreifen des Ich des sehr energischen und eigenwilligen Jungen natürlich unendlich viele Probleme, mit denen sich „Ärmler und Füßler“ nicht befassen müssen. Zusätzlich zu den Barrieren und sonstigen Schwierigkeiten eines Rollstuhlpflichtigen litt er unter dem Beglotztwerden und auch oft unter ungefragten Hilfeleistungen durch Fremde. Auch war die Ablösung von den Eltern für einen hilfsbedürftigen Jungen verständlicherweise mit größeren Schwierigkeiten verbunden als normal. Das Erwachen der Sexualität war bei Janis dadurch besonders kompliziert, dass er fand, dass er homosexuell sei. Um die Bewältigung dieses delikaten Themas drückt sich der Autor nicht.

Aber diese Widrigkeiten stellen nicht den Grundtenor des Lebensberichtes, vielmehr ist es die Freude und der Stolz darüber, dass er so viele Probleme lösen konnte. Besonders half ihm dabei, dass er bereits im Kindergartenalter einen E-Rolli bekam. Seine Rollis mussten für ihn immer „attraktiv“ sein, sie sind für ihn praktisch Teil seines Körpers. Schon bevor er 18 war, bereitete er den Erwerb seines für ihn speziell hergerichtetes Automobils vor. Diesen „Sprinter“ führt er auch im YouTube-Streifen vor. Die zweite Gruppe von ganz wichtigen Hilfsmitteln sind die von den Eltern zunächst verpönten elektronischen Medien Laptop, Tablet und Handy geworden.

Selten hat mich eine von einem behinderten Menschen geschriebene Autobiografie so beeindruckt wie die Botschaft dieses jungen Mannes. Er, der von Geburt an Gehandicapte, zeigt eine breite Palette sozialen Engagements: als Propagator der Waldorfpädagogik (in Vorträgen), als Kämpfer gegen sexuelle Diskriminierung (Gründung eines bundesweiten Netzwerkes), mit seinem Einsatz für die Belange der Menschen mit Behinderung (durch Werbung für Inklusion und Diversity) und ganz generell als Mutmacher für alle verzagten Menschen. Ein wunderbares Buch!

Reinhardt Rüdel

 

Janis McDavid – Dein bestes Leben

Vom Mut, über sich hinauszuwachsen

Verlag Herder GmbH

Freiburg im Breisgau, 2016

ISBN 978-3-451-31149-9

19,99 Euro

 

Dieser Artikel erschien im RehaTreff (02/2016).
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