„Mit PTSD geht jeder auf seine Art um. Manche greifen zu Alkohol oder Drogen. Andere stürzen sich exzessiv in den Sport. Wieder andere schließen sich zuhause ein. Manche bringen sich um.“ Richard Rice weiß, wovon er spricht. Aus einem Kriegseinsatz mit einer ‚Posttraumatischen Belastungsstörung‘ zurückgekehrt, fand er seinen ganz eigenen Weg, die Krankheit zu besiegen. Von Soldaten, die aus Kriegseinsätzen versehrt zurückkehren, haben die meisten Menschen klare Vorstellungen. Man denkt an Verstümmelungen aller Art, mancher Kinofilm hat schon das Sujet aufgegriffen, wie ein Leben „danach“ im Rollstuhl seine Fortsetzung findet. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren Arm- und Beinamputierte ein alltäglicher Anblick.
Eine Krankheit mit vielen Gesichtern
Weit häufiger als mit Schäden am eigenen Leib kehren Soldaten indes mit seelischen Verwundungen aus ihren Einsätzen zurück. Und ein grundsätzlicher Unterschied zu der für jedermann wahrnehmbaren körperlichen Versehrtheit ist: Diese Verwundungen sind zunächst nicht sichtbar, wiewohl in ihren Auswirkungen nicht weniger dramatisch für die Betroffenen. Die Medizin bezeichnet das komplexe Phänomen mit dem Kürzel PTBS, das für Posttraumatische Belastungsstörung steht; im englischen Sprachraum heißt es PTSD für Posttraumatic Stress Disorder. Die Krankheit hat viele Gesichter, ihre Auswirkungen sind für die Betroffenen und alle, die mit ihnen umgehen, gravierend. Schlafstörungen, Panikattacken, Reizbarkeit, extreme Wachsamkeit, Überreaktion in alltäglichen Situationen – so komplex das Krankheitsbild ist, so schwierig ist es, den Betroffenen zu helfen. Es gibt keine standardisierte Therapie. Psychologische Betreuung, die Einnahme von Psychopharmaka, die soziale Einbindung und die psychische Disposition des Betroffenen – viele Faktoren wirken zusammen und entscheiden über Erfolg oder Misserfolg im Umgang mit der Krankheit.
Ein Einsatz mit Folgen
Richard Rice, 30 Jahre alt, verheiratet mit einer Deutschen und Vater eines Sohnes, lebt heute in Hanau bei Frankfurt. Im Jahr 2006 ging er als Soldat der amerikanischen Streitkräfte in den Irak. Der Einsatz verlief gänzlich anders als er angenommen hatte. „Ich dachte, ich würde gegen einen Gegner in Uniform eingesetzt, würde wissen, wer der Feind ist. Ich war davon überzeugt, dort einen Konflikt zu lösen.“ Tatsächlich musste er rasch erkennen, dass die Gefahr an seinem Einsatzort allgegenwärtig war, und von jedermann ausging. „Der Gegner konnte eine Frau, ein Mann, ein Kind sein. Ich stand vierundzwanzig Stunden am Tag unter Strom, und jede bedrohliche Situation sorgte für einen zusätzlichen Adrenalinschub.“
Das Ende seines Einsatzes kommt im September 2007. Bei einem Angriff wird Richard Rice schwer verletzt. Seine körperlichen Schäden heilen, aber seine psychische Verfassung ist desolat. Zurück in den USA holen ihn die traumatischen Erlebnisse wieder ein. In psychotherapeutischer Behandlung sieht er keinen Ausweg, zu groß ist sein Misstrauen gegen Ärzte, nachdem im Anschluss an seinen Unfall etliches bei der Behandlung schief gelaufen ist. Psychopharmaka helfen zwar, lösen das Problem aber nicht. Richard entschließt sich zu einer radikalen Änderung seines Umfeldes. Gemeinsam mit seiner Frau siedelt er von den USA nach Deutschland.
Neustart in Deutschland
Hanau, heute: Familie Rice lebt in einer ruhigen Stadtrandsiedlung. Mit von der Partie: Abby. Die schwarze Labradorhündin ist der Grund dafür, dass Richard heute weiß: Es gibt einen Weg, PTSD zu besiegen. Jahre nach der von der Krankheit schwer belasteten Zeit fällt es ihm nicht mehr so schwer, über das Geschehene zu sprechen. Er hat seinen Weg gefunden, und die Wende zum Besseren kam mit dem Kontakt zu VITA. In Deutschland angekommen, begann Richard online zu recherchieren, welches Potential der Einsatz von Hunden an der Seite von traumatisierten Menschen birgt. 2012 kam ein erster Kontakt mit Tatjana Kreidler und ihrem Verein VITA Assistenzhunde zustande. Der Verein, im Jahr 2000 gegründet und seither erfolgreich in der Ausbildung und Vermittlung von Assistenzhunden, vorwiegend für Menschen mit körperlichen Einschränkungen, betrat mit der Zusammenarbeit mit Richard Neuland. 2013 zog die damals zweijährige Abby bei Familie Rice ein.
Eine sensible Wächterin
Richard gerät ins Schwärmen, wenn er über die „Zusammenarbeit“ mit Abby berichtet. „Lange Zeit waren Panikattacken ein großes Problem für mich. Wenn ich heute in eine kritische Situation gerate, spürt Abby das sofort. Sie sieht mich an, und der Blickkontakt wirkt entspannend. Abby ist eine sehr sensible Wächterin. Wenn ich mit ihr draußen unterwegs bin, habe ich nicht mehr das Gefühl, permanent bedroht zu sein, allem und jedem misstrauen zu müssen. Solange Abby entspannt ist, signalisiert sie mir: Alles ist o. k.“ Lange Zeit hatte Richard Probleme mit räumlicher Nähe zu Menschen, etwa in Warteschlangen oder an belebten Plätzen. Auf ganz natürliche Art und Weise löst Abby dieses Problem, indem sie sich zwischen ihn und andere Menschen stellt, und diese so auf Distanz hält. Das sprichwörtlich freundliche Wesen, das Labradorhunden zu eigen ist, sorgt dabei dafür, dass dies nicht als bedrohliche Geste wahrgenommen wird. Wie jeder Apportierhund liebt Abby Dummy-Training über alles. Bei diesem „Jagdtraining“ simulieren Dummies, etwa mit Granulat gefüllte Stoffsäckchen, geschossenes Flugwild, das der Hund aufspüren und apportieren muss. „Am Anfang war das Dummytraining für uns beide sehr hilfreich“, erinnert sich Richard, „dabei hörte die Welt um uns herum auf zu existieren, weil Abby mit solcher Hingabe bei der Sache war, und ich mich voll und ganz auf sie konzentrierte.“ Wie ernst Abby aber ihre Aufgabe, auf Richard zu achten, nimmt, wird deutlich, wenn sie ihn selbst beim Spiel mit anderen Hunden nie aus den Augen verliert, mit ihrer Aufmerksamkeit immer bei ihm ist. Oder wenn sie automatisch Ungewöhnliches selektiert. „Wenn eine Gruppe von Radfahrern auf uns zukommt, widmet sie dem keine große Beachtung. Wenn mit der Gruppe ein Skater unterwegs ist, zieht dieser sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich.“
Ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis
Mehr noch als das in vielen Einzelsituationen erprobte Zusammenspiel zwischen Mensch und Hund hat die dadurch entstandene emotionale Bindung zwischen Richard und Abby ihre segensreiche Wirkung entfaltet. „Du änderst dich von innen heraus, wenn du mit deinem Hund gut und richtig umgehst. Er holt dich aus deinem Schneckenhaus,“ sagt Richard, und verweist damit zugleich auf das Besondere, was in dieser Art der Arbeit zum Ausdruck kommt. Denn auch in den USA werden zunehmend PTSD-geschädigte Kriegsveteranen von Assistenzhunden unterstützt. „Dort wird deren Aufgabe aber ganz anders definiert. Sie ‚klären‘ zum Beispiel Räume, bevor ihr Mensch sie betritt, oder sichern bei Spaziergängen die toten Winkel hinter ihren Besitzern. Das sind Verhaltensmuster aus dem Militäralltag“, weiß Richard, „und die sind wenig hilfreich, wenn man ein mit diesen Strukturen zusammenhängendes Trauma bewältigen will.“
Mit der größten Selbstverständlichkeit ist Abby immer dabei. „Manchmal sind Situationen erklärungsbedürftig, zum Beispiel in Restaurants oder Geschäften. Aber wenn ich dann erkläre, dass Abbey mein Assistenzhund ist, gibt es normalerweise keine Schwierigkeiten.“ So war Abby selbstverständlich auch im Flugzeug an seiner Seite, als Richard zum ersten Mal wieder in die USA flog, eine Reise, die er ohne seine Begleiterin niemals unternommen hätte.
Von seinen positiven Erfahrungen, das wünscht sich Richard, sollen auch andere profitieren. Er möchte deshalb Leidensgefährten ebenfalls den Zugang zu Assistenzhunden ermöglichen. Einfach ist das nicht, denn die Ausbildung bei VITA ist sehr arbeitsintensiv und teuer und wird aus Spenden finanziert. Dass das Ziel aber jede Mühe wert ist, daran gibt es für Richard Rice keinen Zweifel: „Wenn ich mein Leben vor Abby mit meinem Leben heute vergleiche, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich bin der lebende Beweis dafür, dass man PTSD mit Hilfe eines Assistenzhundes besiegen kann.“
Werner Pohl