Barrierefreiheit ist ein wichtiges Zukunftsthema. Der Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter Menschen Baden-Württemberg (LSK BW) widmete sich diesem Schwerpunkt auf seiner Auftaktveranstaltung „Zukunft Barrierefrei 4.0“. Es ging um technische Möglichkeiten, zum Beispiel im Bereich Mobilität oder auch um Kommunikationsmöglichkeiten im virtuellen Raum – Beispiele, die greifbar machen, was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird.
„Das Landeskompetenz-Zentrum Barrierefreiheit Baden -Württemberg kommt“, berichtete Christine Engelhardt vom Ministerium für Soziales und Integration in ihrem Grußwort. „Barrierefreiheit umfasst heute viel mehr als eine Rampe oder einen abgesenkten Bordstein. Wo Barrieren behindern bleibt eine Teilhabe verwehrt.“
Viele Menschen erschrecken bei dem Begriff Digitalisierung, stellte Gerd Weimer, Schirmherr LSK BW und ehemaliger Landesbehindertenbeauftragter klar. Viele fürchten sich vor weiteren Diskriminierungen im digitalen Raum. Bei intensiver Beschäftigung mit diesem Zukunftsthema liegen die Vorteile auf der Hand: vor allem auch für Menschen mit Handicap. Wenn später einmal Autos autonom fahren oder Menschen sich in virtuellen Räumen treffen können, dann birgt das große Vorteile, vor allem für Menschen, die heute nicht so einfach am sozialen Leben teilhaben können. „Städte und Gemeinden haben in Sachen Barrierefreiheit den Schlüssel in der Hand“, unterstreicht er und fügt an, dass der LSK mit seiner langjährigen Erfahrung bei der Umsetzung der Barrierefreiheit beratend unterstützen wird.
Ein wichtiger Baustein zur Erreichung dieses Ziels sollen ausgebildete „Botschafter Barrierefreiheit“ sein, die Ansprechpartner für Behörden, Planer sowie Kommunen, unter anderem sein werden. Sabine Goetz, Geschäftsstellenleiterin des LSK BW stellt klar, dass Barrierefreiheit die Grundlage des Verbandes und der Grundpfeiler nachhaltiger sozialer Wirtschaftsräume ist. „Der bloße Wille, Barrierefreiheit umzusetzen reicht nicht aus“, so Goetz, „gemeinsame Planung und Koordination zwischen Entscheidungsträgern und Interessenvertretern ist hierbei nötig“. In einer Gemeinde leben heute statistisch gesehen zehn bis 15 Prozent mit einer Einschränkung, berichtet sie und der demografische Wandel berge große Herausforderungen. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe wird der LSK mitgestalten! „Nur wer versteht Barrieren abzubauen wird sich damit auseinandersetzen“, unterstreicht sie und fügt an, dass die Botschafter eine zentrale Rolle in der Vermittlung spielen. Wer Einschränkungen hat, darf in Zukunft nicht davor zurückschrecken sie mit Technik zu kompensieren. Virtuelle Realität und Mobilität der Zukunft seien hier die entscheidenden Schlagworte.
Der Tübinger VR-Pionier Benjamin Rudolf von der Firma NAU-HAU zeigte anschaulich wie Grenzen im virtuellen Raum überwunden werden können. Zeit, Geld, Strapazen und Ressourcen werden gespart, wenn Menschen sich via VR-Brillen virtuell begegnen. Obwohl die Nutzer weit voneinander entfernt leben, fühlt es sich durch die Brille an als ob man sich gegenübersteht. Dies ermöglicht es zusammen mit den Händen zum Beispiel an einem gemeinsamen Modell zu arbeiten. Auch gibt es im virtuellem Raum keine E-Mails, da gibt man das Dokument einfach über den Tisch.“
Auch die Behindertenmobilität sei ein großer Nutznießer dieser Entwicklung. Systeme wie das Fahr- und Lenksystem Space Drive – als Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren in Level 4 und 5 – birgt große Potentiale, den Markt für weitere Nutzergruppen zu öffnen. „PARAVAN hat hier ein ganzheitliches Programm, auch und vor allem in Verbindung mit dem Rollstuhl“, erklärt PARAVAN-Vertriebsleiter Thomas Körner. Moderne Assistenzsysteme zeigten heute schon, wo die Reise hingehe und bieten große Chancen. „Es ist in Zukunft nichts unmöglich, wenn man es will.“
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es darum, wie die „Zukunft Barrierefreiheit“ aussehen sollte – egal ob mit „4.0“ oder „ohne“. Der Kreisbehindertenbeauftragte von Tübingen, Willi Rudolf – selbst Rollstuhlfahrer – berichtet von seinen Erfahrungen aus der Praxis am Beispiel der barrierefreien Arztpraxis. Nur gut 20 Prozent würden diesen Anspruch erfüllen. „Das große Problem liegt nicht in der Technik, sondern in der Bürokratie“, unterstrich er. Professor Dr. Udo Weimar von der Universität Tübingen und Mitbegründer des LebensPhasenHaus machte deutlich, wie wichtig Barrierefreiheit in Zukunft sein wird, vor allem mit Blick auf den demografischen Wandel und fügt an, dass er als Beirat des Projekts hierbei gerne unterstützen wird. „Barrierefreiheit muss im gesellschaftlichen Bewusstsein ankommen“, forderte Kristin Schwarz, Verbandsdirektorin des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales in Baden-Württemberg.
Mit Blick auf die Mobilität gebe es durch die zunehmende Automatisierung der Fahrzeuge eine unglaubliche Erleichterung in Zukunft auch für Menschen mit Seh- und Hörproblemen bzw. mit kognitiven Einschränkungen, betonte Thomas Körner von PARAVAN. Das vollautonome Fahrzeug im Individualverkehr wird noch Zukunftsmusik bleiben, aber in den kommenden Jahren werden neue Mobilitätskonzepte, wie beispielsweise Robotaxis, den Verkehr in den Städten nachhaltig ändern. Auch im Bereich barrierefreies Bauen sei ein Umdenken enorm wichtig, unterstrich Bernd Gammerl vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau sowie Beirat im Projekt. „Das betrifft das barrierefreie Bauen und Wohnen ebenso, wie die Diskussion um das barrierefreie Denkmal.
„Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Barrierefreiheit in allen Bereichen zu schaffen“, forderte Willi Rudolf, ebenfalls Ehrenvorsitzender des LSK BW und Spiritus Rector der Veranstaltung, zum Schluss. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie einmal betroffen sind, ist deutlich höher als eine barrierefreie Praxis zu finden.“
Der Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter BW freut sich auf viele interessierte „Botschafter Barrierefreiheit“.
Jetzt informieren und bewerben: www.barrierefreiheit.lsk-bw.de